<208>

Dritter Gesang
Dargets Entführung208-1

Es gibt ja nichts als Glück und Malheur!
In dieses verworfnen Jahrhunderts Tagen,
Mit Blindheit geschlagen,
Strolcht die Göttin Fortuna umher,
Um den Nichtsnutz und den Lumpen zu krönen.
Die Tugend, die in vollen Tönen
Ein jeder predigt, jeder preist,
Sie bleibt im Banne der Armut zumeist,
Verkauft und verraten dem Ungefähr,
Muß in Ketten geschlagen
Schimpf und Schande ertragen.
Und ob man ein Held gleich wie Cäsar wär',
Pompejus, Scipio oder die anderen Großen —
Hat das Geschick deinen Fall mal beschlossen,
Eine Zeitlang magst du brav um dich schlagen,
Endlich kriegt es dich doch beim Kragen.

Leichtherziger Leser, du glaubst mir's nicht?
So höre meine traurige Geschicht,
Vernimm den Jammer und das Weh,
Die widerfuhren dem armen Darget.
Nie kann ich den traurigen Fall vergessen,
Noch heute will er mir Tränen erpressen!

So hört! Auf österreichischer Seiten,
Wo alle Pläne ins Wasser gefallen,
Gab's unter vielem Erörtern und Streiten
<209>Lange Gesichter bei allen.
Was litt das arme Karlchen für Pein
Unter dem Hohn des bissigen Stein!
Was ließ der an spöttischen Geistesblitzen,
Plumpen Späßen und boshaften Witzen
Auf unfern armen Lothringer flitzen;
Das machte die Runde
Von Mund zu Munde.

Schon hebt das Untier, der Vogel Klatsch,
Sich auf zum Weltenflug, um all den Tratsch,
All die Verleumdung auszustreun.
Das Scheusal scheint zu Anfang klein,
Doch eh' man's denkt, so reckt es sich,
Und auf zum Himmel streckt es sich,
Und stößt es da oben an mit dem Schädel,
So streift es die Hölle mit Klauen und Wedel.
Das fabelhafte Federvieh,
Es ruht sogar im Fluge nie:
Da schnappt es auf, was hie und da
Noch etwa in der Welt geschah,
Und was die Leute dazu sagen.
Es soll — was ich ein Wunder nenne,
Wie ich's unheimlicher nicht kenne —
Soll unter jeder Feder tragen
Augen, Ohren, Münder!
Von Aufgang bis zum Niedergang
Zieht's so die ganze Welt entlang,
Und was da wahr ist, doch nicht minder
Was nur geträumt, was nur erlogen,
Was ganz geheim, was niemand weiß,
Das schreit es aus und gibt es preis.
So kam's laut schreiend auch geflogen
Zum beiderseitigen Lagerfeuer,
Das niederträchtige Ungeheuer.

Das gute Karlchen seufzte schwer und tief.
„Ist das mein Lohn?“ der Wackre rief.
„So treu den Heiligen ergeben,
„Ernt' ich in diesem irdischen Leben
<210>„Nur Not und Plage!“
Doch zu ihm trat
Freund Kolowrat:
„Prinz, keine Klage!
„Wer nimmt sich zu Herzen des vermaledeiten
„Jammertales Verdrießlichkeiten,
„Wenn ihm bestimmt der Unsterblichkeit Krone,
„Seiner Gottseligkeit zum Lohne?
„Die ja doch dem nur zugedacht,
„Den die Welt tat in Bann und Acht!
„Heil, wen das Leben zwickt und brennt und kneift,
„Der so dem bessern Sein entgegenreift!“

Der ritterliche Rosieres vernimmt
Das fromme Gesäusel und schilt ergrimmt:
„Potzblitz, heißt das wohl soldatisch gesprochen?
„Das kapuzinerhafte Salbadern?
„Mein Prinz! Ihr habt doch noch Mark in den Knochen,
„Mut in der Brust, Glut in den Adern!
„Ich sag' Euch: Die Nacht darf herauf nicht kommen,
„Eh' Ihr nicht für die Kränkung, die schwere,
„Sühne geschafft und Rache genommen —
„Die Kränkung des Himmels und Eurer Ehre!“

