Fünfter Gesang
Verhandlungen über Dargets Freilassung. Franquinis Lebenslauf
Kein langes Versgeschwätz! Unnötige Worte
Sind mir ein Greul; ein Wort am rechten Orte
Wiegt tausend auf. So laßt euch denn belehren,
Daß mancher Heilige aus dem Paradies
Sich's damals redlich sauer werden ließ,
Das Unterste nach oben zu kehren
Und in der Welt den Wirrwarr zu vermehren.
Da war der Herr der schwarzen Schwefelbande,
Die höll'sche Hoheit vom gehörnten Haupt:
Wie der vernahm, was dort im Menschenlande
Das Heiligenvolk nach Willkür sich erlaubt,
Da gor dem Satan vor Neid das Blut,
Und er schäumte vor Wut.
Zum Ätna geht's, wo aus der Hölle Nacht
Nach oben führt ein wüster Kraterschacht
Als Schornstein. Dort fährt er empor,
Stößt jäh sein ungeheures Haupt hervor;
Des Berges Flammenatem ihn umwallt,
Und düstrer Brodem wirbelnd ballt
Sich um des Fürsten Mißgestalt.
Gefieder rauscht: Der Vogel Klatsch! „He, du!“
Ruft ihm der Böse freundschaftlich zu,
„Was gibt's Neues?“ Da hemmt den Flug
Das Tier und schwatzt mehr als genug,
<243>Mehr als dem Teufel lieb ist, und wieder
Taucht er erbost in die Hölle nieder.
Sofort befahl er seinen hohen Rat,
Seine Helfer bei jeder Unheilstat.
Umgeben waren sie, die grimmen Alten,
Von einem Chorus wilder Graungestalten,
Unholden, die in Ewigkeit
Wider die zehrende Glut gefeit.
Was jene Finstres ausgeheckt,
Das wird von diesen flugs vollstreckt.
Der schmutzige Geiz, der Schätze hehlt,
Ohn' Sinn und Ziel sich sorgt und quält;
Mit ihrem Dolch liebäugeln hier
Grausame Lust und Mördergier;
Die dumme Hoffart macht sich breit
Und bläht ihr schimmernd Pfauenkleid;
Was wetzt und feilt der fahle Neid?
Ein Spottgedicht! Ihm stiehlt die Ruh'
Der Ruhm mit seiner Herrlichkeit,
Dem spinnt er Ränke immerzu.
Denn Größe ist ihm tief verhaßt
Und fremdes Glück ihm Qual und Last.
Wenn Neid die Seele schlägt in Bann —
Grausamer waltet kein Tyrann!
Der finstre Argwohn lm Geleite
Der Eifersucht; Gewissensnot,
Verzweiflung, jeder Seele Tod;
Verrat, Verleumdung Seit' an Seite;
Ehrsucht, die bis zum Tode quält,
Wen sie zum Opfer sich gewählt;
Zwietracht, die Mensch vom Menschen reißt,
Verführung, der der Sündenlohn
Goldschimmernd in der Rechten gleißt;
Staatsklugheit, die mit Spott und Hohn
Ihre kalten Sophismen weist;
Und Eigennutz, der jederzeit
Der Vater jeder Niedrigkeit;
Schmerz, Tod und Entsetzen und nächtiges Grauen
Sind all in dem schrecklichen Kreise zu schauen.
<244>So standen sie harrend, die furchtbaren Wesen,
Standen in finster gedrängtem Hauf —
Vom Höllenfürsten ein Wink, ein Wort
Jagt sie auf und fort;
Dann wirken sie den Willen des Bösen,
Rühren den ganzen Erdkreis auf.
Dieser Senat von unsauberen Geistern
Erwog, wie man möchte den Weltlauf meistern,
Beelzebub, Umbriel,244-1 Astaroth —
Jeder mit Glück seinen Beitrag bot,
Jedweder von diesen Satanassen
Wollte sein Licht hell leuchten lassen.
Nach langem Für und Wider zuletzt
Ward im Rate beschlossen und festgesetzt,
Daß nach oben, zu den Geschlechtem der Erde,
Die Zwietracht abgeordnet werde,
Allwo sie die Köpfe der Menschen erhitze.
