12124. AN DEN ETATSMINISTER GRAF FINCKENSTEIN IN MAGDEBURG.

Lager bei Meissen, 31. Mai 1760.

....Da Ew. Excellenz zu wissen verlangen, was die eigentlichen Absichten des Rückmarsches vom Laudonschen Corps in Böhmen sein könnten, so melde, dass nach allen bisherigen Nachrichten der General Laudon bei Königsgrätz den grössesten Theil des Beckschen Corps noch an sich gezogen und aus den von ihm bisher gemachten Arrangements es alles Ansehen hat, als ob er über Braunau, Starkstadt und durch das Glatzische in das schlesische Gebirge eindringen, Landeshut und Schweidnitz tourniren und so weiter in Schlesien gehen wolle; deshalb dann auch der General Fouqué schon wirklich mit seinem Corps aufgebrochen und in das Gebirge marschiret ist, um ihm, so viel möglich, sich im Gebirge zu opponiren und dieses sein Dessein zu vereiteln. So lange des Prinz Heinrich Hoheit mit Dero Corps noch in Schlesien werden stehen bleiben können, wird es mit der Entreprise des Laudon, wofern solches sein wahres Dessein ist, nichts zu bedeuten haben; wie aber auch die russischen Truppen zu remuiren und sich auf Gnesen und auf Posen zu ziehen anfangen, von deren Anzahl dennoch die Nachrichten noch sehr différent seind, so dörften auch wohl Ihro Hoheit der Prinz Heinrich genöthiget werden, um Sich nicht präveniren zu lassen, bald aus Schlesien aufzubrechen, alsdenn der General Fouqué wegen der üebermacht des Feindes gegen ihn sehr serriret sein dörfte, woferne es des Laudon wahres Dessein ist, wie gedacht, à tout prix in Schlesien einzudringen, und [er] auf Glogau, Breslau oder Brieg Jalousie geben wollte. Sonsten<383> seind alle Nachrichten dahin einstimmig, dass die russische Armee an regulären Truppen nicht stärker als 40000 und an irregulären bis an 14000 seie.

Des Königs Majestät haben daher an der Richtigkeit der Nachrichten des Herrn Baron von Münchhausen383-1 grossen Zweifel und halten es vor sehr vague und ohne dass man einigen Gebrauch davon machen könne, wenn ihm geschrieben worden, die Russen wollten gegen die Oder agiren, als woraus niemand verstünde, ob es gegen Stettin, gegen Küstrin, Glogau oder Breslau sein sollte.

Hier ist bis dato noch alles in der vorigen Situation geblieben, und von einigem Aufbruch der Reichsarmee hat man auch noch nichts gewisses erfahren. Es ist nicht zu glauben, dass der Feldmarschall Daun je risquiren werde, den König in dem hiesigen festen Lager zu attaquiren, dabei ersterer sein Conto schlecht finden dörfte; sollte aber der Prinz Ferdinand der Reichsarmee keine Jalousie mehr geben, welches er doch wegen Hessen nicht füglich thun und solches einem Feinde von der Seite ganz offen lassen kann, die Reichsarmee aber alsdenn gegen Leipzig und gegen das Magdeburgische vordringen wollen, mithin des Königs Majestät genöthiget sein, von hier aus stark zu detachiren, alsdenn wollte ich [nicht] davor repondiren, dass der Feldmarschall Daun nicht etwas auf das hier stehen bleibende Corps tentirete, wiewohl ihn solches doch allemal viel kosten würde. Dieses ist die ohngefährliche Situation, wegen welchem allen aber Ew. Excellenz ganz inständigst bitten muss, das alleräusserste Secret davon zu menagiren, weil, wenn etwas davon ohngefähr eclatiren sollte, solches viele Inconvenienzien nach sich ziehen könnte, aus welcher Ursache ich dann auch mich keines Chiffre bedienet.

