„<12> mir eben selbst gaben, gibt es höchstens zwei bis drei unumstößliche Wahrheiten. Das Zeugnis der Sinne, fast das sicherste, das wir haben, ist nicht völlig zuverlässig. Unsre Augen täuschen uns. Sie lassen uns in der Ferne einen Turm als rund erscheinen, und bei näherem Herankommen sehen wir, daß er viereckig ist. Bisweilen glauben wir Töne zu hören, die aber nur in unserer Einbildung erklingen und aus einem tonlosen Eindruck auf unser Ohr entstehen. Ebenso unzuverlässig wie die andren Sinne ist der Geruch. Bisweilen glauben wir in Wald und Feld Blumen zu riechen, und doch sind keine da. Und in diesem Augenblick, wo ich mit Ihnen rede, merke ich an dem Blutstropfen auf meiner Hand, daß mich eine Mücke gestochen hat. Die Lebhaftigkeit unsres Gesprächs hat mich gegen den Schmerz unempfindlich gemacht. Das Gefühl hat mich im Stiche gelassen. Wenn nun schon das Zuverlässigste, was wir haben, so zweifelhaft ist, wie können Sie dann mit solcher Gewißheit von den abstrakten Dingen der Philosophie reden?“
„Weil sie evident sind“, erwiderte Philant, „und das Kopernikanische System durch die Erfahrung bestätigt wird. Die Planetenumläufe sind darin mit wunderbarer Genauigkeit bestimmt, die Finsternisse mit staunenswerter Richtigkeit berechnet. Kurz, dies System erklärt die Geheimnisse der Natur vollkommen.“
„Was würden Sie nun aber sagen,“ wandte ich ein, „wenn ich Ihnen ein System nenne, das von dem Ihren gewiß sehr verschieden ist, aber bei offenbar falscher Voraussetzung die gleichen Wunder erklärt wie das Kopernikanische?“
„Sie meinen gewiß die Irrtümer der Malabaren?“ erwiderte er.
„Gerade von dem Berge der Malabaren wollte ich reden, lieber Philant. Allein, soviel Irrtum in jenem System stecken mag, es erklärt doch die astronomischen Naturerscheinungen vollkommen. Ja, es ist wunderbar, daß jene Astronomen dieselben Bewegungen der Gestirne und die Finsternisse so genau vorhersagen konnten wie Ihr Kopernikus, obwohl sie von einer so widersinnigen Voraussetzung ausgingen, wonach die Sonne weiter nichts tut, als einen großen Berg auf der Insel jener Barbaren zu umkreisen, Der Irrtum der Malabaren ist grob, der des Kopernikus ist vielleicht weniger sinnfällig. Vielleicht entwickelt ein neuer Philosoph von der Höhe seines Ruhmes herab eines Tages ein neues Dogma, und in seinem Dünkel über eine unwichtige Entdeckung, die aber immerhin als Grundlage eines neuen Systems dienen kann, behandelt er die Kopernikaner und Newtonianer als eine Rotte von Stümpern, die zu widerlegen unter seiner Würde ist.“
„Allerdings“, sagte Philant, „haben die neuen PHUosophen sich stets das Recht genommen, über die alten zu triumphieren. Descartes schmetterte die Heiligen der Schulweisheit nieder. Newton schlug ihn seinerseits zu Boden und wartet selbst nur auf einen Nachfolger, der ihn ebenso behandelt.“
„Sollte das nicht daran liegen,“ erwiderte ich, „daß die Eigenliebe schon hinreicht, um ein neues System zu erbauen? Der hohe Begriff von der eignen Bedeutung erzeugt beim Philosophen ein Gefühl der Unfehlbarkeit. Daraufhin zimmert er sich“