23. An Jordan163-1
(1738)
Sieh, Flora räumt, aus unfern Gärten scheidend,
Pomonen schon das Feld, so sterbensmüd!
Der Sommer schwand, Herbstwinde wehen schneidend,
Und alles dorrt, entfärbt sich und verblüht.
Des Tages Leuchte alle Macht verlor,
Frösteln rinnt durch die Welt, die bleichbesonnte,
Und täglich später tritt am Horizonte
Der Tag aus seinem Morgentor.
Colin und Lycas frohgemut geleiten
Die Ernte heim von unsern Ackerbreiten,
Und allerenden hallt das Echo wieder
Der ausgelaßnen, trunknen Schelmenlieder.
Ach, ungebundene Freiheit, Liebeslust
Begnaden reicher, tiefer ihre Brust,
Als all der Überfluß und üpp'ge Tand,
Den sich des Städters eitler Sinn erfand.
Denken beschwert sie kaum, ihr Magen
Kennt keinen Einspruch, kein Versagen;
Feldarbeit und ein karges Brot
Hält stark den Leib, die Wangen rot.
Frei bleibt ihr Sinn von Überspanntheit
Und weltvergeßner Wahnverranntheit.
Was Weltgeschick? Was Altertum?
Was schert sich ihresgleichen drum!
Vorm Draußen fiel ihr Hoftor zu,
Dahinter wohnt Gedankenruh,
<164>Wohnt Spiel und Frohsinn, Lieb' und Scherz.
Nie sah hier der tyrannische Götze
Des Eigennutzes das Neidgehetze
Nach des Paktolus gelbem Erz;
Nie keuchen sah er die Menschen hier
Unterm Joch der Begier.
Ruhmsucht, die alle Eitlen herrisch
Zu knechten weiß, sinnlos und närrisch,
Hat nichts Verführendes für sie;
Drum wagt ein unerlaubt Begehren
Und ein vermeßnes Beten nie
Die Gottheit zu beschweren.
In ihrer Ländlichkeit, wie sind sie glücklich!
Du hockst derweilen in Berlin,
Im lautsten Treiben mitten drin,
Und bist vermutlich augenblicklich
Vom heil'gen Staube Griechenlands
Und Latiums verschüttet ganz,
Mein würd'ger Freund, um Rats zu pflegen
Mit jedem Herrn gar hochgelahrt,
Der seiner zuverläss'gen Weisheit wegen
Der armen Menschheit eine Leuchte ward.
Von Deinem Trübsinn Dich zu heilen,
Und unsrer holden Narretei
Dir auch ein wenig mitzuteilen,
Steht meine Muse just mir bei:
Wir brachen auf, zu Dir zu eilen.
Du weißt, wir Dichter haben's gar leicht
Zu reisen; im Nu ist das Ziel erreicht!
So war's auch bis Berlin nicht weit,
Zum Unterschlupf Deiner Gelehrsamkeit.
Gleich an der Tür, von Buchschmuck überrankt,
Ein dicker heil'ger Augustinus prangt;
Schräg lehnt er an den Nachbarschwarten,
Verfaßt von einem überaus gelahrten
Und überaus geschwätz'gen Herrn vom Orden
Des heil'gen Benedikt; in ganzen Horden
Sieht man die trocknen Kerle all auf us
<165>Im Hausflur ausmarschiert — ein rechtes Fressen
Für'n Trödler oder Antiquarius!
Zwar Namen alle hohen Klangs, indessen
Gar schäbig von Gewand, so trotzen sie
Dem Erdgeschick, und wenig protzen sie
Im Kittel von schmutzfarbnem Pergament.
Doch nun mit frommem Graus verlassen wir
Den Tempelvorraum, der uns ja noch trennt
Von Deiner Cella, dem Studiergemach.
Wie'n Kapuziner hausest Du allhier,
In diese Freistatt dringt die Welt nicht nach.
Meister Erasmus, sieh! O feinberedter
Fürsprech der Narrheit!165-1 Aber sagt doch, sieht er
Nicht da wie ein Grandonio,165-2 groß und breit,
Wie der gewicht'ge Pförtner dieser Kammer,
In großem Folio, der Rotterdamer?
Und borten — ist's die Möglichkeit?
Die Büchermassen — lauter Kirchenväter!
So nahn wir Deinem Schreibtisch: also hier
Machst Du die Nacht zum Tage Dir
Und prägst Dir tausend Wunder ein
In Koptisch, Griechisch und Latein!
Dort Dein berühmter Abauzit165-3 — wer kennt ihn
Und wer sein Werk? — kein Titel nennt ihn;
Und da, der letzte Band von Reimerein,
Die Jean Baptiste Rousseau gedrechselt,
Seit er sein Wesen scheinheilig gewechselt. 165-4
Was mag das dort auf den Regalen sein?
Die Sammlung ist's von scharfen Diatriben,
Die ein gewandter Hugenott geschrieben,
Angriffe auf den Jesuitenorden.