Die grosse Ungewissheit, worin der König wegen der türkischen Négociation stehet, ist eines Dero grossesten Embarras mit, weil Sie, bevor Sie wissen, woran Sie deshalb seind, keine eigentliche Mesures nehmen können. Ich gestehe, dass mein Glaube auf solchen Secours anfänget schwach zu werden. Es ist zwar wegen der Zeit und der Entfernung derer Orte ohnmöglich, dass des Königs Majestät auf Dero letztere Instructiones Antwort noch Nachricht von daher haben können; da aber R[exin] selbst schreibet, wie Schwachheim383-2 von der Nachricht von der Disposition der Pforte krank geworden sei, und der russische Gesandte383-3 seine Abreise deshalb beschleuniget habe, so ist es ohnmöglich, dass man alles zu Wien ignoriren könne. Die grosse Sécurité, womit dieser Hof continuiret, und, dass nicht das geringste Mouvement bei denen Truppen zur Sicherheit von Ungern gemachet wird, wohin zu kommen doch fast eine Zeit von zwei Monat erfordert wird, machet mir den Effect des dem R[exin] von dem Grossvezier gethanen Versprechens sehr ungewiss; es müsste dann sein, dass man zu Wien sich darauf verliesse, dass die Türken ihre Campagne würden spät eröffnen können, und dass man also dadurch die Zeit gewinnen werde, erst hier oder in Schlesien einige Coups auszuführen und Laudon alsdenn, mit seinem Corps in Schlesien mehr à portée, noch allemal Zeit genug in Ungern eintreffen werde. Dabei mir doch aber das so grosse Stillschweigen in Polen sowohl als in Holland und selbst in Frankreich und Venedig Verdacht giebet. Sollte dieser Secours wegfallen, alsdenn dörften des Königs Majestät wohl resolviren, Sich mehr Luft zu machen und an einem oder andern Orte eine decisive Affaire zu engagiren suchen. Allemal wird also der instehende Monat Junius sehr critique sein und vermuthlich den Erfolg dieser ganzen Campagne decidiren.

