<88>In jedem Land und Stand erblickst Du viele,
An Gaben reich, doch wenige fürwahr
Gibts, die zu wackrer Tat empor sich rafften!
Bei vielen, die im Eigennutz erschlafften,
Erstickte Trägheit, Mißmut, Habsucht gar
Nur allzu rasch den Drang, den tugendhaften,
Der ihres hohen Geistes würdig war.
Was hilft denn auch dem menschlichen Verbande
Ein Staatsmann, der an seiner Größe hängt,
An Macht ein König, wenn auch nicht von Stande,
Der ein System zum Wohl des Staats erdenkt,
Allein sein großes Werk, mit hundert Dingen
Beschäftigt, nicht zum Ziele weiß zu bringen?
Der eine, statt zu schaffen, will genießen;
Ein andrer bangt vor Neid, und nicht verdrießen
Will er das Volk, das stets am Brauche klebt
Und über jede Neurung Lärm erhebt,
Das ihm nicht Dank für seine Dienste weiß
Und Wohltat als erlittne Unbill zählt.
Ein dritter, den die Gier nach Gütern quält,
Gibt alle Pflichten seiner Selbstsucht preis.
Er, der dem Staat ein Vater könnte sein,
Sieht, kennt und liebt nur sich allein.
Dies arge Volk läßt unsre Not bestehn
Und Recht und Brauch drüber und drunter gehn;
Die Götterlust, den Wust mit weiser Hand
Planvoll zu ordnen, ist ihm unbekannt.
Doch oft auch bringt geschickten Staatenleitern
Des Schicksals Neid den besten Plan zum Scheitern.
Selbstsucht und Mißmut, Furcht und Trägheit treiben
Mit unsrer Menschenschwäche stets ihr Spiel;
Wir alle müssen uns ins Schuldbuch schreiben:
Kein Krieger, Staatsmann, König kommt zum Ziel.
Sieh jenen Feldherrn, den der Sieg umwirbt,
Wie er dem eignen Ruhme Schranken zieht,
Dem Feinde goldne Brücken baut, der flieht,
Und seiner Mühen Frucht sich selbst verdirbt!
Die Eigenliebe, die sich schnell begnügt