Und dort auf jenen Bücherborden
Erbauliche Betrachtungen — da salbadert
<166>Ein Pfäfflein in gespreiztem Kanzelton,
Das mit dem großen „Tier“166-1 gewaltig hadert
Und mit der großen Hure Babylon;
Ungläubige trifft geschwind die Höllenpein,
— Aus lauter Christenliebe sicherlich —
Erbauungsschriften kurz für Papagein!
Nicht weit davon fand gar ein Opus sich,
Darin von Ungeziefer war zu lesen.166-2
Und dort ein Quellenwerk fürs Sektenwesen.166-3
Höchstselbst nahm seinen Sitz bei Dir Apoll,
Der Dir, daß Dein Museum werde voll,
Aus eigenen Helikonischen Beständen
So mancherlei geruhte zuzuwenden.
Berief auch einen Schatten hohen Ranges,
Den Freund des klaren Denkens, Herrn Horaz,
Dir nah zu sein; der ziere Meister tat's
Und sprach im Wortlaut seines frohen Sanges:166-4
„Das sei unsre ernsteste Sorge jetzt:
„Der Wein, der das Herz uns am lieblichsten letzt;
„Was hat es für Sinn, was hat es für Wert,
„So ein Planen und Sorgen
„Übers Heut und Morgen?
„Weitschauend Erwägen den Kopf uns beschwert;
„Wer weiß, wie bald
„Spricht die Parze ihr Halt,
„Die mit ihrer Schere dazwischen fährt.“
Nicht weit davon sieht einer eingereiht,
Ein Eifter für Vernunft und Richtigkeit,
Als Spötter oft zu scharf, zu grob, zu roh,
Doch am Parnaß beliebt, Herr BoUeau.
Mit Weltmannsmiene folgt sodann
Der überlegne Lucian,
Ein liebloser Spötter, doch niemals langwellig;
Der himmlischen Götter ist keiner ihm heilig,
<167>Und jedem hängt er Schabernack an.
Dann kommt da einer von des Pontus Ufer,
Der Einsamkeiten sehnsuchtsvoller Rufer,
Der allzu farbig schier sein klagend Lied
Aus seines Schauens Fülle hat geschmückt,
Und doch die Leser immer neu entzückt —
Der zärtliche Ovid.167-1
Dann weiter der berühmte Skeptiker,
Bayle, ein gewiegter Dialektiker;
Hei, wie er schneidig in die Schranken ladet
Die Herrn Doktoren, in den Sand sie schmeißt,
Die Glaubenseifrer, und zu Boden reißt
Der Theologen Dünkel, gottbegnadet,
Er, der dem Reich des Irrwahns stets geschadet.
Homer, den guten alten, schau' ich da,
Wie der sich von Voltaire verdunkelt sah
Und schamhaft sich in sein Gedicht versteckte,
Das ihm die Schar seiner Getreuen deckte.
Darüber hab' ich, kostbar eingebunden,
Den großen Schildrer der Natur167-2 gefunden,
Der, Romas Herrlichkeit zu mehren,
Mit seinen Versen mehr getan,
Als Ruhm und Größe ihr gewann
Ein Cäsar je mit seinen Siegesheeren.
So hohen Toten zugesellt,
Mein Jordan, sucht Dein Forschergeist
Das Sein und Wesen dieser Welt,
Woher sie kam, was sie erhält —
Ein Flug, der immer höher weist.
Glaub' mir, ich ehr' Dein hohes Streben,
Den Ernst, dem nur die Arbeit Leben;
Doch, mein Iordanus, magst Du Dir
Mit köstlich-seltner Lorbeerzier,
Die auf dem Pindus männiglich
Der eine tut dem andern neiden,
Im Leben schon Dein Haupt umkleiden —
Macht Dich das glücklicher, Geliebter, sprich?
<168>Bedenk die viele Müh und Plag',
Eh' zur Unsterblichkeit man dringt!
Lohnt denn, was mühsam man erlernen mag,
Das Freiheitopfer, das man dafür bringt?
Wie kann Dein Stolz sich so betrügen,
Mit Weihrauchdunst Dich zu begnügen,
Wo Du ein rechtes Herzgenügen
Und Daseinsfreude haben kannst!
Verstündst Du Dich, mit uns zu leben
Im frohen Kreis, Du, dem's gegeben,
Daß Du so manches Herz gewannst!
Wie in den letzten Herbsiestagen,
Wenn treulich in Pomonas Hut
Den Jahreszoll sie abgetragen,
Die Erde friedeatmend ruht,
So gönn' auch Du
Dir Feierruh.
Kehr wieder, hier ist's friedestill,
Hier sehnt sich alles Dir entgegen;
Mit jeder Lust, mit jedem Segen
Freundschaft Dich hier beglücken will...
Bedenke: mehr denn eine Lust
Hat Raum in einer Menschenbrust!
Welch schlechter Wirt ist doch der Sparer da,
Der sich von allem, was ihn freuen könnt',
Aus Kargheit nie den vollen Nutzen gönnt.