Und das Scheusal erschien vor dem Fürsiensitze,
Und seine Tochter belehrte der Alte,
Wie sie sich am besten dabei verhalte.
Nun durcheilt unsre Jammerwelt
Die Zwietracht unter Mord und Brand,
Und wo sie den Fuß nur setzte aufs Land,
Wo ihr Pesthauch wehte, da starb und schwand
Alles Gedeihn in Wald und Feld;
Verdorrt, erstickt' jeder Keim in der Erde,
Seuchen und Sterben befielen die Herde.
Unter ihrem Tritt erbebt
Was da atmet, was da lebt,
Und ihr zu Häupten wetterfahl
Wurde der Himmel mit einemmal.
Das Ungetüm eilte bergab und bergauf
Und nahm zu dem dicken Marquis seinen Lauf,
Dem's jetzt mit seinem Satansrate
Ganz leise sich nahte,
<245>Indes er noch immer süß und tief
Den Schlaf des Gerechten schlief.245-1
Zu seinen Häupten erhob sich's,
Und in seine Träume verwob sich's:
„Ei, Herr Valory, das muß ich sagen,
„Gemütsruhig seid Ihr und könnt was vertragen:
„Da stehlen sie Euch den guten Darget
„Vor der Nase weg — Euch tut's nicht weh!
„Ein schäbiger Frechling von Pandur,
„Der beschimpft nicht Euren Schreiber nur,
„Euch selber, Freund, und mit Euch das Reich
„Der Franzosen — doch Euch bleibt das gleich!
„Auf, auf! Nicht rechts und links mehr geschaut,
„Jetzt ganz den Preußen Euch anvertraut
„Als berufenen Rächern Eurer Ehre;
„Jeder Preußenarm Euch gehöre!
„Sei Darget beim Teufel, sei er im Himmel —
„Verlaßt Euch nur auf die preußischen Waffen:
„Lärm geschlagen, Hallo und Getümmel!
„Sie werden ihn Euch schon wieder schaffen!“
So sprach das Scheusal, und aus seinen langen
Haaren zog es eine der Schlangen
Heraus und setzte sie
Lautlos ins Bett zum Marquis.
Und wie sie des Opfers Seele umschlang
Und sie mit ihrem Gifte durchdrang,
Das war dem höllischen Weib
Ein köstlicher Zeitvertreib.
Zufrieden, wie alles so hübsch hier geraten,
Flog's auf und davon zu neuen Taten.
In Schweiß gebadet Valory fährt
Aus dem Bette empor, es schäumt und gärt
Das Gift ihm im Leibe und macht ihn toll;
Sein Busen schwoll
Vor sinnloser Wut,
Er sieht nur Blut.
<246>Wie die Löwin schnaubt,
Der die Jungen geraubt,
Und brüllt, daß die Wüste widerhallt,
Und Neger zerfleischt und zerkrallt -
So kam der Marquis, der vor Wut sich nicht kannte,
Der schwer beleidigte Gesandte
Zum Preußenfeldherrn: „Hölle und Tod!
„Wißt Ihr, was mir der Lothringer bot?
„Wie dem ersten besten, tut er mir den Tort
„Und holt mir den treuen Darget fort!
“'s ist eine tödliche Schande! ein frecher Hohn!
„Und der Schimpf, den ich litt —
„Euch trifft er mit!
„Bin ich nicht euer Palladion?
„Drum Rache! Rache! gellt mein Schrei.
„Schafft mir den Ärmsten wieder herbei,
„Holt ihn — fordert ihn — einerlei!
„Nein, nein! vielmehr:
„In hellen Haufen fallt über sie her!
„Strömen soll ihr Verräterblut!“
So brüllte der dicke Marquis vor Wut,
Gebarte sich wie ein völlig Verdrehter,
Schlug sich die Stirn mit den Fäusten beiden,
Erging sich in schauderhaften Eiden
Wider Franquini, den Missetäter:
„O wenn mir Gott die Gnade gönnte,
„Daß ich den Kerl erwischen könnte,
„Dann weiß ich, was ich tu:
„Die Zunge reiß' ich ihm aus und die Augen dazu!“
„Nun gut, Marquis, wir sind bereit,
„Euch zu helfen aus dieser Verlegenheit.“
Valory, dem der Schädel brannte,
Wie ein Wilder durchs Lager rannte,
Indes der preußische Kriegesrat
Einstimmig beschlossen hat:
Diesen Klagen und Beschwerden
Soll schleunig abgeholfen werden;
Man wird von den Feinden verlangen,
<247>Den Darget, den sie gefangen,
Heil an Gesundheit und Leben
Sofort herauszugeben.
