11802. AN DEN ETATSMINISTER GRAF FINCKENSTEIN IN BERLIN.

Freiberg, 5. Februar 1760.

...Ew. Excellenz ist ohne mein weiteres Anführen schon bekannt, wie dass, nachdem der General von Finck den grossen Fehler begangen, den Posten von Dippoldiswalde zu verlassen und sich gänzlich nach Maxen zu ziehen, nicht nur ihm guten Theils mit daher sein darauf erfolgetes Désastre widerfahren, sondern dass auch die Position des Feindes dadurch so stark geworden, dass ohnerachtet des unter dem Erbprinz von Braunschweig zugestossenen Renforts es, wo nicht ganz impracticable, doch höchst hasardeux und nicht anders [als] mit Verlust vieler Leute gewesen, den Feind in seinem Posten zu forciren, nachdem der Feldmarschall Daun die positive Ordre von seinem Hofe erhalten, nichts zu menaghren, um sich in Dresden und der Orten möglichst zu mainteniren. Der Mangel an Vivres und Fourage hätte es thun sollen, aber auch dieses hat der Wienersche Hof durch Zufuhren aus Böhmen zu heben gesuchet, obschon mit den scbweresten Kosten und mit Ruin des Landes und der Unterthanen in Böhmen, welchem ohnerachtet der Mangel daran öfters ganz stark gewesen. Inzwischen hat die Ankunft der alliirten Truppen und die daher [entstandene] Beisorge, dass des Königs Majestät nach erhaltener Verstärkung von neuem in Böhmen perciren und dem Daunschen Corps die Zuführe daher benehmen würde, das Laudonsche Corps herangezogen, welches die böhmische Grenzen besetzet, doch aber vielleicht eine Entreprise auf Böhmen nicht verhindert haben würde, wenn nicht Frost, Eis und Schnee solche impracticable gemachet hätte und Daun dabei die Avantage von dem nie genug zu beklagenden und wohl zu evitiren gewesenen Verlust von Dresden gehabt, der ihm Gelegenheit giebt, sein Corps in der Nähe zusammenzuhalten und sich damit nach denen Umständen allemal dies- oder jenseits der Elbe zu wenden. Des Königs Majestät haben also in der Situation, wie Sie noch seind, bleiben und nur verhindern müssen, dass der Feind sich in Sachsen weiter ausbreiten können, wovon sich auch der Effet insoweit äussert, dass die österreichische Armee in einem kleinen Canton ziemlich serriret bleiben müssen und daher sich jetzo viele Krankheiten und Sterben zu äussern anfänget, dahergegen die königliche Truppen sich hinter- und seitwärts extendiren und mit mehrerer Bequemlichkeit cantonniren können, auch den grossesten Theil von Sachsen zu ihrer Disposition gehabt.

Es würde auch solches in solcher Situation haben bleiben können, wenigstens bis gegen Anfang der Campagne, wenn nicht der Prinz Ferdinand sich genöthiget gesehen, sein hieher detachirtes Corps zurückzubitten, da er die weite Étendue derer alliirten Länder mit denen Truppen, so ihm geblieben, nicht genugsam decken kann und besorgen muss, dass ein oder andere Provinz davon von neuem durch die Franzosen envahiret werde. Es wird uns also der alliirte Renfort nächster Tagen verlassen und zurückgehen müssen, da es sich dann zeigen wird, ob unsere Situation hier dergestalt wird bleiben können, und ob nicht der Feind nach der Seite vom Voigtlande zu einige Demonstrationen und Mouvements machen wird.

Was des Königs Majestät von der künftigen Campagne sentiren, wann die feindlichen Alliirten zusammen bleiben, solches ist Ew. Excellenz aus denen von Demselben erhaltenen Schreiben bekannt. Sie haben zwar alle Dero Dispositiones gemachet, um Sich aller Orten nach Möglichkeit opponiren zu können, jedoch ist menschlicher Weise zu urtheilen, dass die Campagne alsdann sowohl vor des Königs Majestät als vor den Prinz Ferdinand von Braunschweig sehr difficile und critique<67> sein wird, und dieser mit denen Franzosen, der König aber mit denen Oesterreichern, Russen, Schweden, Reichs- und sächsischen Truppen harte Stände haben werden.