Dem Lothringer gab dies Männerwort
Erneute Zuversicht sofort,
Und er sprach: „Die Geschichte war scheußlich peinlich!
„Wie wär's, wir machen es wieder wett?
„Daß es um Kopf und Kragen gleich geht,
„Ist kaum wahrscheinlich!“
Da gab's im Lager ein Hin und Her,
Wie das wohl am besten zu machen wär';
Zuletzt ward Franquini, ein rauher Kroat,210-1
Erwählt zum Vollstrecker der Tat.
Drauf unverweilt,
Den Handstreich beizeiten
Recht vorzubereiten,
Wurden die nötigen Befehle erteilt.
<211>Schon wähnte Nepomuk auf seiner Brücken,
Er braucht' sich nach dem Siege nur zu bücken,
Doch Hedwig lachte seiner Sicherheit
Aus Herzensgrunde, und sie mußt' warum:
„Nur zu! Was gilt„s? Ihr kommt nicht allzu weit
„Mit eurem Anschlag, er ist gar zu dumm!“
Mit einem Blicke liebewarm
Nahm sie Genoveva beim Arm:
„Mein liebes Schwesterlein, vernimm,
„Mit meinem Französisch sieht es sehr schlimm!
„Ich habe keine Lust, mit Barbarismen,
„Groben Schnitzern und Germanismen
„Der Dienerschaft des Pariser Marquis
„Einen Spaß zum besten zu geben,
„Daß sie mich auspfeifen überdies;
„Darum wär's wohl das beste eben,
„Wenn ich das Wichtigste dir überließ“:
„Gib Kunde ihm, der noch nichts ahnt,
„Was der Franquini wider ihn geplant.
„Er soll sich verschanzen auf alle Fälle
„Inmitten der preußischen Lagerwälle.“

Da eilte die göttliche Schirmerin
Der Seinestadt durch die Lüfte hin;
Doch ehe sie zum dicken Marquis gekommen,
Hat sie eine andere Gestalt angenommen:
In einem Gewande nach welschem Schnitt,
Trat sie daher mit Stutzerschritt,
Ein Adonis, ein Kerlchen wie Milch und Blut,
Apoll an Wuchs und blondem Schopf,
Ein allerliebster Lockenkopf,
Die Nase hoch, die Augen blitzen;
Ein Lächeln voller Schelmenübermut.
An Hals und Ärmeln reiche schöne Spitzen;
Wie straff ihm seine weißen Strümpfe sitzen!
Die Schuhe mit roten Hacken verziert,
Den Rock mit Tressen und Litzen verschnürt.

Eben erging sich der dicke Marquis
Am Elbstrand mit seinem geliebten Darget.
<212>Trat zu ihm die Heilige: „Freund Valory,
„Ich hatte für Euch was übrig von je,
„Obschon Ihr ein Schürzenjäger seid
„Und ein Freund der leichten Weiblichkeit.
„Wenn Ihr nicht gar so unklug wärt,
„Daß man Euerwegen in Angst muß schweben,
„Hätt' ich mich nicht damit beschwert,
„Euch in Person einen Wink zu geben.“

„Kommt da solch kleiner Bursche an,
„Der zur Not einen Liebesbrief schreiben kann,
„Mit weisen Lehren! Solch Gernegroß'“
Lacht Valory, völlig ahnungslos.