Zu welchem Ende die Klugen
Eine Gesandtschaft vorschlugen.
Man wählte Wortedrechsler, die gern
Sich reden hören, drei eitle Herrn
Mit Vollmachtschreiben. Ihr Führer, Camas,247-1
Wie der sich in seinem Amte sonnte,
Weil es ihm ja garnicht fehlen konnte,
Im Handumdrehn, mit Glanz und Gloria
Darget ins Lager heimzubringen!
Das muß seinem feinen Plan gelingen!
Die Furie der Zwietracht merkt den Plan und nimmt
Den Flug zum Feindeslager tiefergrimmt;
In einem nahen Wäldchen ging sie nieder,
Legt' ab ihr furchtbares Gewand, ihr schwarz Gefieder.
Nun wuchs auf ihrem Haupt schneeweißes Haar.
Das Angesicht durchfurcht von tiefen Falten,
So stellte sie sich, gleich dem kriegerischen alten
General von Wallis, unserm Karlchen dar,
Der grad' mit seinen jungen Herrn sich fröhlich unterhalten.
Da sprach die Vermummte: „Mein Prinz, das ist recht!
„Zwar geht bei uns alles hundeschlecht,
„Aber Ihr schlagt die Zeit mit Narrheiten tot,
„Überlaßt lustig alles dem lieben Gott!
„Und des feindlichen Heeres Palladion?
„Habt Ihr's gefangen? Ich seh' nichts davon!
„Schläft denn bei Euch der alte Schneid?
„Bald wird der Feind in edler Dreistigkeit
„Von Euch sich Darget wiederholen,
„Den Ihr ihm über Nacht gestohlen.
„Karlchen, ich sag' Euch, gebt Ihr ihm den,
„So ist's um Euren Namen geschehn!
„Drum neu den Ehrgeiz angeschürt,
„Der einst zu großer Tat geführt:
<248>„In Eurer Hand ruht Glück und Glanz
„Des ganzen Österreicherlands,
„Dazu großmächtiger Könige Gedeihn!“
So das Scheusal. Und Karl stand verlegen und bleich,
Einem vom Lehrer ertappten Schulbuben gleich.
Dem großen Kriegsheld blieb im ersten Schrecken
Jedwedes Wort im Halse stecken.
Dann stieß er plötzlich grimmig heraus:
„Ich schick' sie mit blutigen Köpfen nach Haus.
„Ich denke, Herr Wallis, Ihr kennt mich noch:
„Ich will mich nicht loben. Zuletzt bin ich doch
„Unser Schild, unsre Rettung; verlaßt Euch drauf,
„Mit den Preußen nehm' ich's noch immer auf!“
Und die Zwietracht kehrte, unerkannt,
Zufrieden zurück in die höllische Nacht,
Nachdem sie ihren verwirrenden Brand
In beiden Lagern entfacht.
In diesem Augenblick hört man Geschrei;
Ganz atemlos rennt Rosières herbei
Und stammelt von Gesandten, dreien,
Die von preußischer Seite gekommen seien.
Der Leser weiß schon! Das sollt“ mir fehlen,
Zweimal dasselbe zu erzählen,
Wie der gute Homer! — Kurzum, er sprach nein,
Der Lothringer: „Fällt mir garnicht ein!“
Was half„s? Man faßte auf beiden Seiten
Mit diplomatischen Artigkeiten
Sich diesmal kurz, und die Herren Gesandten
Schleunigst zur Rückkehr ins Lager sich wandten.
Ganz zwanglos, nach Art eines alten Bekannten.
