<78> die toten Kaiser aus ihren Gräbern1 riß, um sie ihrer elenden Hüllen zu berauben, als verzweifelte Mütter sich mit ihren verhungerten Kindern im Arm aus den Trümmern der Heimat retteten — sollte man da zu Wien oder Mannheim Sonette dichten oder Epigramme machen? Die Musen verlangen ruhige Heimstätten. Sie fliehen die Orte, wo Verwirrung herrscht und alles zusammenstürzt. Wir fingen daher erst nach dem Spanischen Erbfolgekrieg an, das wiederherzustellen, was wir durch eine solche Kette von Mißgeschicken verloren hatten. Die geringen Fortschritte, die wir gemacht haben, fallen also weder dem Geist noch den Talenten der Nation zur Last. Wir dürfen sie nur einer Reihe unseliger Umstände zuschreiben, einer Verkettung von Kriegen, die uns zugrunde gerichtet, uns an Menschen und Geld arm gemacht haben.
Verlieren Sie den Faden der Ereignisse nicht. Folgen Sie unsren Vätern auf ihrem Wege, und Sie werden ihrem weisen Benehmen Beifall zollen. Sie haben genau so gehandelt, wie es sich in ihrer Lage gebührte. Sie haben sich zunächst der Landwirtschaft zugewandt, haben die Felder, die aus Mangel an Arbeitskräften unbestellt dalagen, wieder ertragfähig gemacht, die zerstörten Häuser aufgebaut, die Fortpflanzung aufgemuntert. Überall ging man emsig an die Urbarmachung brachliegenden Landes. Die zunehmende Bevölkerung erzeugte den Gewerbfleiß. Selbst der Luxus, der in kleinen Staaten eine Geißel ist, aber den Geldumlauf großer Reiche vermehrt, hat sich eingestellt. Kurz, reisen Sie jetzt in Deutschland, durchziehen Sie es von einem Ende zum andern, so werden Sie auf Ihrem Weg überall Flecken in blühende Städte verwandelt sehen, hier Münster, weiterhin Kassel, dort Dresden und Gera2. In Franken finden Sie Würzburg und Nürnberg. Auf dem Wege nach dem Rhein kommen Sie nach Fulda und Frankfurt, und weiterhin nach Mannheim, Mainz und Bonn. In jeder dieser Städte findet der erstaunte Reisende Bauten, die er im Hercynischen Walde wohl nicht anzutreffen glaubte. Die mannhafte Tatkraft unsrer Landsleute hat sich also nicht darauf beschränkt, die durch früheres Unglück erlittenen Verluste zu ersetzen. Sie strebte höher hinaus und verstand das zu vollenden, was unsre Vorfahren begonnen hatten.
Seit diesen vorteilhaften Veränderungen sehen wir den Wohlstand allgemeiner werden. Der dritte Stand schmachtet nicht mehr in schmählicher Erniedrigung. Die Väter können den Unterricht ihrer Kinder bestreiten, ohne sich in Schulden zu stürzen. Das sind die Grundlagen der glücklichen Umwälzung, die wir erwarten. Die Fesseln, die den Geist unsrer Vorfahren ketteten, sind zerbrochen. Schon merkt man, daß die Saat edlen Wetteifers in den Geistern aufkeimt. Wir schämen uns, unsren Nachbarn in manchem nicht gleichzustehen. Mit unermüdlicher Arbeit streben wir danach, die Zeit wieder einzuholen, die wir durch unser Mißgeschick verloren haben. Im allgemeinen ist der nationale Geschmack entschieden für alles, was unsrem Vaterlande zum Ruhm
1 Im Dom zu Speyer.
2 Vielmehr ist an Leipzig zu denken.