Von dem von Ew. Excellenz mir communicirten chiffrirten Extract aus dem Schreiben eines sehr wohl intentionirten Ministers383-4 habe Bedenken getragen, bei des Königs Majestät einigen Gebrauch zu machen, bloss wegen der Passage, das Schreiben an den Prinz Ferdinand wegen eines gewissen von dem Landgraf verlangeten Offi<384>ciers384-1 angehend. Mir däucht, dass es indiscret von Seiten des ersteren gehandelt ist, wann derselbe dasjenige, was der König an ihn unter dem gewöhnlichen Vertrauen unter Freunde naturellement geschrieben, so crûment dem letzteren cummuniciret hat, wovon ich gar keine Ursache noch Absicht errathen kann. Es freuet mich, dass ich Ew. Excellenz vorhin schon die Originalantwort des Landgrafen wegen dieses ihm überlassenen Officiers384-2 zugesandt habe. Und da also, wenn der König das chiffrirte Schreiben gedachten Ministers gesehen haben würde, solches den Aigreur, so leider sich schon bei Gelegenheit der 10 Escadrons Dragoner384-3 zeiget, noch mehr augmentiren möchte, so habe ich solches vorzulegen Anstand genommen und muss Ew. Excellenz überlassen, ob Dieselbe von dem übrigen Einhalt des Schreibens noch einigen Gebrauch auf gute Art machen wollen. Ich muss Ew. Excellenz hierbei zu Dero alleinigen Direction und im höchsten Vertrauen melden, dass ohnerachtet ich das gute Herz des Prinzen gegen des Königs Majestät kenne und davon schriftliche Proben in Händen habe, dennoch Dero Betragen gegen letztere schon seit einiger Zeit her ganz singulier gewesen ist. Schon im Winter vorigen Jahres, als das Corps von der alliirten Armee unter dem Erbprinz von Braunschweig hier war, forderte der Prinz Ferdinand solches mit einer Art von Hauteur wieder zurück, die mich sehr frappirete, so dass er fast in seinem Schreiben an den König denselben einer Manque von Parole accusirele, die doch nicht da war, und gedachte Truppen dorten zu nichts als in die Winterquartiere zu gehen gebrauchet werden konnten, welche sie hier weit besser wie dort hatten und wovon sich die Sachsen noch ressentiren, auch gewiss die Gefahr, worum diese Truppen hier waren, noch existirete. Des Königs Majestät blieben allemal in der grössesten Moderation. Nachher extendireten der Prinz Ihre Quartiere, [Hessen] Contributions und Lieferungen ausschreiben nebst denen Werbungen, auf eine vorhin nie geschehene Art, so dass Sie den König platt auf Sachsen recognirten, und schrieben zuweilen ganz empfindliche Briefe deshalb, worunter der König allemal nachgab und in der grossesten Moderation blieb.384-4 Nachher schlug gedachter Prinz dem König einen im vorigen Herbst erst vom Stabescapitän zum Major avancirten Officier, den von Bülow, zum Obristen zu avanciren vor,384-5 und als des Königs Majestät solches wegen der ohnvermeidlichen Inconveniences mit Dero andern Officiers ganz poliment declinireten, jedoch die Hoffnung Hessen, dass solches bei distinguirten Gelegenheiten noch geschehen sollte, so marquirete der Prinz vieles Missvergnügen darüber. Endlich kam der Rappel der 10 Escadrons Dragoner dazu, und obschon der König dem Prinzen auf seine dagegen gethane Vorstellung auf die douceste Art den considerablen Verlust, welchen Sie an Kavallerie in der unglücklichen Affaire bei Maxen erlitten und davon Sie aller geschehenen Efforts ohnerachtet nur 10 Escadrons wieder retabliren können, mithin Ihnen noch 25 fehleten, auch die grosse Disproportion der Situation von dem Prinzen gegen die Ihrige remonstrireten, da der Prinz gegen die Franzosen überhaupt 2 Mann gegen 3, nämlich 90000 gegen 120000 Mann, der König aber 1 Mann gegen 2 feindliche überall stellen könnte, so hatte doch der Prinz diesen ihn eigentlich wenig relevirenden Abgang der 10 Escadrons in Engelland höher angebracht, als es wohl sein sollen, und kann sich deshalb noch nicht beruhigen, obschon der König ihm alle seine dort stehende Husaren nebst dem Freibataillon lässet, die hier und in Schlesien zur höchsten Nothdurft gebrauchet werden könnten.