Trat Nepomuk bei dem Lothringer ein;
Wie Demosthenes sprach er zwar nicht,
Er meinte ganz trocken und schlicht:
„Mischst du dich nicht in die Sache drein,
„So werden die Preußen Franquini bezwingen
„Und Darget stehlen. Drum laß dir die beiden,
<249>„Franquini und seinen Gefangenen, bringen,
„Willst du nicht ewige Schande erleiden.“
Karl schickte sogleich einen Boten aus,
Der auf tscherkessischem Renner, in fliegendem Saus,
Ja, schneller noch, als mir's will glücken,
Hier diese Verse zurechtzurücken,
Zum Lager Franquinis sprengt,
Wo man ihn frostig empfängt.
Frostig, und etwas betreten auch:
Dort ging's hoch her nach pandurischem Brauch.
Und nun heißt's aufgesessen — jammerschade!
Franquini zog ein schiefes Maul: weil's grade
So lustig war! „Ihr Freunde, zu den Waffen!
„Wir sollen Darget zu unserm Prinzen schaffen.“
Da rüsten die Panduren sich alsbald,
Flugs wird der krumme Säbel umgeschnallt
Über den Koller, den zinnoberroten;
Dann auf der Schulter rollen sie und knoten
Den Mantel fest, zuletzt quer übern Rücken
Die lange Flinte! Bald an hundert Karren
Und Leiterwagen hochbefrachtet knarren;
Troßknechte haben sie mit Beutestücken,
Mit Ballen vollgepackt zum Brechen fast,
Es ächzen und knacksen
Die Räder und Achsen,
Zehn riesige Ochsen schleppen an der Last.
Prachttiere sind's, nur langsam geht's voran,
Mühselig stampfen sie durch den Morast
Mit ihrer schwanken Ladung ihre Bahn.
Der ritterliche Lacy249-1 führt den Zug,
Der sich durch Quer, und Seitenwege schlug,
Rechts und links Pandurenscharen reiten,
Die sichern scharf und spähn nach allen Seiten.
In ihrer Mitte ist Darget, doch läßt
Franqumi ihn nicht frei, Bügel an Bügel
Reitet er neben ihm und hält ihn fest,
<250>Immer die Faust an seiner Mähre Zügel.
Dem guten Kerl ging's garnicht gut.
Wie er in rauhen Führers Hut,
Im Sattel hopsend, stets im Trab,
Dem Gaul, wie's traf, die Sporen gab.
Doch unser rüstiger Dumont,250-1 stets auf Wacht,
Lag schon im Waldesdickicht auf der Lauer,
Zum Morgengruß 'nen Flintenhagelschauer
Halt' er dem frechen Strauchdieb zugedacht.
Die Kugeln pfeifen. Man greift an,
Man lädt, man wehrt sich, kämpft Mann an Mann;
Manch einer färbt das Gras mit seinem Blut.
Doch wankt Franquini nicht der feste Mut
In dieser heißen Stunde: Ihm ist klar,
Daß es auf Darget abgesehen war.
Ihn gilt's vor allen Dingen
In Sicherheit zu bringen.
Die Besten packen ihn, durch Tal und Schlucht
Mit dem Gefangnen geht die wilde Flucht,
Indes Herr Dumont ihn vergeblich sucht.
Und Darget, der ein stilles Vaterunser sprach,
Muß hinter dem Franquini nach,
Der sehr zufrieden ist,
Daß fehlgeschlagen Dumonts List.
Franquini lacht: „Einfältiger Tropf!
„Es geht ja nicht um deinen Kopf.
„Nun heule nicht, du brauchst dich nicht zu bangen;
„Denn auch der Prinz wird freundlich dich empfangen.
„Um deine Geister aufzufrischen,
„Erzähl' ich dir meine Geschichte inzwischen.“
„Ich bin des Ewigen Juden jüngster Sproß.
„Mein Alter, in geheimen Künsten groß,
„Stand mit der Geisterwelt auf du und du;
„Ich brachte meine frühste Kindheit zu
„In meinem dalmatinischen Heimatneste;
<251>„Dann nahm mein Vater mich in jungen Jahren
„Nach Rußland mit. Dort hielt ich's für das beste,
„Nicht gleich als Jude mich einzuführen:
„Drum legte ich flotte Kavaliersmanieren
„Mir schleunigst zu, ein anmaßend Gebaren
„Samt einer großen fteiherrlichen Geste
„Und nannte mich frech nach einer Baronie.
