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17. An Finck117-1
Tugend gilt mehr als Geist

Die heut'ge Zeit hat einen schlimmen Span,
Tollhäuslern gleich in ihrem Größenwahn:
Ein jeder, selbst der allerdümmste Tropf,
Will Schöngeist sein und ein gescheiter Kopf.
Der Wahnsinn wächst, und alles zahlt ihm Zoll;
Die Abderiten trieben's nicht so toll!

Die Welt liebt Witz und lacht die Torheit aus.
Geist! heißt es, Geist! Dann sind wir schön heraus!
Der größte Narr ist blind darauf erpicht
Und dumm wie Stroh, macht er ein schlau Gesicht.
Gleichwie das liebe Vieh auf dürrer Flur
Zu weiden scheint und kaut im Leeren nur,
Der plumpste Schulfuchs sich für geistreich hält,
Und mehr noch will man's scheinen vor der Welt:
Was tut der Mensch nicht diesem Ruf zuliebe!

Der eine splitterrichtet die Autoren.
Mit weniger Talent als sie geboren,
Tut er, als ob nur er was Gutes schriebe,
Und schmält der andren Werke schonungslos.
Er wähnt, wenn er wie Zoilus es triebe,
Hielt' ihn die leicht getauschte Welt für groß!

Ein andrer Wicht mit noch oerderbtrem Herzen
Hat seinen Spaß dran, Menschen anzuschwärzen,
<118>Spritzt Gift um sich, peitscht mit Satiren, hetzt;
Wie'n toller Hund, so beißt er und zerfetzt.
Der Dunst des Weihrauchs macht den Kopf ihm heiß;
Dem Ruhm zulieb gibt er die Ehre preis.

Und manche schweifen dünkelhaft im Blauen,
Verkünden leck, was sie da Wunders schauen;
Der blöden Menge bringen sie's als Lehre
Und hoffen so, zur Größe aufzusteigen;
Allein das Publikum dankt für die Ehre:
Es pfeift sie aus und deckt ihr Werk mit Schweigen.

Ich kenne selbst vollkommen Hirnverbrannte
Und in den falschen Schöngeist so Verrannte,
Die leugnen dreist, daß Gott im Himmel sei,
Wo doch Geschöpf und Schöpfung ihn verkünden!
Ob recht, ob falsch, gilt ihnen einerlei,
Wenn sie sich nur den eignen Ruf begründen
Als starke Geister und aus dem Gewimmel
Der Frommen ragen; drum so greifen die
Abstrakten Denker zur Paradorie!

Schirm' uns vor Geist um solchen Preis, o Himmel!
Sonst wird im unreinen Gefäße bald
Der Honigseim zu Galle sich zersetzen.
Er gleicht dem Herzen, leiht von ihm Gestalt:
Im sanften süß, muß er im harten ätzen.
Was wir auch tun, für alles will er haften,
Als Anwalt dient er schnöden Leidenschaften;
Arglistig klügelnd, löscht er zielbewußt
Der Weisheit Fackel aus in unsrer Brust.

Und doch: er bleibt ein himmlisches Geschenk
An uns, der Wohltat wenig eingedenk,
Ein reiner Strahl der Gottheit, der uns leitet
In Tun und Denken, drinnen Licht verbreitet,
Vergangnes schaut, vorweg die Zukunft nimmt,
Begreift und urteilt, folgert und bestimmt,
Der Schlüsse zieht aus dem, was sicher sieht,
Zur Einsicht führt und uns zur Vorsicht rät:
<119>An Finck. Tugend gilt mehr als Geist
So will's Natur, daß Geisteskraft im Leibe
Beseelend wohne und das Uhrwerk treibe.

Doch soll der Geist, das himmlische Vermächtnis,
Nicht falschen Vorzugs sich bei mir erfreuen
Vor lautren Herzen, ihrer Pflicht getreuen!
Habt Ihr das staunenswerteste Gedächtnis,
Erwarbt Ihr selbst ein allumfassend Wissen,
Seid Ihr voll Geist und Witz, tief und erhaben —
Das alles läßt sich, fehlt die Achtung, missen:
Mein Beifall hängt an Euren Herzensgaben!
Geist ohne Tugend ist nur Mißgestalt;
Nur sie ist unser Schmuck und fester Halt.
Ob Ihr den Papst, ob Ihr Calvin verehrt —
Seid gute Bürger und Ihr seid mir wert!
Entzückt Ihr mich durch Tugend statt Verstand,
So drück' ich freudig Euch die Freundeshand!