Ich zweifele auch fast gar nicht an der Richtigkeit dessen, was M. Keith in der chiffrirten Anlage67-1 anzeiget. Es ist auch allerdinges zu besorgen, dass, wenn es denen Oesterreichern glücken sollte, sie alsdenn wohl etwas gegen Magdeburg tentiren dörften, um dadurch gleichsam die königlichen Provinzen mit denen Russen in die Mitte zu fassen. „Wie aber niemalen alles gute geschiehet, so geschiehet auch niemalen alles böse zugleich, und ein einziges vor des Königs Majestät glücklich ausfallendes Évènement würde das ganze feindliche Système stürzen, woran man doch noch nicht ganz desperiren kann, und, da die österreichische Hochmuth und Effronterie bisher auf das höchste gestiegen, so zweifele fast nicht, wie ich beständighin remarquiret zu haben glaube, an deren Umsturz, und nach ihrer eigenen vormaligen Medaille frangit Deus omne superbum.67-2

Inzwischen muss ich bezeugen, dass des Königs Majestät es an nichts ermangeln lassen, alles beizutragen, was zu Herstellung eines billigen Friedens diensam sein kann; Sie haben deshalb den Herrn von Knyphausen umständlich instruiret.67-3

Ich beziehe mich sonsten noch auf die chiffrirte Beilage sub littera A,67-4 worüber mir aber das höchste Secret von Ew. Excellenz erbitten und, obschon ohngerne, gehorsamst ansuchen muss, solche nach Dero Gelegenheit Selbst zu dechiffriren, auch gegen des Königs Majestät von meiner Communication Sich noch nichts äussern zu lassen, da ich Dero Einwilligung dazu noch nicht habe, aus treuer Intention gegen Dero Dienst mich dennoch es zu thun berechtiget und nöthig halte. La pièce67-5 cotée B67-6 est une lettre du sieur Rouillé;67-7 la lettre C67-8 est de M. de Choiseul,67-9 et D67-10 de Havrincour à Stockholm.67-11 J'y joins d'autres encore67-12 qui ne laissent entrevoir rien de bon pour la paix.

Ew. Excellenz muss aber mein vorstehendes Gesuch nochmalen auf das flehentlichste wiederholen, denn sonsten nicht nur mir das grösseste Désastre darüber widerfahren, sondern auch le canal d'oü tout cela part, serait totalement ruiné. Ich kann auch keinen Menschen davon ausnehmen. Des Königs Majestät haben sonsten auch gestern die betrübte Nachricht von dem Absterben des würdigen Landgrafen67-13 erhalten, so eine neue Scène geben dörfte

Eichel.

Auszug aus der Ausfertigung.

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67-1 „Precis d'une lettre de Pétersbourg du 28 décembre 1759“ , mit der Mittheilung, die Russen würden den Feldzug mit der Belagerung von Colberg eröffnen und dann Stettin belagern.

67-10 Thatsächlich C.

67-11 Ueber die Erfolge der französischen Partei in Schweden.

67-12 Der oben angeführte Brief Keiths, der Auszug aus einem Briefe aus Wien vom 10, Januar und die am 5. Februar auch an Knyphausen übersandten Briefe aus Paris (vergl. Nr. 11 800).

67-13 Vergl. S. 63.

67-2 Vergl. Bd. XVI, 80, Anm. 3.

67-3 Vergl. Nr. 11774. 11777.

67-4 Eine Abschrift von Nr. 11801.

67-5 Die folgenden Worte, da sie chiffrirt wurden, in französischer Sprache; Eichel hatte für die Correspondenz mit Finckenstein nur französische Chiffern.

67-6 Thatsächlich auch A.

67-7 Rouillé giebt in diesem Briefe den Inhalt eines Schreibens der Kaiserin-Königin an den König von Frankreich wieder, worin alle Friedensvorschläge bis zur völligen Entschädigung der Verbündeten, d. h. bis zur völligen Vernichtung des Königs von Preussen, zurückgewiesen werden, und schildert die entgegenkommende Antwort des französischen Hofes, welche die Zusicherung enthalte, „de tâcher de réduire le roi de Prusse à son électorat de Brandebourg“ .

67-8 Thatsächlich B.

67-9 Mit der Nachricht, dass man, da das Zustandekommen des Congresses ungewiss sei, in Frankreich den Krieg „avec toute vigueur possible“ führen wolle.