Und sie darauf: „Denkt, was Ihr wollt!
„Nur so viel: gebt in dieser Nacht
„In Eurem Zelte sorglich acht,
„Daß nicht der Österreicher Euch holt,
„Der sich den Streich längst ausgedacht!“

Valory findet das äußerst spaßig:
„Der Tausend! Sagt, woher wißt Ihr das,
„Was erst geschehn soll? Mich holen! Was!
„Ich sag' dir, mein Junge, den Frechling, den faß ich!
„Nein, hör' mal, der Einfall ist zu verdreht!''
Auf einmal — Zeichen und Wunder! — ersieht
Ein schimmernder Lichtkranz, ein schwebender Schein,
Der Leib der Heiligen wird ätherfein,
Ein Luftgebild, wie ein Hauch, der verweht.
Der gute Darget verdonnert sieht
Mit offnem Mund; und wie vom Schlag
Getroffen, der dicke Marquis vermag
Kein Glied zu rühren, von Schreck wie versteint;
Zuletzt seine Geister sammelt er
Und wie von Sinnen stammelt er,
„Himmelsspuk holder, wie ist das gemeint?
„Seid Ihr ein Engel? Ein Höllengeist?
„Habt die Gewogenheit, sagt, wie Ihr heißt!“
Drauf unsre gütige Heilige spricht:
„Genoveva bin ich, erkennst du mich nicht?
<213>„Dich zu retten, mein Schützling, komm' ich geschwind,
„Weil ein Heiliger, ein Erzschelm, auf dein Verderben sinnt.“

„Heilige, mein Hoffen ist all bei dir!“
Andächtig sank er zu Füßen ihr,
Bekreuzte sich ftomm und schlug sich die Brust;
Zu dreien Malen in Glaubensverlangen
Ihre Knie wollt' er umfangen,
Zu dreien Malen sie lassen mußt',
Die wie ein Traumbild im Arm ihm zergangen.
Fort war sie, fort. Was nun anfangen?
Ob's nicht geraten, der Sicherheit wegen
Für diese Nacht das Quartier zu verlegen?

Da war, nah am Lager, ein kleiner Flecken,
Und auch für ihn kam einmal der Tag,
Da ward er berühmt mit einem Schlag:
Iaromircz
(Dafür ist kein Reim auszuhecken).
Wie soll ich) diese verlaßnen Mauern beschreiben,
Um der Geschichte nichts schuldig zu bleiben?
In diesem Nest, obwohl solche
Behausung für Savoyardenstrolche
Kaum anstehn mag, bezieht nunmehr
Unser Marquis sein Losament,
Und meint noch wunder, wie schlau er wär'!
Wo ihm von einem erlesenen Regiment
Ein Posten ward vor die Tür gegeben,
Zu behüten sein teures Leben
Und zu bewahren die Gegend rundum
Samt dem großen Palladium.

Doch hört, wie als Abgrund von Witz und Geist
Sich jetzo Frankreichs Gesandter erweist!
Was sagt ihr? Am vorderen Tor
Schob er den Riegel davor,
Die Hintere Tür indessen,
Wo die Entführung offenbar
Am leichtesten zu machen war,
Hat er zu schließen vergessen!
<214>Saß der Verrat doch sowieso
Unter dem Dach von faulem Stroh;
Denn der Wirt war bestochen schon
Von Franquini um schnöden Lohn.
Zwei Räume barg das traute Dach:
Der vordre ward das Schlafgemach
Des braven Sekretarii,
Im hintren ruhte der Marquis.

Kaum ist es finster worden, liegt im Bette stracks
Valory und schläft wie ein Dachs;
Im Nebenraume bettet sich Darget,
Der seiner Heldentaten stolze Koryphä':
Fromm noch den Rosenkranz durchlief er,
Dann schlief er.
Da — himmelhernieder durch die Nacht
Herschwebt der heilige Stephan 214-1 sacht,
Und setzt sich unserm biederen Tropf
Im ersten Schlaf grab auf den Kopf.
„Ei, ei, mein Sohn, sie wollen dich greifen!
„Ich seh' im Feld da draußen, geführt
„Von dem Halunken, eurem Wirt,
„Schon lange den schlimmen Franquini streifen!
„Und du — du schläfst hier wie ein Dummer?“
Darget erwacht aus seinem Schlummer
Mit einer Gänsehaut,
Horcht in die Nacht und um sich schaut.
Nichts! Keine Seele! Er ist allein!
Und er schläft wieder ein.
Gleich meldet sich wieder die Spukgestalt:
„Gib acht, Darget, sie holen dich bald!“