Der Geist verwandelt nicht des Wesens Kern:
La Orange,119-1 der den Franzosen Schande macht,
Der Pfeile schnellte wider ihren Herrn
Und holden Zauber sanfter Harmonie
Dem meuchlerischen falschen Leumund lieh,
Verband Talent mit schwarzer Niedertracht;
Man las ihn, doch im tiefsten aufgebracht!
Mit reichem Geist ward mancher ein Verräter,
Betrüger, Räuber, Mörder, Missetäter.

Cromwell, der England sich zu Willen zwang,
Ein Schurke, dem der höchste Wurf gelang,
Der seinen König auf dem Blutgerüste
Hinopferte dem eignen Herrschgelüste
Und über seinesgleichen stieg im Flug —
Auch Cromwell hat vom Helden manchen Zug!119-2

Ein böser Geist zeigt stets die Tigerkralle,
Bestrickt er auch, verführt er doch nicht immer;
Oft blendet er durch äußren Glanz und Schimmer,
<120>Doch kennt man sie, haßt man die Bösen alle.
Ihr Geist gleicht öden Steppen, wüst und kahl,
Die statt der Früchte spitze Dornen treiben.
Packt sie der Drang zur Fruchtbarkeit einmal,
Ist's schlimmer noch, als wenn sie fruchtlos bleiben.

Da diese Narrenwelt nur das bewundert,
Was sonderbar und schwer zu finden ist,
So will auf einen Ehrenmann ich hundert
Geistreiche finden in gegebner Frist;
Und Ehre mein' ich hier im strengsten Sinn,
Ein Ding, das nimmer glänzt in niedren Seelen.

Die Welt schätzt unsre Sitten obenhin,
Lobt und verurteilt, ohne lang zu wählen,
Sieht Güte, Weisheit, rechte Lebensart,
Wo sich nur Schein dem Weisen offenbart.
Der träge Simon gilt für tugendhaft;
Das macht: zum Bösen fehlt ihm Nero und Kraft.
Der Tropf Aftanius, der nichts Arges denkt,
Meint's redlich nicht: er ist nur zu beschränkt.
Der Schurke Damon fürchtet sich vor Schande,
Hüllt Lasier drum in ehrbare Gewande;
Prüfst Du sein Herz, ist alles Heuchelei!

Doch Wahrheitsliebe glüht in Varus' Brust;
Sein edler Geist entgeht dem Trug der Lust,
Bekämpft die Selbstsucht, macht von Gier sich frei,
Beugt seinen Stolz, bezwingt sein Ich und weiht
Sein Herz der Menschheit und dem Menschenleid.
Das ist die Tugend, die den Bürger ehrt!
So sei der Weise, jeglicher Gerechte!
Solch reines Wesen, solcher seltene Wert
Ist ein Juwel, das unserm Staubgeschlechte
Die geizige Natur nur selten leiht!
Du Hochgesinnter, Vorbild wahrer Güte,
Gerührt schaut Deine Weisheit mein Gemüte,
Das Deinethalb den Menschen viel verzeiht!
Aus soviel Sterblichen, die schwächlich wanken
Und wie ein Rohr im Hauch des Windes schwanken,
<121>Ragst Du, mein Held, als Eiche, wurzelstark,
Die Blitz und Wetter trotzt mit zähem Mark!
Kein Frevler schändet Dir das Heiligtum
Der Ehre; machtlos knirscht des Neides Wut.
Du gleichst dem Schiff, das siegreich trotzt der Flut;
Geist ist Dein Segel und Dein Kompaß Ruhm:
Sein Urteil ist Dein kundiger Pilot,
Zuchtlose Gier der Sturm, der Dich bedroht.
Dein Hoffen strebt nach einem holden Strand;
Sein stiller Hafen, wenigen bekannt,
Setzt Deiner Müh' ein Ziel: dort findest Du
Gewissensfrieden, tiefste Seelenruh!

