<38> Rüpel beleidigt zu werden, gilt in der ganzen Welt für feig, wenn er den Schimpf nicht mit dem Tode des Beleidigers rächt. Stößt dergleichen einem Manne von Stand zu, so betrachtet man ihn als seines Adels unwürdig. Ist er Soldat und endigt seine Sache nicht durch ein Duell, so jagt man ihn mit Schimpf und Schande aus dem Offizierkorps, und er findet in ganz Europa nicht wieder Dienste. Was soll also ein Mann in einer so kritischen Lage tun? Soll er sich entehren, indem er dem Gesetz gehorcht, oder soll er nicht lieber Leben und Glück aufs Spiel setzen, um seinen guten Ruf zu retten?
Die Schwierigkeit besieht darin, ein Mittel zu finden, das die Ehre des Privatmannes wahrt und das Gesetz in voller Kraft aufrechterhält. Die Macht der größten Herrscher hat gegen diese barbarische Mode nichts vermocht. Ludwig XIV., Friedrich I. und Friedrich Wilhelm I. erließen strenge Edikte gegen das Duell, bewirkten damit aber nichts, als daß die Sache einen andren Namen bekam. Die Duelle wurden als Rencontres ausgegeben und viele im Zweikampf gefallene Edelleute als plötzlich gestorben begraben.
Wenn nicht alle Fürsten Europas einen Kongreß veranstalten und übereinkommen, die mit Schande zu belegen, die sich trotz ihrer Verbote im Zweikampf umzubringen suchen, wenn sie, sage ich, sich nicht zusammentun, um dieser Art von Mördern jede Freistätte zu verweigern und alle, die ihre Nächsten in Wort, Schrift oder Tat beleidigen, streng zu bestrafen, so werden die Duelle nie aufhören.
Man wende mir nicht ein, ich hätte wohl die Träumereien des Abbe St. Pierre geerbt1. Ich sehe nichts Unmögliches darin, daß Privatleute ihre Ehrensachen der richterlichen Entscheidung ebenso unterwerfen wie ihre Vermögensstreitigkeiten. Und warum sollten die Fürsten keinen Kongreß zum Besten der Menschheit veranstalten, da sie so viele fruchtlose Kongresse über Dinge von geringerer Bedeutung berufen haben? Ich wiederhole es und behaupte dreist: dies ist das einzige Mittel zur Abschaffung des mißverstandenen Ehrgefühls in Europa, das so vielen Ehrenmännern das Leben gekostet hat, von denen das Vaterland die größten Dienste erwarten konnte.
Dies sind in Kürze die Betrachtungen, zu denen die Gesetze mich veranlassen. Ich habe mich auf eine Skizze anstatt eines Gemäldes beschränkt und fürchte, schon zuviel gesagt zu haben. Zum Schluß noch eine Bemerkung. Mir scheint, die kaum der Barbarei entwachsenen Völker brauchen sirenge Gesetzgeber, kultivierte Völker dagegen mit sanfteren Sitten haben milde Gesetzgeber nötig.
Wer sich alle Menschen als Teufel vorstellt und grausam gegen sie wütet, der sieht sie mit den Augen eines wilden Menschenfeindes. Wer alle Menschen für Engel hält und ihnen die Zügel schießen läßt, der träumt wie ein schwachsinniger Kapuziner. Wer
1 St. Pierre war der Verfasser der Schrift „Projet de la paix perpétuelle“ (vgl. Bd. VII, S.248).