Es ist eine Stunde nach Mitternacht —
Die Schelle geht draußen — es lärmt und kracht;
Läßt ein Pandur, der wild aufs Plündern,
Sich durch einen geschlossenen Riegel hindern?
Krach — bumm! Schon ist die Türe eingetreten!
Was tut jetzt das wackere Schreiberlem
<215>In solchen Nöten?
Frankreichs Sache gilt's hier — das begreift er,
Ich sitz' in der Falle — das sieht er ein:
Er reißt sich zusammen, den Nacken steift er
Und schnarrt: „He, wen sucht ihr?“ — „Nun, den Marquis!
„Das Tafelgeschirr von Valory
„Und seine Möbel und Staatsperson.“ —
„Wohlan“, sagt Darget, „die habt ihr schon:
„Ich bin der Gesandte! Und wenn ihr wollt,
„Sind hier auch Beutel mit Louis in Gold.“

Das Raubgesindel, eh' man's gedacht,
Flugs hat es reinen Tisch gemacht;
Nur — weiß der Himmel, wie das gekommen:
Hatten sie's in der Elle nicht acht? —
Von dem andern Verschlag,
Der daneben lag,
Hat keiner weiter Kenntnis genommen!

Kaum traf der Höllenlärm sein Ohr,
Fuhr der dicke Marquis aus dem Schlaf empor.
Unfehlbar ereilte ihn sein Geschick,
Wenn nicht in diesem Augenblick
Seine holde Heilige wieder
Vom Himmel stieg hernieder.
Er war grab aus dem Bette gesprungen
Und wollte, schreiend aus vollen Lungen,
Splitternackt
Dem Räuberhaufen
In die Arme laufen,
Da ward er gepackt!
Die Heilige, in himmlischer Iüngferlichkeit,
Hatte zum Glück einen Fächer bereit;
Dahinter in schämigem Erschrecken
Konnt' sie ihr liebliches Antlitz verstecken,
Nur ganz bescheiden in magdlicher Tugend
Dabei durch die Gitterstäbchen lugend.
Gott, wie die Weiber nun mal sind!
Ihn aber, der ja toll und blind,
Versenkt sie geschwind —
<216>Zeichen und Wunder! Eins, zwei, drei —
In tiefen Schlummer, schwer wie Blei;
Indes die Räuber
Den guten Schreiber
Von dannen schleppen mit Siegesgeschrei,
So wie er vom Leib seiner Mutter gekommen
Die dummen Kerle, sie glauben, nun sei
Das Vogelnest ausgenommen
Und sie trügen im Triumphe davon
Der Preußen großes Palladien!

Sankt Hedwig jagt jetzt die Wache auf:
„Feindio! Korporal! Dran und drauf!
„Ihm nach, dem Räuber, dem Bösewicht,
„Helft mir, tut eure Soldatenpflicht!“

Die wüste Rotte, die mitgehn läßt
Was nicht niet- und nagelfest,
Pufft und schleift den armen Darget
Durch den Garten — da, o weh!
Auf einmal Donner und Krach!
Saust ihr eine preußische Salve nach.
Nie wurden in Rußland auf einer Jagd
So viele Bären erlegt, wie in dieser Nacht
In Iaromircz Panduren
Gradwegs zur Hölle fuhren.

Nun werdet ihr alle in Ängsten schweben:
Wie soll nur Darget das überleben?
Nach vorn von den Feinden gestoßen,
Von hinten von den Freunden beschossen!
O keine Sorgen! Da naht ja schon
Der heilige Stephan, sein Schutzpatron;
Der stellt sich als Kugelfang trutzig dazwischen,
Wie die Geschosse den Liebling umzischen,
Und fängt sie weg von rechts, von links.
Ja, sagt der Leser, dann allerdings!

