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Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß der Professor, wenn er Verstand hat, nicht den weisen Locke vergißt, den einzigen Metaphysiker, der die Phantasie dem gesunden Menschenverstand geopfert hat, sich an die Erfahrung hält, soweit sie ihn führen kann, und klüglich haltmacht, wenn dieser Führer versagt.

In der Sittenlehre wird der Professor einige Worte über Sokrates sagen, Mark Aurel gerecht werden und ausführlicher auf Ciceros Buch „Von den Pflichten“ eingehen, das beste Moralbuch, das man je geschrieben hat und schreiben wird.

Den Ärzten will ich nur zwei Worte sagen. Sie müssen ihre Schüler vor allem zu genauer Beobachtung der Symptome der Krankheiten anhalten, damit sie deren Wesen gut kennen lernen. Diese Symptome sind ein rascher und schwacher Puls, ein starker und heftiger Puls, ein aussetzender Puls, trockene Zunge, die Augen, die Art der Transpiration, der Ausscheidungen, sowohl des Urins wie der Exkremente. Aus alledem können sie Schlüsse ziehen und die Art des Übels, das die Krankheit verursacht, mit größerer Bestimmtheit erkennen. Nach dieser Diagnose müssen sie die richtigen Heilmittel wählen. Auch wird der Professor seine Schüler sorgfältig auf die eigenartige Verschiedenheit der Temperamente hinweisen und auf die Berücksichtigung, die sie erfordern. Er wird die gleiche Krankheit bei den verschiedenen Temperamenten verfolgen und vor allem darauf dringen, daß bei ein und derselben Krankheit die Arznei stets der Konstitution des Kranken angepaßt werde. Trotz aller dieser Belehrungen wage ich nicht zu behaupten, daß die jungen Äskulape Wunder verrichten werden. Das Publikum wird nur den Gewinn haben, daß weniger Menschen durch die Unwissenheit und Trägheit der Ärzte ums Leben kommen.

Der Kürze halber übergehe ich die Botanik, die Chemie und die physikalischen Experimente, um mich mit dem Herrn Professor der Rechtsgelehrsamkeit zu befassen, der mir eine recht mürrische Miene zeigt. Zu ihm werde ich sagen: „Herr Professor, wir leben nicht mehr im Jahrhundert der Worte, sondern der Tatsachen. Haben Sie zu Nutz und Frommen der Menschen die Gewogenheit, etwas weniger Pedanterie und etwas mehr gesunden Menschenverstand in Ihre vermeintlich so tiefen Vorlesungen zu bringen. Sie verlieren Ihre Zeit mit dem Vortrag eines Völkerrechts, das nicht einmal Privatpersonen, geschweige denn die Mächtigen achten und das die Schwachen nicht schützt. Sie unterweisen Ihre Schüler in den Gesetzen des Minos, Solon, Lykurg, der zwölf Tafeln Roms, des Codex Justinianus. Aber kein Wort oder nur wenig von den Gesetzen und Bräuchen in unsren Provinzen. Zu Ihrer Beruhigung versprechen wir Ihnen zu glauben, daß Ihr Hirn eine miteinander verschmolzene Quintessenz des Cujaz und Bartolos1 ist. Geruhen Sie jedoch zu beachten, daß nichts kostbarer ist als Zeit, und daß der, welcher sie mit unnützen Phrasen vergeudet, ein Verschwender ist, den Sie unter Kuratel stellen würden, wenn er vor Ihren Richtersiuhl käme. Gestatten Sie daher, Herr Professor, so gelehrt Sie auch sind,“


1 Bartolo (1314—1357), berühmter italienischer Rechtslehrer; Jacques Cujas (Cujacius), französischer Rechtslehrer (1522—1590).