Zur Dunkelheit der Gesetze gehört noch eins, nämlich das ganze Gerichtsverfahren und die vielen Instanzen, die die Parteien durchmachen müssen, bis ihr Prozeß ein Ende findet. Mögen schlechte Gesetze ihnen Unrecht tun oder rabulistische Advokaten ihr Recht verdrehen oder lange Formalitäten den Kern der Sache verdunkeln und sie um ihren rechtmäßigen Vorteil bringen — es läuft alles auf das gleiche hinaus. Ist auch ein Übel größer als das andere, so erfordern doch alle Mißbräuche Besserung. Das Hinausziehen der Prozesse gibt den Wohlhabenden einen beträchtlichen VorteU über die Armen. Indem sie Mittel und Wege finden, den Prozeß von einer Instanz zur andren zu schleppen, setzen sie ihren Gegner matt und richten ihn zugrunde, sodaß sie schließlich allein auf dem Kampfplatze bleiben.
Früher währten die Prozesse bei uns über hundert Jahre. War eine Sache auch schon von fünf Gerichten entschieden, so appellierte die Gegenpartei der Justiz zum Trotz an die Universitäten, und die Rechtslehrer änderten die gefällten Urteile nach ihrem Gutdünken ab. Nun aber mußte eine Partei schon sehr viel Pech haben, wenn sie bei fünf Gerichtshöfen und Gott weiß wieviel Universitäten keine feile und bestechliche Seele fand. Diese Mißbräuche sind jetzt abgeschafft. Die Prozesse kommen bei der dritten Instanz endgültig zum Austrag, und die Richter müssen auch die strittigsten Sachen innerhalb eines Jahres erledigen.
Wir haben nun noch einige Worte über die Gesetze zu sagen, die im Sinn oder im Ausdruck Widersprüche enthalten. Sind die Gesetze eines Staates nicht kodifiziert, so müssen sich einige notwendig widersprechen. Da sie von verschiedenen Gesetzgebern stammen und nicht nach dem gleichen Plane entstanden sind, so fehlt ihnen die bei allen wichtigen Dingen so notwendige Einheit. Davon handelt Quintilian in seiner Schrift vom Redner (Buch VII, Kap. 7). Auch in Ciceros Reden sehen wir, daß er oft ein Gesetz einem andren entgegenstellt. Ebenso finden wir in der französischen Geschichte bald Edikte für die Hugenotten, bald gegen sie1. Solche Verordnungen zusammenzutragen ist um so notwendiger, als die Majestät der Gesetze, von denen man doch stets annimmt, daß sie mit Weisheit gegeben sind, durch nichts mehr herabgewürdigt wird als durch offenbare und handgreifliche Widersprüche.
Die Verordnung gegen die Duelle2 ist sehr gerecht, sehr billig und sehr richtig abgefaßt, führt aber nicht zu dem Ziel, das die Fürsten sich bei deren Veröffentlichung setzten. Vorurteile, die älter sind als diese Verordnung, setzen sich dreist darüber hinweg, und das von falschen Begriffen erfüllte Publikum scheint stillschweigend übereingekommen zu sein, ihr nicht zu gehorchen. Ein mißverstandenes, aber allgemein verbreitetes Ehrgefühl bietet der Macht der Fürsten Trotz, und sie können das Gesetz nur mit einer gewissen Grausamkeit aufrecht erhalten. Wer immer das Unglück hat, von einem
1 Das 1598 erlassene Edikt von Nantes wurde 1685 von Ludwig XIV. widerrufen.
2 Das Edikt vom 22. März 1717 verhängte die Todesstrafe über den, der im Duell den Gegner tötete oder so verwundete, daß dieser den neunten Tag nicht überlebte. Das Duell galt als Verbrechen am Staatskörper, den es seiner Bürger beraubt.