Chasot168-1 schwärmt für die Jagd und für Trara,
Jordan für Nächte, still beim Lampenschein,
Cäsarion168-2 für geleerte Flaschenreihn.
Der strebt nach Höflingsglanz und Gloria,
Der kann nicht ohne Liebesseufzer leben,
Und dem muß stets vom Ruhme dieser Welt
Ein Weihrauchwölklein um die Nase schweben.
Der dicke August168-3 braucht ein Heidengeld
Für seine Tafel; nun, und ich? — ich leime
Mir selbst zur Freude, Reim an Reime.
<169>Da wie ein Schatten unsre schönsten Tage
Vorüberwandeln, weiser Jordan, sage:
Warum denn unsre Freuden noch beschränken?
Wie sie zu mehren, das laß uns bedenken!
Wer sich aufs Leben will verstehn,
Läßt ihrer keine sich entgehn.
Auch Du denkst so, ich weiß es ganz bestimmt,
Denn Deine Weisheit, Deine abgeklärte,
Ist keine, die in überflüss'ger Härte,
Griesgräm'gem Ernst sich übernimmt.
Sah ich doch selbst in frohgeselligen Stunden
Dein Haupt, das des Parnasses Würde krönt,
Von Myrtengrün und Weingerank umwunden,
Sodaß mir's war, als säh' ich Dir verbunden
Uranien, die zur Venus sich verschönt,
Säh' die Vernunft, umschwebt vom Grazienreigen,
Sich wohlbedacht zur Weltlust niederneigen.
Komm denn! Ein Feuerhimmel andrer Art
Mit flücht'gen Erdenfreuden Deiner harrt!
Doch, hörst Du, bald! und Deinen Schritt beeil'!
Für uns gibt's ohne Jordan hier kein Heil.
Die alten Buchen kennst Du, die so kühn
Die Häupter recken, weitum breitend
Ihr Astgewirr, und unter üppigem Grün
Mit Schattenruh uns überspreitend —
Ein Bild, als wollten sie mit ihren Wipfeln
Der Himmelswölbung sich entgegengipfeln.
Dort, Jordan, in der trauten Dämmernacht,
Ist Wohlsein — mehr als unter Säulenpracht;
So schlicht und schmucklos war, in Heimlichkeit,
Der Sitz der Wonne zu der Väter Zeit.
Dort harr' ich, Jordan, Dein. — Wie gern in Ruh
Schau' ich von da, befreit vom Standeszwange
Und frei von jedem Ehrsuchtdrange,
Dem stillen Ablauf meines Lebens zu.
Ein Denker, dem nach Wahrheit sieht der Sinn,
<170>Will ich nicht mehr, denn was ich hab' und bin.
Dort, ganz beseelt von meines Gottes Feuer,
Werf' ich in Versen hin manch flüchtig Bild;
Dort weckt mein Mund zum Klange meiner Leier
Mit manchem Freundesnamen, der mir teuer,
Des Echos Widerhall; und nicht gewillt,
An Hasser und an Neider mich zu kehren,
Möcht' ich, den Freunden zärtlich zugetan,
Das Herz voll Mitgefühls mit jedermann,
Dem Dienst der ganzen Menschheit angehören.
So sonder Furcht und Bangen, halt' ich still,
Abwartend, welches Los mir fallen will.
163-1 Charles Etienne Jordan, der Freund, Sekretär und literarische Berater Friedrichs. Vgl. Bd. VII, S. 275; VIII, S. 211 ff.
165-1 Anspielung auf Erasmus' Schrift: „lob der Narrheit.“
165-2 Der Riese Orandonio, ein Sarazenenfürst in Spanien, ist einer der Helden in Bojardos Epos „Orlando innamorato“.
165-3 Anmerkung Friedrichs: „Ein Genfer Professor, den Jordan als großen Schriftsteller zitiert, den aber zu kennen lein Mensch die Ehre hat.“ Gemeint ist Firmian Abauzit (1679—1767), ein philosophischer und theologischer Schriftsteller, der nach dem Edikt von Nantes nach Genf geflüchtet war.
165-4 I. B. Rousseau (1670—1741), der Verfasser sehr freier und schlüpfriger Verse, kehrte in späteren Jahren den Strenggläubigen heraus.
166-1 Offenbarung Johannis, Kap. 17.
166-2 Anmerkung Friedrichs: „Réaumur.“ Es handelt sich um den Physiker und Naturforscher René Anton Ferchault de Réaumur (1683—1757), den Verfasser der „Mémoires pour servir à l'histoire des insectes“ (Paris 1734/42).
166-3 Anmerkung Friedrichs: „Die Bibel.“
166-4 Vgl. Oden l, 11.
167-1 Vgl. Bd. VI, S. 387.
167-2 Anmerkung Friedrichs: „Virgil.“
168-1 Vgl. S. 160.
168-2 Dietrich von Keyserlink, der gleichfalls zum Rheinsberger Freundeskreise zählte, führte den Namen „Cäsarion“.
168-3 Anmerkung Friedrichs: „König von Polen.“