Der rauhe Franquini, ahnungslos,
Wie schlimm er heut hereingefallen,
<217>Trieb vorwärts, immer vorwärts bloß.
Wie ward das Herz ihm weit und groß,
Das schon den Vorgeschmack genoß
Der Ehre, die vor allen
Ihm heute zugefallen.
Barfüßig stolpert Darget hinterdrein,
Sinkt bis zum Knie in den Straßenschlamm ein.
Er zieht ein Maul. Er zittert und friert,
Und er fiucht dem Geschick, das die Menschen führt.
Und mit Füßen, von Dornen zerrissen,
Meilenwärts immer vorwärts zu müssen!
So hat er sich fluchend weitergequält,
Bis der Morgen graut und der Reitertrupp hält,
Wo sich Franquini sein Lager gewählt.

Jetzt seht den Schlingel! Wie's ihm gefällt,
Zu spielen den Mann von Bildung und Welt:
„Mein Herr Gesandter, Ihr Abenteuer
„Ihr mißliches, dauert mich ungeheuer,
„Wiewohl für mich das Vergnügen nicht klein,
„Der glückliche Anlaß dazu zu sein.
„Gewiß, es ist hart, so ohne Wagen,
„Dazu mit nackten Beinen und leider
„Ganz ohne Kleider
„Sich meilenweit durch die Welt zu schlagen;
„Allein ich denk mir das äußerst tröstlich,
„Wenn wir, auf diesen Gram und Schreck,
„Dort drüben in meinem Felsversteck
„Von diesem Geschirr, das wirtlich köstlich —
„Gestern war's Ihrs noch und heut' ist's mein —
„Selbander einen Imbiß nähmen ein.“

Der Zeitpunkt schien sich am besten zu schicken,
Um mit der Wahrheit herauszurücken,
Die freilich nicht immer ergötzlich ist;
Drum, ohne lange Rederei
Erklärte der Schreiber, wer er sei,
Den Spaß der Verwechslung und seine List.
Hallo, Freund Österreicher, sag,
Wie wird dir plötzlich? Rührt dich der Schlag?
<218>„Ha! Rache!“ so tobte der los.
„Verwünschtes Pech! Mein Heldenlos!
„Du Hund! Du Schelmfranzos!
„Was ich so fein ins Werk gesetzt,
„Das stiehlst du mir zu guter Letzt,
„Du Lump! Du Schuft! mein höchstes Glück,
„Den Ehrentag — mein Meisterstück!
„Well du zum Trottel mich gemacht,
„Wirst du unfehlbar umgebracht!“
Ein langes Messer zog er blank
Und es dreimal um den Schädel schwang;
Und der entmenschte Wüterich
Hätt unserm Freunde sicherlich
Den Kopf vom Halse abgesägt,
Wenn ihm ein alter Ungar nicht
Die Hand auf seinen Arm gelegt:
„Ihr wißt doch, Herr, was unsre Pflicht:
„Jeder Gefangene, den man macht,
„Wird erst vor den Lothringer gebracht!
„Drum sage ich, verschont diesen Mann,
„Der Wichtiges verraten kann.“
Franqmm schnauft und rollt die Augen noch,
Und knirscht und flucht — zuletzt gibt er sich doch.

Nun durch den tiefen, wildböhmischen Wald
Setzen sie sich in Marsch alsbald.
Wo nie der holde Tagesstrahl
Sich durch die Nacht der Wipfel stahl,
Im dicksten Dickicht, da, wo tief
Die Waldnacht unter Tannen schlief,
Da öffnet sich ein Felsenschlund,
Wie ein Abstieg zu der Hölle Grund.
Hier hatte Franquini sein Versteck,
Sein Diebesnest, sein Wolfsgeheck.
Und schon vorm Eingang zieht ein Hauf'
Verwegener Gestalten auf.
„Nun, wieder da? Wie ist's denn gegangen?
„He? Was gefischt? Was erwischt? Was gefangen?
„Halbpart! Was hast du uns mitgebracht?“
Und man umarmt sich, man schwatzt, man lacht,
<219>Und an ein Lärmen und Prahlen geht's:
„Ja, unser Franquini, ja, der versteht's!“

