<32> ergibt sich, wenn man zwar die Gültigkeit der Verträge aufrechterhält, aber die zahlungsunfähigen Schuldner nicht zu sehr drückt: das scheint mir in der Rechtspflege der Stein der Weisen. Indessen wollen wir auf diesen Gegenstand nicht weiter eingehen, da die Art unsres Aufsatzes keine größere Ausführlichkeit gestattet. Wir begnügen uns mit allgemeinen Betrachtungen.
Ein vollkommenes Gesetzbuch wäre das Meisterstück des menschlichen Verstandes im Bereiche der Regierungskunst. Man müßte darin Einheit des Planes und so genaue und abgemessene Bestimmungen finden, daß ein nach ihnen regierter Staat einem Uhrwerke gliche, in dem alle Triebfedern nur einen Zweck haben. Man fände darin ferner tiefe Kenntnis des menschlichen Herzens und des Nationalcharakters. Die Strafen wären mäßig, sodaß sie die guten Sitten erhielten, ohne zu streng noch zu milde zu sein. Die einzelnen Bestimmungen müßten so klar und genau sein, daß jeder Streit um die Auslegung ausgeschlossen wäre. Sie würden in einer erlesenen Auswahl des Besten bestehen, was die bürgerlichen Gesetze ausgesprochen haben, und in einfacher und sinnreicher Weise den heimischen Gebräuchen angepaßt sein. Alles wäre vorausgesehen, alles in Einklang gebracht, nichts würde zu Unzuträglichkeiten führen. Aber das Vollkommene liegt außerhalb der menschlichen Sphäre.
Die Völker könnten schon zufrieden sein, wenn die Gesetzgeber die Gesinnungen jener FamUienhäupter teilten, die zuerst Gesetze gaben. Die liebten ihre Kinder, und die Vorschriften, die sie ihnen gaben, bezweckten nur das Wohl der Ihren.
Wenige, aber weise Gesetze machen ein Volk glücklich; viele verwirren das Recht. Wie ein guter Arzt seine Kranken nicht mit Arzneien überlädt, so soll auch ein geschickter Gesetzgeber das Volk nicht mit überflüssigen Gesetzen beschweren. Zu viele Arzneien schaden einander und heben sich in ihren Wirkungen gegenseitig auf. Zu viele Gesetze sind wie ein Labyrinth, in dem die Rechtsgelehrten und die Justiz sich verirren.
Bei den Römern entstanden zahlreiche Gesetze, als die Revolutionen häufig wurden. Jeder Ehrgeizige, der zur Macht gelangte, warf sich zum Gesetzgeber auf. Dieser Rechtswirrwarr dauerte, wie gesagt, bis zur Zeit des Augustus, der alle ungerechten Verordnungen aufhob und die alten Gesetze wieder in Kraft setzte.
In Frankreich vermehrten sich die Gesetze, als die Franken das Land eroberten und ihre Rechtsbräuche mitbrachten. Ludwig IX. wollte alle diese Gesetze vereinigen und, wie er selbst sagte, in seinem Reich ein Gesetz, ein Gewicht und ein Maß einführen.
An manchen Gesetzen hängen die Menschen bloß, well sie meist Gewohnheitstiere sind. Obwohl man bessere einführen könnte, wäre es vielleicht doch gefährlich, sie anzutasten. Die Verwirrung, die eine solche Reform in der Justiz anrichten würde, schadete vielleicht mehr, als die neuen Gesetze nützten. Immerhin gibt es Fälle, wo die Verbesserung ein Gebot der Notwendigkeit scheint, nämlich wenn die Gesetze dem öffentlichen Wohl und der natürlichen Billigkeit zuwiderlaufen, wenn sie in dunklen