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6. An Hermotim
Lob der Wissenschaft

Dir, Hermotim, bin ich als Freund begegnet.
Kann Dir ein Vater mehr an Liebe schenken?
Mit jedem Wunsche Hab' ich Dich gesegnet:
Muß ich Dich mahnen, an Dein Glück zu denken?

Früh reift' ich selbst die Früchte Deiner Jugend.
Nun seh' ich, ach! statt der erhofften Tugend
Das Ungestüm, das sich zum Lasier wendet,
Den Sinnenrausch, der Deinen Geist verblendet,
Den Zügel der Vernunft zerrissen schon,
Wo rings Gefahren Deinen Pfad umdrohn.
Des Aufruhrs Feuer lodert Dir im Herzen —
Was ich auch sehe, schafft mir Furcht und Schmerzen!

Jung, unerfahren trittst Du in die Welt,
Und wie Odysseus' törichte Gefährten
Verlierst Du Dich in Circes Zaubergärten;
Schon seh' ich Dich wie sie zum Tier entstellt.
Da locken Dich der Lust Sirenenlieder
Und Gaukelein in güldner Ketten Haft.
In Saus und Braus, jedwedem Zwang zuwider,
Lebst Du dahin, in Müßiggang erschlafft.
Dir schuld' ich Hilfe! Aus den Zauberketten
Will ich mit starkem Freundesarm Dich retten.
Den Trug, der Dich im Taumelglück der Sinne
Umstrickt, vernicht' ich, daß der Traum zerrinne!

Entstellt durch Lasier wird des Menschen Bild.
O sei wie einst zu edlem Tun gewillt!