Darget, ohne Hemd und Unterjacke,
Ein Hauptspaß ist er dem ruppigen Packe:
„Haha, du kamst in die richtigen Hände!
„Laß dich mal anschaun: hast du am Ende
„Irgendwo noch einen Louisdor?
„Raus damit, Freundchen! Uns machst du nichts vor!“

Der arme Darget war ganz kleinlaut, ganz stumm;
Die geschundenen Füße, sie taten ihm weh!
Ach, alle Glieder zog's ihm krumm!
Sein Dulderblick suchte die Himmelshöh'
Und klagte: „Erbarmen! Ich bitt' euch drum!“
Franquini verscheucht sie mit der Bemerkung:
„Es ist mein Gefangner, das seht ihr doch!
„Nehmt ihn hinein in mein Felsenloch,
„Verpflegt ihn und gebt ihm 'ne Herzensstärkung.“

Sie taten schleunigst befohlenermaßen,
Denn der Franquini ließ nicht mit sich spaßen.
Und zwei Panduren, Kerle wie Hünen,
Mit väterlichen Biedermienen,
Die führten den Gast in die Tiefe hinein;
Denkt euch einen Felsenschacht,
Dessen geheimnisvolle Nacht
Noch nie gelichtet ein Tagesschein!
Man sah die Hand vor Augen kaum;
Und schon umwölbt unsern tappenden Mann
Ein düstrer Riesenkuppelraum,
Zwei Grubenlichter zittern voran,
Er geht hinterher halb wie im Traum.
Nun eine Grotte, und sie sind da.
Und sieh, schon ist auch Franquini nah!

„Nun wascht ihn, er hat's nötig!“
Da eilen diensterbötig
Beeimert herbei
Diebsweiber zwei.
<220>Die waschen, begießen
Von Kopf ihn zu Füßen,
Und striegeln und salben
Ihn allenthalben.
„Nun Kleider dem Gast!“
Sie stiegen in Hast
Und bringen zum Vorschein
Ein Hemdlein wie Flor fein,
Mit einer Mechelner Spitzenkrawatte,
Ein Prachtstück, das vorher ein Preuße hatte.
Zwei zierliche Schuh
Reicht die eine ihm zu —
Zum Unglück sind bloß
Seine Füße zu groß;
Eine andre ihm über die Schultern streift
Einen schweren Staatsrock, in dem er ersäuft —
Franquini sackte ihn ein
Im Feldzug am Rhein.
Einen Filz, den eine Schnur umsticht,
Stülpt man zum Schluß auf sein Gesicht.

„Hallo, Gesindel!“ Franquini schreit,
„Das Mahl gerüstet, 's ist höchste Zeit!
„Mein Hals ist trocken, es knurrt mein Magen!“
Und die Dirnen rannten, um aufzutragen.
Mit Kerzen ward festlich die Tafel erhellt;
Die steuerte irgendwo in der Welt
Ein Altar zu Franquinis Lustbarkeit —
Mag sein auch, er hatt' sie sich selber geweiht.
Pompös! Das Tafelgeschirr des Marquis',
Das der Pandurenkerl mitgehn hieß!
Darget erklärt, ein Kunstwerk sei dies,
Von der Hand des Meisters Germain220-1 in Paris!
Franquini lacht: „Freut mich zu hören;
„Dafür halt' ich's auch doppelt in Ehren.“

Vierzig Schüsseln fahren jetzt auf,
Allerhand leckere Dinge drauf,
<221>Lammbraten, zarte Hühnchen und Kälber.
Gestohlen war alles — versteht sich von selber!
Böhme wie Preuße — einerlei:
Jeder trägt zu den Kosten bei.
Der Jammer des Kriegs, 0, der nährt seinen Mann —
Wir fressen uns dick und fett daran!