Ich schreibe dieses alles nicht gegen Ew. Excellenz, um diesen würdigen und sehr estimablen Prinzen in einigen Tort zu setzen, sondern nur, dass [ich] wünschete,<385> dass diese kleine Bisbilles wieder corrigiret und das vorige enge und genaue Vertrauen wieder völlig herstellet werden könnte, welches auf die gemeine Sache so eine grosse Influence hat; denn ich gegen Ew. Excellenz wohl in gleichem Vertrauen sagen, auch durch die bei Deroselben deponirete Papiere es legitimiren kann, dass, woferne nicht des Königs Majestät vor denen vor den Prinzen so glorieusen Bataillen von Crefeld und von Minden denselben durch Dero sehr heilsame Inspirationes gleichsam geführet hätten, die Sachen nach dem dazu dort schon gemachten Zuschnitt einen sehr Üblen Pli genommen haben dörften. welches dem Prinzen jedoch wegen seiner sehr sagen Execution des ihm gegebenen guten Rathes an seinen dadurch erworbenen Meriten in nichts präjudiciret. Ich bescheide mich inzwischen, wie dejicat es vor einen Particulier sei, sich von dergleichen zu meliren und die Finger zu verbrennen; daher ich es auch nur bei dem treuen Wunsch lasse, dass alle Rancune cessiren und die vorige Harmonie und Confiance retabliret werden möchte. Nur muss zum Schluss noch den einigen Umstand anführen, dass, als des Königs Majestät im verwichenen Winter den Prinzen baten, seinen Plan zur Campagne so einzurichten, dass ein ganz mässiges Corps von seiner Armee sowohl Hessen als auch die damals linke Flanke des Königes385-1 gegen Thüringen deckete, um die Kreistruppen in Respect und Jalousie zu halten, damit solche nicht, wenn des Königs Majestät ihnen nichts opponiren könnten, impunément gegen Leipzig und nach dem Magdeburgschen und Halberstädtschen, auch wohl gar Braunschweigschen rücken und diese Länder nebst einem Theil des Hannoverschen ravagiren könnten, da niemalen an einen Rappel der 10 Escadrons Dragoner gedacht sein würde, der Prinz dennoch solches rotunde refusirete und die Ohnmöglichkeit davon angab. Worauf denn nachher gedachter Rappel erfolgete. Diese Escadrons seind endlich auch, nachdem sie vorher auf alle Weise zurückgehalten worden, so dass der König endlich die Ordre dazu selbst immédiate an den Prinz von Holstein-Gottorp schicken müssen,385-2 wirklich auf dem Marsch und dörften den 11. Junii bei Leipzig, nisi interim aliquid novi eintreffen.

Wegen der letzteren Antwort des Königs Majestät an Ew. Excellenz auf einen Cas, den Gott weit entfernen wolle,385-3 habe meine geringe Gedanken nur noch dahin anfuhren wollen, dass, wenn auch der ohnglückliche Vorfall, dessen darin erwähnet worden und welchen der Höchste verhüten wird, geschähe, es meines Erachtens ohnverantwortlich bleiben würde, wenn man alsdenn nicht alle Mesures nähme und dasjenige, so darin enthalten, so gut wie es alsdenn möglich wäre, wenigstens in der Nachtbarschaft zu sauviren [suchte], sondern es gleichsam, poings et pieds liés, zur Discretion zu überliefern. Ich hoffe zu Gott aber, dass der Cas niemalen existiren wird; indess man doch auf ohnverhoffte Fälle gedenken und in Zeiten einige Ueberlegung deshalb machen kann, um nicht ganz à l'improviste genommen zu werden.

Von Ew. Excellenz erbitte mir das einzige zur grössesten Gnade, dass Dieselbe geruhen, dieses mein Schreiben nach dessen Durchlesen sogleich zu verbrennen, damit durch keine Art von menschlichen Zufällen solches zu keines anderen Gesichte kommen kann: eine Gnade, so ich mir von Ew. Excellenz sicher und gewiss verspreche und Dieselbe darum höchstens conjurire.

Eichel.

Auszug aus der Ausfertigung.

<386>

383-1 Schreiben Münchhausens an Finckenstein, d. d. Hannover 25. Mai.

383-2 Der österreichische Gesandte in Konstantinopel.

383-3 Fürst Schachowskoi.

383-4 Des hessen-casselschen Ministers von Donop, vom 19. Mai.

384-1 Donop hatte geschrieben: „Monseigneur le Landgrave s'est servi du duc Ferdinand pour demander au Roi le congé pour le sieur Jungheim (vergl. S. 274). Sa Majesté a répondu qu'elle ne se souciait pas de garder cet officier dans son service, mais qu'elle le retenait, pour avoir quelque chose en main pour cajoler ce Prince.“

384-2 D. d. Cassel 6. März.

384-3 Vergl. Nr. 12119.

384-4 Vergl. Nr. 11858. 11873.

384-5 Vergl. Nr. 12039.

385-1 So. Vergl. S. 184.

385-2 Vergl. Nr. 12022.

385-3 Vergl. Nr. 12112.