<34>zuführen, wonach der Dieb dem Bestohlenen den doppelten Wert des Geraubten ersetzen oder sich ihm als Leibeigner übergeben mußte. Begnügt man sich, leichte Vergehen mit gelinden Strafen zu belegen, so bleibt die Todesstrafe für Räuber, Mörder und Totschläger aufgespart, und die Strafen stehen im Verhältnis zum Verbrechen.

Kein Gesetz empört die Menschlichkeit mehr als das Recht über Leben und Tod, das die Väter in Sparta und Rom über ihre Kinder hatten. In Griechenland brachte ein Vater, der zu arm war, um die Bedürfnisse einer zahlreichen Familie zu bestreiten, die Überzahl seiner Kinder ums Leben. Kam in Rom und Sparta ein mißgestaltetes Kind zur Welt, so war der Vater berechtigt, es zu töten. Wir empfinden die ganze Barbarei dieser Gesetze, weil sie nicht die unseren sind. Aber sehen wir doch einmal zu, ob es bei uns nicht ebenso ungerechte Gesetze gibt.

Wird das Abtreiben der Leibesfrucht bei uns nicht sehr hart bestraft? Gott verhüte, daß ich die Greuel jener Medeen entschuldige, die grausam gegen sich selbst und taub gegen die Stimme des eignen Blutes, das künftige Geschlecht ersticken, noch ehe es — wenn ich so sagen darf — das Licht der Welt erblicken durfte! Aber der Leser streife einmal alle hergebrachten Vorurteile ab und schenke den folgenden Betrachtungen einige Aufmerksamkeit.

Ist durch die Gesetze nicht eine Art von Schande mit der heimlichen Niederkunft verknüpft? Kommt ein Mädchen von zu zärtlichem Gemüt, das sich durch die Schwüre eines Wüstlings hat verführen lassen, infolge ihrer Leichtgläubigkeit nicht in die Notlage, zwischen dem Verlust ihrer Ehre und ihrer unglücklichen Leibesfrucht zu wählen? Ist es nicht Schuld der Gesetze, daß sie in eine so grausame Lage gerät? Und raubt die Strenge der Richter dem Staate nicht zwei Untertanen zugleich: die abgetriebene Frucht und die Mutter, die den Verlust durch eheliche Geburten reichlich wettmachen könnte? Hierauf erwidert man: es gibt ja Findelhäuser. Ich weiß wohl, daß sie einer Unmenge unehelicher Kinder das Leben retten. Aber wäre es nicht besser, das Übel mit der Wurzel auszurotten und so viele arme Geschöpfe, die jetzt elend umkommen, zu erhalten, indem man die Folgen einer unvorsichtigen und flatterhaften Liebe nicht mehr mit Schande bedeckt1?

Aber nichts ist grausamer als die Folter. Die Römer beschränkten sie auf ihre Sklaven, die sie als eine Art von Haustieren betrachteten. Nie durfte ein freier Bürger gefoltert werden. (Cicero, „Pro Cluentio“.) In Deutschland foltert man nur überführte Missetäter, damit sie ihr Verbrechen selbst bekennen. In Frankreich geschieht es zur Feststellung der Tat oder zur Entdeckung Mitschuldiger. Die Engländer hatten in früheren Zeiten das Ordal oder die Feuer- und Wasserprobe2. Jetzt haben


1 Am 17. August 1756 erging das grundlegende „Edikt zur Verhütung des Kindesmordes“, sowie am 8. Februar 1765 ein weiteres Edikt, das u. a. die bisherigen entehrenden Strafen aufhob.

2 Der König erklärt in einer Fußnote unter Berufung auf Rapin,Thoyras: „Bei der Feuerprobe gab man dem Angeklagten ein glühendes Eisen in die Hand. War er so glücklich, sich nicht zu verbrennen, so ward er freigesprochen, im andren Falle als schuldig bestraft. Bei der Wasserprobe warf man den An, geklagten gebunden ins Wasser. Schwamm er obenauf, so war er unschuldig.“ Bekanntlich waren solche und andre Gottesurteile, wie der Zweikampf, der mittelalterlichen Justiz in allen tändern geläufig.