Lustig! Nun läßt er Champagner holen;
Bald schäumt es und perlt es in jedem Glas.
Portwein, Tokaier, gelb wie Topas!
Alles geraubt und gestohlen!
Immer hinab mit dem vollen Pokal —
Schon gibt's ein betrunkenes, wüstes Geprahl.
Und Darget? Ob er dreinhaut?
Ach Gott, der saß ganz kleinlaut
Und aß nur eben,
Was man braucht, um zu leben.

Später kamen die Dirnen herein.
Nun waren da leider auch Mägdelein,
Mit jedem Liebreiz der Jugend geziert,
Die schauten mit wilden Angstaugen drein.
Sie waren geraubt und entführt,
In die Nacht des Räuberlochs hier,
Preisgegeben der rohen Begier
Franquinis und seiner verkommnen Bande,
Preisgegeben gewaltsamer Schande!

Schon nahte das Ende der Gasterei,
Kam noch ein Trupp Panduren herbei,
Die kehrten verfroren zurück
Und priesen ihr Räuberglück.
Ganze Herden brachten sie
Rings von den Weiden und aus den Ställen,
Schafe und Schweine, auch Federvieh;
Und freundlich die Höhlenwelt zu erhellen,
Geweihte Kerzen aus den Kapellen.
Zum andern schleppten sie davon
Des Pfarrers Magd, eine schmucke Person,
Sowie des Amtmanns Töchterlein,
<222>Ein unschuldiges Mädchen, schmuck und fein.
Zu schweigen eines Haufens gelber
Dukaten — von denen schwiegen sie selber!
Als Räuber ist selbst der Pandurenkerl schlau;
Denn was er stiehlt und behält, das weiß er genau.
Gleich geht's ans Teilen: Franquini verfügt:
„Für uns die Mädchen! Ihr aber kriegt,
„Ihr Kerls, den ganzen Branntwein
„Und Schöps und Rind und Landschwein.“

Bald hallten und widerhallten die Höhlen
Vom Brüllen der Tiere, vom Quieken und Gröhlen.
„Schlaf hin, Schlaf her!“
Die Strauchdiebe lachten:
„Ein Schweindel zu schlachten,
„Das frommt uns mehr!“
Ein paar der fettesten unverweilt
Werden abgestochen und redlich verteilt.
Nun Holz herbei; schnell Stahl auf Stein,
Schon stieben die Funken drein,
Aufglimmt im Brand der Schwefelfaden,
Jetzt brennen die Lichte. Und um die Wette
Schmoren die Braten, gewickelt in Fladen
Von triefendem Fette.
Dann liegt man gemütlich
Und tut sich gütlich,
Ein jeder zufrieden mit seiner Portion
Wie die Helden von Ilion.

Jetzt bringt man die Mädchen dem rauhen Franquini,
So recht was für unfern Rinaldini!
Welch Schauspiel: Unter den Räubern allen,
Den verwilderten, solch ein junges Ding,
An dessen Lieblichkeiten hing
Jedes Auge mit Wohlgefallen.
Die Dame, die einstmals in Griechenland
Dem Menelaos durchgebrannt,
Die Wunderholde, derenwegen
Ganz Asien sich in Waffen geeint,
Und Priamos blutige Tränen geweint —
<223>Ich sage, sie war nichts dagegen!
Auch glich unsre Schöne nicht euch, ihr Prinzessen,
Die immer schön sind — von Hoheit wegen!
Ist's doch ihr Amts- und Staatskleid — indessen
Versucht's doch, den Prunk einmal abzulegen,
Den Edelsteinflimmer, das Drum und Dran,
Und guckt euch dann mal im Spiegel an!