„Die guten Leute, weiß selbst nicht, wie,
„Sie fielen glücklich auf mich 'rein
„Und schoben gar bald in ein Amt mich ein:
„Ich war einer mehr am Hof der Zarina,
„Nicht ungem sah mich die Katharina.251-1
„Einst kannte — so lang ist's noch nicht her —
„Das ungeleckte Volt nicht viel mehr
„Als niedrige Triebe; in stumpfem Sinn
„Lebt' es in Barbarei dahin,
„Bis Peter sie in die Höhe brachte,
„Eine Art Menschen aus ihnen machte,
„Der auf zwei Füßen sie laufen lehrte,
„Den Wilden beschnitt ihre Zottelbärte,
„Die Herrn Bojaren französisch anzog
„Und sie zum Dienst bei der Fahne bewog.
„Doch war's ihm leider nicht möglich eben,
„Auch andere Geister ihnen zu geben:
„Ganz zahm sind sie heute noch nicht bekanntlich
„Und für den Regierenden sehr unhandlich.
„Der Gott, der Schweigen gebietet,
„Hat sich dort eingemietet:
„Kein Zeichen verrät uns, was einer meint,
„Niemand ist das, was er scheint;
„Sie schweigen, sie brüten, sie sprechen nur leise,
„Kein Mensch tritt borten vernünftigerweise
„Mit dem Hacken auf. Und die Hofleute gar!
„Das ist euch ein ganz besonderer Schlag:
„Die raunen sogar ihr ,guten Tag'
„Sich heimlich ins Ohr. Aber eines war
„Mir recht erfreulich: Sie wissen zu saufen!
<252>„Und ferner dies: Ob da einer Bojar,
„Ob er entstammt aus dem Pöbelhaufen —
„Jedem kann's glücken, zu was zu kommen!
„Hält' mein Geschick nicht mit einemmal
„Eine betrübliche Wendung genommen,
„So wäre ich heute dort General.
„Katharina starb, die Kaiserin;
„Da war der Teufel los im ganzen Reich,
„Als sänke aufgelöst der Staat dahin,
„Da wechselten die Herrscher dreimal gleich.252-1
„Die neue Zarin zeigte mir nicht
„Ein freundliches Gesicht.
„Schon kam ein Höfling an,
„Der also begann:
„Mein Herr, auf daß Ihr unsrer Kaiserin
„Besondre Gewogenheit erkennt —
„Wohlan, nehmt hin:
„Bestallung und Patent,
„Worin sie Euch zum Hofnarren ernennt.
„Das ging mir übern Spaß, Kreuzsapperment!
„Mein Knüppel tanzte auf des Bojaren Rücken,
„Den Wisch zerriß ich in Stücken,
„Die Fetzen warf ich dem höfischen Wicht
„Ins verblüffte Gesicht
„Und prügle ihn heraus
„Bis vor mein Haus,
„Worauf man mich festnahm
„Und ich in Arrest kam;
„Dann kriegte ich gründlich was mit der Knute.
„Drauf witzelte wer — ein gemeiner Scherz —
„Da siehst du der Zarin großes Herz:
„Sie schickt dich bloß nach Sibirien, die Gute.
„Nun ward ich weit hinter Archangel verschlagen
„Und konnte dem Sonnenlicht Lebewohl sagen.
„Ein Jahr lang Hab' ich wie geistumnachtet
„In meinem Kerkergrab geschmachtet;
<253>„Da eines Tags fielen mir ein
„Meines seligen Vaters Zauberein,
„Und es begann sich in meinem Gedächtnis zu regen
„Ein alter höllischer Zaubersegen,
„Ein krauses Wort von wüstem Klang;
„Ich wagt' es darauf, und es gelang:
„Die kahle Mauer, steil und hoch,
„Unnahbar — ich erklomm sie doch!
„War's Geisterhilfe, die ich bannte?
„Verzweiflung, die die Sehnen spannte?
„Das Unerhörte war geglückt,
„Für diesmal war ich ausgerückt.
