Der König an d'Alembert
(24. Februar 1781)
Die Schrift, die ich Ihnen übersandte, ist das Wert eines dilettante311-6, dem der Ruhm seines Volkes am Herzen liegt und der wünscht, daß es sich in der Literatur ebenso vervollkommne, wie die Nachbarvölker es seit einigen Jahrhunderten getan<312> haben. Ich war nicht streng, sondem habe es nur mit Rosen gegeißelt. Will man jemand ermutigen, so darf man ihn nicht herabsetzen. Im Gegenteil! Man muß ihm zeigen, daß er Talent hat und daß es ihm nur am guten Willen zu seiner Ausbildung fehlt. Insofern sind grobe Pedanterie und Ungeschmack die größten Hindernisse der deutschen Literatur. Ich gebe zu: das Genie kommt nicht so häufig vor, wie man wähnt, und viele Menschen stehen nicht am rechten Fleck. Auf einem bestimmten Gebiet würden sie Wunder vollbracht haben, auf andren gelingt es ihnen weniger. In den Schulen und Universitäten meines Landes habe ich die in meiner Schrift vorgeschlagene Unterrichtsmethode eingeführt312-1 und verspreche mir gute Erfolge davon. Gern unterschreibe ich Ihre Rüge betreffend Mark Aurel und Epiktet312-2. Immerhin werden Sie wissen, daß die Kenntnis des Lateinischen in Deutschland verbreiteter ist als die des Griechischen. Geben unsre Gelehrten sich also nur Mühe, jene Schriftsteller gut zu verdeutschen, so werden sie ihrer Muttersprache mehr Kraft und Energie verleihen. Denn daran fehlt es ihr noch.
311-6 Das italienische Wort dilettante deckt sich nicht völlig mit unsrem Lehnwort, sondern bedeutet Kunstliebhaber.
312-1 Vgl. S. 313 ff.
312-2 In seiner Antwort vom 9. Februar 1781 auf die Zusendung der Schrift über die Literatur (vgl. S. 311) hatte d'Alemoert den Irrtum des Königs berichtigt, der Marl Aurel und Epittet unter den lateinischen Schriftstellern aufgeführt hatte (vgl. S. 84).