Ihr wähnt vielleicht, der knausernden Natur
Gelänge oft solch hoher Wurf? Gemach!
Wir sehen sie auf einen Weisen nur
Die Mißgestalten bilden tausendfach!
Gleicht doch dies abgeklärte Sich-Vollenden
Der Venus aus des Phidias Meisterhänden!
Prüft Eure Schöngeister auf Herz und Nieren:
's ist wenig dran, das meiste dient zum Zieren;
Ein Wortgefunkel ist's voll Schelmerei,
Ein Ton der großen Welt, galant und frei —
Doch hütet Euch, ein Nichts tränkt sie aufs Blut,
Und wehe Euch, entfacht Ihr ihre Wut!
Mit ihnen ist kein fester Bund zu stechten;
Nichts Heil'ges kennen sie, nicht Scheu vor Rechten:
Wohltäter, Feinde gelten ihnen gleich.
Nichts bleibt dem Hirn, dem seichten, eingeprägt;
Sie opfern Euch dem ersten Narrenstreich.
Planlos und ziellos, wie ihr Spott sich regt,
Bauschen sie Eure kleinsten Fehler auf
Und lassen ihrer Bosheit freien Lauf;
Sie stürben, müßten sie ein Wort verschweigen!
Wohl nutzen sie Euch aus, doch geben sie
Euch nichts zurück: sowas erwartet nie!
Ihr Undank kann zum Treubruch sich versteigen —
Und Undank weiß für Wohltat Euch ein jeder!
Schlimm ist die Zunge, schlimmer ihre Feder.
<122>Ich seh' sie über dicken Büchern hocken,
Gleichwertig ihren Witzen, schal und trocken,
Ein Versschwall, den Verlegern aufgehängt;
Doch zum Gespräch des Tages wird der Klatsch!
All ihr Geschreibsel ist nur öder Tratsch,
Teils fades Zeug und teils mit Gift durchtränkt.
Bald streuen sie Verleumdung aus, bald schlagen
Sie sich mit denen 'rum, die sie verklagen,
Und der Parnaß, von ihrem Kot besteckt,
Führt eine Sprache, die nach Jahrmarkt schmeckt!

Seht einen Schöngeist nun in andrem Licht!
Gebt ihm ein Amt, Ansehen und Gewicht:
Bei Hof macht er sich rasch den Brauch zu eigen;
Er spinnt Kabalen, hinterm Rücken schmäht
Er einen Günstling, der im Weg ihm sieht.
Als Richter wird er nie Erbarmen zeigen.
Feil ist sein Urteil, und der Rechtsgang wird
Zum Labyrinth, in dem man sich verirrt.
Umsonst erhebt bedrängte Unschuld Klage;
Der Widersacher siegt mit seinem Geld,
Und das Gesetz verstummt. Doch welche Plage,
O Gott, trifft vollends diese arme Welt,
Vertraut der Fürst ihm blind des Staates Ruder!
Gleich zeigt er sich als Alberonis122-1 Bruder,
Steckt überall die Kriegesfackel an;
Ruhmlüstern strebt er nach Unsterblichkeit
— Der Art, wie Herostrat sie einst gewann.

So falschen Glanz verschmäht der Ehrenmann;
Doch zuverlässig, klug und hilfsbereit,
Stets gleichen Sinns, verschwiegen in Geschäften,
Als Hofmann schlicht, von Dünkel frei als Dichter,
Mild als Soldat und makellos als Richter,
Wird er der Ehre Regeln nie entkräften.

Sprecht frei heraus, wer Euch von beiden lieber,
Der stets Bescheidne, gut und ehrenfest,
<123>Oder der Strudelkopf, der wie im Fieber
Ein Feuerwerk von Geist aufsprühen läßt,
Der Rauch und Flamme eint und schamlos jeden
Verfolgt mit seinen spitzen Lästerreden,
Der wie'n Chamäleon die Farbe wechselt,
Euch morgens Freund ist und des Abends Feind,
Der klatscht und widerruft, bejaht, verneint
Und bald Euch schmält, bald Komplimente drechselt!
Fragt beim Verstand, dem unverfälschten, an;
Vergleicht die beiden, prüft und richtet dann!


117-1 Der Kabinettsminister Graf Karl Wilhelm Finck von Finckenstein.

119-1 Vgl. S. 9 und Bd. VII, S. 32.

119-2 Vgl. Bd. I, S. 90.

122-1 Vgl. Bd. I, S. 132 ff.; II, S. 26.