10. An meinen Bruder Ferdinand1
Wünschen und Wähnen
Ein Mensch, ein Tor! Der Träumer Plato schrieb
Vernunft uns zu — er meint' es allzu gut!
Zum Wechsel spornt uns ein verwünschter Trieb;
Das Dasein ist ein Bild von Wankelmut.
Wir heischen jedes Ding und halten keins,
So werden Wunsch und Wille nie sich eins.
Ich sehe gern der Menschen wahres Wesen:
In ihm kann ich die eignen Fehler lesen.
Das Menschenherz, ein treuer Spiegel, blinkt
Für jeden, der sich sehn will — ungeschminkt.
Einst ging ich disputierend durch die Stadt
Mit Theophil, des Gegenstandes voll.
Ein Menschenhauf, der uns den Weg vertrat,
Geschrei, das rauh aus tausend Kehlen quoll,
Verkündete den Schwarm der Müßiggänger,
Der dort sich staute. Auch uns Grillenfänger
Trieb Neugier, durch die Menge uns zu schlagen:
Kann Torheit doch dem Weisen vieles sagen!
Sich drängend, vor- und rückwärts flutend, riß
Der Strudel uns dahin; wir drangen bis
Ins Herz der schnurrigen Versammlung vor.
Da schwatzte fink und laut ein junger Tor:
„O, käm' es bald in Süden oder Norden,
„Wo, gilt mir gleich, zu Krieg und Menschenmorden;
„Dann würden wir, statt in geringem Stand
„Uns aufzureiben, als Eugens bekannt!“
Zwei junge Offiziere waren's; kaum
Umsproßte Mund und Kinn der erste Flaum.
1 Vgl. Bd. VII, S. 278 und 289.