Ganz ausgelöst in Tränen und Harm
Trat das liebliche Kind vor den tobenden Schwarm;
Im Schlummer schleppte man sie heraus,
Das zarte Geschöpf, aus dem Elternhaus,
Im schlichten Nachtgewande nur,
Das nichts mehr hinzutat zur holden Natur.
Da stand sie in der Unschuld Hoheit;
Doch die Bande in viehischer Seelenroheit
Leckte die Mäuler sich alsobald
Nach der wehrlosen Beute —
Da gebot der lechzenden Meute
Franquini ein Halt:
„Wie wär's, wenn mal Wonnen das Weh ablösten?
„Mag unsern Gefangnen die Liebe trösten!“

„Mein Gott!“ ruft sie. „Wie komm ich hierher?
„Das ist ja, als wenn hier die Hölle wär!“
So ziemlich stimmt es:
Franquini nimmt es
Am Ende auch auf mit dem Luzifer!
„Erbarmen, mein lieber, mein gütiger Herr!
„Bin ja so jung noch, mein Los ist so schwer!
„Verlobt bin ich, doch ach, es kann
„Mir heut mein Liebster, mein künftiger Mann
„Nicht helfen, nicht nützen —
„Ihr müßt mich beschützen!
„Nehmt, gnädiger Herr, meiner Tugend Euch an!“
So klagte, so flehte in Angst und Weh
Die Holde zu Füßen des guten Darget,
Und weinte und weinte ohn' Unterlaß,
Ihr süßer Busen war tränennaß.
<224>Darget war vor Verliebtheit toll,
Von Seligkeit voll
Und glückberauscht —
Aber Sankt Stephan, der ihn belauscht,
Der nahm ihn am Kragen: Laß gut sein, mein Sohn!
Da gab es kein Mucken,
Da hieß es sich ducken;
Ganz leise verwünscht er den Schutzpatron.

Darget spricht also abgekühlt:
„Liebwerte unglückselige Maid,
„Glaub' mir — mein Herze mit dir fühlt
„Und deiner Tugendhaftigkeit.
„Und weißt du — zu solcher Schandtat gebricht's
„Mir, Gott sei Dank! an dem nötigen Geschick;
„Darum erheb deinen Tränenblick
„Und Hab' keine Angst: Ich tu dir nichts.
„Im Gegenteil: Ich kaufe dich los!“
Und tätschelt ihr Händchen: „So glaub' mir doch bloß!“

Franquini sieht, wie all das gar zart
Und gar frostig will enden —
„Nanu! Ist das in Frankreich die Art,
„Eine Jungfer zu schänden?
„Zur Sache — zur Sache! 's wird endlich Zeit!“

„Ach, Euer Gnaden, wir wissen, Ihr seid
„Der Herr über unser Tränengeschick;
„Und doch! Werft einen großmütigen Blick
„Auf dieses holde, liebreizende Weib,
„Dies Gotteswunder von blühendem Leib,
„Und dann gesteht, es wär' doch ein Jammer,
„All diese Schönheitsfülle hier
„In dieser trostlosen Felsenkammer
„Der stechen Gier
„Des ersten besten preiszugeben;
„Bedenkt ihre Jugend
„Und ehrt ihre Tugend,
„Und gebt sie zurück ihrem früheren Leben!
„Wenn Ihr Euch gütigst entschließen könntet
<225>„Und Lösegeld nähmet und mir vergönntet,
„Euch abzukaufen in klingendem Golde
„Das Mädchenkleinod, das wunderholde!“

Dem Räuber leuchtet der Handel ein:
„Topp, wenn's dein Ernst ist!“ — Der Satz war nicht klein.
„Mag sie denn heimgehn, ganz wie sie kam,
„Die gerettete Braut, zum Bräutigam!“

Habgier, der Seele Schmach und Tod,
Heut warst du Retterin in der Not!
Der reizendsten der schönen Frauen
Halfst du aus eines Wüstlings Klauen
Und führtest sie unberührt heraus
Aus dem Felsenloch, wo die Schande zu Haus.


208-1 Für den historischen Vorgang der Entführung Dargets in der Nacht vom 3. zum 4. September 1745 vgl. die Darstellung des Königs in der „Geschichte meiner Zeit“ (Bd. II, E. 231).

210-1 Vgl. S. 179.

214-1 Der heilige Stephan (Etienne) war Dargets Namensheiliger und Schutzpatron.

220-1 Thomas Germain, ein berühmter Pariser Goldschmied.