<32>Doch das sind alte Fabeln, wirst Du sagen.
Manch Beispiel zeigt sich auch in unsern Tagen!
Sieh jenen Weisen, wie er, stets beneidet
Und stets verfolgt, sich dennoch still bescheidet!
Als Bayle erfuhr, daß ihm der Ehrensold,
Den Holland seinem seltnen Geist gezollt,
In Rotterdam durch eines Elfters1 Wut
Entrissen sei, verlor er nicht den Mut,
Beklagte lächelnd jenen Glaubenssireiter
Und schrieb in tiefster Armut ruhig weiter.
Kann Fürsienzorn und kann der schwarze Neid
Zum Räuber unsrer Geistesschätze werden?
Sie sind — Doch Du blickst finster und zerstreut,
Und Langeweile künden die Gebärden.
„Sieh“, sprichst Du, „dieser sechzig Wappen Zier:
„Die heben aus dem Pöbel mich heraus.
„Mein Stammbaum ist bekannt, verwandt mit mir
„Von alters her manch adelsstolzes Haus.
„Ich habe Güter, Geist und Gaben. Mich
„Sieht jeder gern, wenn nicht Frau Fama lügt.
„Natur beschenkte mich so mütterlich:
„Was würde durch die Kunst hinzugefügt?“
Gewiß, Dir war Natur sehr wohlgesinnt.
Doch laß Dir sagen, ohne daß Dich's kränkt:
Sie hat gleich viel dem rohen Stein geschenkt,
Der Seidenraupe, die ihr Haus sich spinnt,
Den wilden Reben, die im Wald gedeihn.
Die Kunst erst gibt den Schliff dem Edelstein.
Das Seidengarn, gehaspelt auf die Spule,
Von flinker Hand gewirkt am Webestuhle —
Sieh, wie's der Iris Farbenspielen gleicht
Und wie vor ihm der Blumen Pracht erbleicht!
Der Rebstock, den des Gärtners Kunst nicht pflegt,
Nutzloses Laub statt süßer Trauben trägt.
Die Kunst erst prägt die Gaben der Natur:
Wer beides eint, ist auf der rechten Spur.
1 Anmerkung des Königs: „Jurieu.“