„Nun ging's durch die Wälder in fliegender Hast,
„Hier sperrte den Weg mir Sumpf und Morast;
„Das war eine Irrfahrt mit dorrender Kehle,
„Knurrendem Magen, verzagender Seele,
„Dazu die Kälte in allen Knochen!
„Und doch — mein Mut blieb ungebrochen!
„Was tat ich an Wölfen und Bären erlegen
„In der Waldeswildnis auf meinen Wegen!
„Einst dachte ich wirklich: Jetzt ist es aus.
„Die Lüfte erschollen, es war ein Graus,
„Vom Heulen der Wölfe; wutentbrannt
„Kamen sie auf mich losgerannt
„Von allen Seiten — so an die dreißig.
„Flink turnt' ich auf eine Fichte hinauf
„Und prügelte von da oben fleißig
„Mit Astwert in den Bestienhauf.
„Und wirklich gelang mir's, man sollt' es kaum denken,
„Ihrer zwein das Hinterteil auszurenken.
„Auch schmiß ich einigen die Lichter ein.
„Allein, was half mir's von meiner Pein,
„Macht' ich ein Dutzend gleich kampfunfähig:
„Ich starb schier vor Hunger! Auf einmal, was seh' ich?
„Bricht in das Rudel von lechzenden Wölfen
„Ein wirklicher Löwe, der offenbar
„In der Gegend beschäftigt war,
„Aus der Verlegenheit mir zu helfen.
„Jetzt aber, die Not macht erfinderisch,
„Schnitzt' ich mir hurtig einen Ast zurecht
<254>„Zum Bajonett und klettere frisch
„Von der Fichte herunter
„Und stürze mich munter
„In das bestialische Gefecht.
„Da waren denn, eh' ich's gedacht,
„Sämtliche Wölfe zur Strecke gebracht.
„Nun glaubt' ich, und tat mich schon drauf freuen,
„Ich könnte mir diesen gutmütigen Leuen
„Wie weiland der Ritter Gottfried254-1 zulegen
„Als Kriegskameraden auf allen Wegen;
„Doch er alsbald
„Verschwand im Wald.
„Drei Monde waren vergangen und mehr
„Nach wilden Fahrten die Kreuz und Quer,
„Nach wunderbaren Abenteuern,
„Auch mit der Wildnis Ungeheuern —
„Da sah ich Dächer! Es waren
„Siedlungen der Tartaren.
„Zu einem trat ich in seine Hütte;
„Gutmütig und gastfrei, nach Vätersitte,
„Empfing er mich in der Seinen Mitte,
„Und bot mir sogleich, der treffliche Mann,
„Sein Weib und seine Tochter an,
„Schlachtet darauf eine junge Kuh,
„Opfert auch seinen Abgöttern und Götzen,
„Schiebt dann, recht liebreich den Gast zu letzen,
„Stets mir die leckersten Bissen zu.
„Schwer sanken mir die Augenlider.
„Meine Wirte bemerkten es kaum —
„Sowas von Liebe findet man nicht wieder —
„So überließen sie mir den Raum,
„Indem sie draußen sich niederstreckten,
„Wo Rinderfelle die Erde bedeckten.
„In aller Herrgottsfrühe trat ich
„Zu meinem Wirt und um Auskunft bat ich,
<255>„Welcher Weg wohl von seiner Türe
„Am schnellsten mich nach Persien führe.
„Hochherziger Fremdling, der Gute sprach,
„Steht dir im Ernste der Sinn danach —
„Statt mit Worten dich lang zu versäumen,
„Will ich dir erst vor allen Dingen
„Meinen Bullenbeißer zäumen.
„Das ist dir ein Renner!
„Nur was für Kenner.
„Hundertmal tat er dorthin mich bringen!
„Brauchst ihm nur immer ins Ohr zu sagen,
„Wohin es soll gehn:
„Unfehlbar wird er ans Ziel dich tragen,
„Sollst dein blaues Wunder dran sehn.
„So sprach der Gute. Ich schloß ihn ans Herz,
„Säbel und Quersack ergriff ich drauf,
„Saß auf dem riesigen Köter auf
„Und trabte gen Agra morgenwärts.
„Wie ich so durch die Lande fahr',
„Begegnet mir ein graubärt'ger Tartar,
„Auch hoch zu Hund, ein Handelsmann;
„Gleich hatte mir's seine Bagage angetan.
„Ich weiß mich geschickt heranzuschlängeln,
„Ihn wehrlos zu setzen, nach rechts zu drängeln,
„Auf einmal — schwapp!
„Fliegt ihm der Schädel ab.
„Zwar hielt er stramm sich ein Weilchen noch
„Mit seinen Beinen im Sattel hoch,
„Zuletzt jedoch besann er sich,
„Daß er doch tot sei eigentlich,
„Und purzelt aus dem Sitz.
„Ich wie der Blitz
„Mach' mich über sein Geld;
„Doch sein Köter, der knurrt und bellt
„Und springt mir wütend an den Hals;
„Da regt sich meiner ebenfalls
„Und stürzt zu meiner Verteidigung
„Sich auf den ftemden mit kühnem Sprung.
„Doch war ich selber schon bei der Hand,
<256>„Vom Leder zog ich und schlug gewandt
„Mit einem Iagdhieb dem grimmigen Vieh“ —
Hier fiel ihm Darget in die Rede und schrie:
„Was seid Ihr bloß
„Ruppig und seelenlos!
„Sowas von Undank! In einem Land,
„Wo man nur Liebes und Gutes fand,
„Schnöd hinzuschlachten einen Tartaren!
„Und sowas nennt Ihr einen Barbaren!“
„Halt's Maul, du Tropf!“ Franquini faucht.
„Ich habe sein Geld zur Reise gebraucht!
„Dann kam ich, mit Ehren empfangen, an —
„Wie's gebührte einer Persönlichkeit
„Von meiner Außergewöhnlichkeit —
„Im Lager des Thamas,Chouli-Khan.256-1
„Er lag wider den Mogul zu Felde grade;
„Ich durfte im Kampf aus besondrer Gnade
„Stets um ihn sein. Sein Heerlager schien
„Bis an den Horizont sich zu ziehn,
„Man zählte an Streitern eine Million.
„Dort herrscht die Zoroasterreligion,
„Geheimnisvoll, düster in Kult und Verehrung.
„Leicht war ich zu haben für eine Bekehrung,
„Wie sich's ziemt für einen Mann von Verstand
„So wird man heimisch im fremdesten Land;
„Habe sowas öfter schon durchgemacht,
„Hat stets sich gelohnt und mich weitergebracht.
„Bald brach mein Khan mit dem Heerbann auf,
„Der Ruf seiner Furchtbarkeit flog ihm vorauf,
„Und Delhi sah sich umschlossen
„Von persischen Streitern und Rossen.
„Da gab zum Sturme das Zeichen der Khan,
„Das ganze Heer griff auf einmal an.
„Ein Regen von Pfeilen, ein Hagelschauer
„Stob uns entgegen von jeder Mauer.
<257>„Es regnete Tod! Doch von unseren Streitern
„Ward die Mauer besetzt mit tausend Leitern,
„Mit Schwert und mit Feuer drangen wir ein.
„Die Hunde will ich der Hölle weihn!
„Schreit Thamas im Blutrausch vor seinen Horden;
„Hei, da ging's an ein Morden!
„Die ganze Stadt in Vernichtung versank.
„Der Mogul, der fast im Blute ertrank,
„Tät derweilen mit großem Behagen
„Süßigkeiten knabbern und nagen.
„Ich selber natürlich, das müßt Ihr glauben,
„War unter den Ersten mit Sengen und Rauben.
„Als schließlich dem Würgen, dem Jammer, der Not
„Die Großmut des Thamas Einhalt gebot —
„Hm, dacht' ich mir, soll ich der Beute wegen
„Jetzt etwa Rechenschaft ablegen?
„Womöglich rausrücken meinen Raub?
„Da mach' ich mich lieber gleich aus dem Staub!
„So hab' ich denn wieder Reißaus genommen
„Und bin endlich zum Herrn aller Gläubigen kommen,
„In dem sich bekanntlich alles empört,
„Sobald er den Namen Perser hört.
„Damals geschah's, daß in Ungarland
„Von neuem die Kriegesfurie entbrannt':
„Der Kaiser, wie ein Blitz aus heiterem Himmel,
„Überfiel meine armen beschnittenen Herrn. 257-1
„Nun, Todesgefahr, Gerauf und Getümmel
„Halt' ich ja stets für mein Leben gern,
„Und so hat es mir nichts weiter verschlagen,
„Zu Mohammeds Ehre die Waffen zu tragen.
„Fragt nach, was dort bei Mehadia
„Für Heldenwerk durch mich geschah.
,„Doch bei Kornia war mein Kriegsglück zu Ende:
„Da fiel ich in derÖstrreicher Hände.
„Natürlich trug diese Lebenswende
„Mir wieder einen neuen Glauben ein:
<258>„Diesmal mußt's nun Maria sein.
„So bin ich denn heute ein guter Christ,
„Ja sogar, was noch schlimmer ist:
„Ein Österreicher mit Leib und Seel.“ —
Hoppla! da trat sein Rößlein fehl;
Wer weiß, was es war? War's ein Unglückstritt
In eine Wagenrinne? eine Fichtenwurzel?
Jedenfalls Freund Darget muß mit
Im allgemeinen Gepurzel;
Auch die am nächsten aufgeschlossen,
Kollern zuhauf samt ihren Rossen.
Das gibt ein lieblich Gequetsch und Geknäule,
Menschenleiber und strampelnde Gäule,
Und zu unterst, im zappelnden Haufen
Liegt Franquini und kann kaum schnaufen,
Schlägt wütend um sich mit Beinen und Armen
Und flucht und schimpft zum Erbarmen.
Obendrein war der Abend nah,
Sodaß man die Hand nicht vor Augen sah.
Schon deckt die Nacht mit dunklen Schleiern
Das Weltall zu
Und spendet Ruh
Den Menschen, die von ihrer Arbeit feiern.
Franquinis Schar war vom Lager nicht weit,
Und es mußte der Lärm in der Dunkelheit
Den schlafenden Posten wecken;
Der schoß in seinem Schrecken.
„Wer da?“ — „Franquini!“ Ein Gefreiter sodann
Von der Wache sitzt auf und reitet heran.
„Herrgott! Unser Großmaul! Euer Gnaden,
„Wer hat Euch hier abgeladen?“
Jetzt begann sich der Knäul auseinanderzuklauben;
Und richtig fand auch, kaum sollte man's glauben,
Jeder wieder
Seine eigenen Glieder.
Als man im Lager vernommen,
Was sich da draußen begeben hätt',
<259>Legt sich Karlchen beruhigt wieder zu Bett.
Aber der Schlaf will nicht recht kommen;
Sein Gemüt ist gar zu sehr erregt,
Zuviel ist's, was seinen Geist bewegt.
Franquini und der Schreiber liefen
Ins Zelt und schliefen.
Wer nun noch weiter vernehmen will,
Wie die Ereignisse kamen zum Ziel
Unter Kämpfen, Horn- und Trompetenklang,
Der lese noch den letzten Gesang.
244-1 Eine Gestalt aus Popes Dichtung: „The Rape of the Lock“.
245-1 Vgl. S. 215 f.
247-1 Paul Heinrich Camas de Tilio, preußischer Oberst (vgl. S. 157). Er war bereits 1741 gestorben.
249-1 Graf Franz Moritz lacy, österreichischer Hauptmann, der spätere berühmte Heerführer.
250-1 Offenbar ist der preußische Generalleutnant Peter Ludwig du Moulin gemeint.
251-1 Kaiserin Katharina I. (1725—1727).
252-1 Auf Peter II. (1727—1730), Anna Iwanowna (1730—1740) und Iwan VI. folgte 1741 die Zarin Elisabeth.
254-1 Während des ersten Kreuzzugs rettete 1098 der französische Ritter Gottfried de la Tour durch einen Schwertstreich einen köwen vor einer Schlange. Voll Dankbarkeit verließ der Löwe den Ritter nicht mehr.
256-1 Schah Nadir von Persien. Vgl. Bd. II, S. 43.
257-1 Für den Krieg Karls VI. gegen Sultan Mahmud V. in den Jahren 1736—1739 vgl. Bd. I, S.158 ff.