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Drittes Buch
Heldenthum

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39. Epistel an meine Schwester in Bayreuth111-1
(Juli 1757)

Du meines Erdenwandels holder Stern,
O Schwester, die mir Freundin nah und fern,
Du kennst mein Leid, begreifst, was mich auch quäle,
Dein Blick beschwört den Sturm in meiner Seele!
Was tut's, wenn mich das Schicksal jagt in Not,
Was tut's, wenn eine Welt von Feinden droht!
Die Erde öffne sich, mich zu verschlingen,
Die Könige mögen ihre Waffen schwingen —
Was tut's, wenn Du mir gütig bist gesinnt!
Du sprichst ein Wort, und alles Leid zerrinnt!

Ich sah die Wolken sich zusammenballen
Und sah die Blitze auf mich niederfallen, —
Du weißt, ich sah es und blieb ruhig doch,
Als die Verschwörung111-2 heimlich mich umkroch.
Ein bös Verhängnis! Dem Gewitterbeben
War ich urplötzlich schutzlos preisgegeben.
Die Zwietracht schnellte aus dem Höllenschlund
Und ließ erzittern rings das Erdenrund.

Des Krieges Fackel schwingt das Ungeheuer,
Das hitzige England fängt als erstes Feuer.
Und ferne Zonen trifft's: hart ringen da
Europas Mächte in Amerika. 111-3
Das Meer wird aufgewühlt an allen Enden,
Und England reißt Neptun die Macht aus Händen.
<112>Der Irokese, dieser Kämpfe Preis,
Sieht in dem Fremdling giftiges Geschmeiß.

Die Zwietracht ist mit ihrem Werk zufrieden,
Mit all den Greueln, die sie schuf hienieden:
Sie lacht der Menschen, die von Blutgier toll
Ziehn durch den Ozean, der sie trennen soll!
Ihr Ziel geht weiter: daß die ganze Erde
Von ihr beherrscht, von ihr durchrüttelt werde.
Frech dringt sie auf Europas Fürsten ein:
„Wollt ihr nur Sklaven des Gesetzes sein?
„Und seid ihr von den blinden Vorurteilen —
„Gerechtigkeit und Duldung — nicht zu heilen?
„Der Gott, der herrscht, ist Mars! Macht geht vor Recht!
„Sie übe, wer von fürstlichem Geschlecht!“

Cäsarentochter! Solche Blutgedanken,
Wie bringen sie so leicht dein Herz in Schwanken!
Dich packt die Gier nach Macht! Gewissen, Pflicht,
Verträge binden nun dich länger nicht,
Und deine Leidenschaft stürzt alle Schranken.

Ha, der Germane, stolz und ungezähmt,
Ob seines Freiheitsdrangs von dir verfemt,
Soll die Rivalen mörderisch vernichten
Und auf den Trümmern dir den Thron errichten.

Gewalt'ge Mittel heischt das große Ziel,
Die höchsten Fürsten wirbst du für dein Spiel.
Schlau weißt du sie mit Ränken zu umstellen,
Mit Trug und Golde fängst du dir Gesellen,
Und jede Falschheit, jede Freveltat
Erhöhn und stärken dein Triumvirat.
Wie konntest du so rasch Europa packen!
Nun fühlt es deinen Fuß auf seinem Nacken.
Freund voller Scheu sucht sich zurückzuziehn, —
Freund ohne Treu eilt zum Verrat nach Wien.
Vom Pyrenäenhang bis zu den Steppen,
Wo Rußlands Völker Sklavenketten schleppen,
Schart alles sich um Österreich zum Kampfe,
Der mich vernichte und mein Recht zerstampfe!
<113>Und die Cäsarentochter triumphiert
Im voraus, jubelt laut und phantasiert
Von Sieg und Länderraub und kostet schon
Die süßen Früchte ihrer Illusion.
So geht's den Großen, die den Trieb nicht hemmen!
Im Glück voll Dünkel und im Unglück Memmen,
Berauschen sie sich an dem giftigen Wahn
Und folgen haltlos ihrer Schreckensbahn!

Schmähliche Selbstsucht hat die Bundesstaaten
Erbärmlich dem Triumvirat verraten, 113-1
Das, zu verbrecherischem Tun geschürzt,
Gewissenlos sich auf das Opfer stürzt.

O Tag der Schmach! Weh' den verruchten Schritten!
An Frankreich gibt Theresia preis den Briten,
Den Freund, der einzig ihr zur Seite stand,
Als der Erobrer beutegierige Hand
Die mächtige Erbschaft, die ihr ward verheißen,
Gleich nach des Vaters Tod ihr wollt' entreißen.
Der Brite nur half ihr zu Reich und Thron!
Wer Kön'gen dient, der erntet schnöden Lohn!

Und du, der mürrisch trägt des Purpurs Falten,
Vergißt du, wer das Elsaß dir erhalten?113-2
Wie sah ich doch, das Herz von Grimm geschwellt.,
Des Adlers Flügelschlag im Lilienfeld.
So Schimpf als Dank kommt leicht bei dir zum Schweigen.
Wie rühmlich, sich als Weiberknecht zu zeigen!
Der Liebsten Gnade hat dir Glanz verliehn.
Hof und Mätresse richten sich nach Wien;
Die Pompadour verkauft dich ohne Zucken,
Dein Frankreich muß sich unter Östreich ducken,
Und Kanada wird Englands Eigentum.
Doch was gilt Ludwig seines Landes Ruhm?
<114>Therese fühlt sich vom Erfolg gehoben
Und will die Fülle ihrer Macht erproben:
In ihren Ländern regt sich's sonderbar,
Östreich gebiert Soldaten, Schar auf Schar,
Und Böhmen, von des Feldzugs blutigen Spuren
Noch rot, sieht neues Kriegsvolk auf den Fluren.
Not folgt dem Schreck, der durch die Lande jagt,
Der Friede stirbt, und das Gesetz versagt.
Für Mord und Totschlag ist die Zeit geschaffen,
Das Feld liegt brach, das Volk sieht unter Waffen.

Und jener Geist, der alle Schlachten lenkt,
Er, der des Todes Sense hebt und senkt,
Der uns verderben kann und Siege bahnen,
Gab eine schwanke Stütze unsern Fahnen.
Er straft die Tapferkeit durch Überzahl:
Der Feind, den wir besiegt so manches Mal,
Besetzt die schroffen Höhn mit seinen Rotten
Und wagt es, unsrer tapfern Wehr zu spotten.
Was jemals Heldensinn und Todesmut
Vermocht hat, reizte das Soldatenblut
In meinem Heer. Nie war ein Kampf verwegner!
Der Sturm gelingt, schon weichen unsre Gegner,
Doch fehlt der Nachschub, der zu Hilfe stiegt —
Der Feind erholt sich, seine Masse siegte!114-1

Man glaubte, Preußen stürb' an dieser Wunde,
Und prophezeite schon die Todesstunde.
Die Fürsien, die bis zu dem schlimmen Streich
Dem Kampf noch müßig zusahn, wurden gleich
Von schändlicher Begehrlichkeit geblendet
Und haben rasch dem Feind sich zugewendet,
Mit ihm zu teilen unsre arme Haut.

Selbst die sich nah dem Nordpol angebaut,
Die einst um Kriegsruhm heldenhaft geworben
Doch jetzt vom käuflichen Senat verdorben:
Die Schweden sieht man schon gerüstet siehn,
Um nun bei uns auf Beute auszugehn.
<115>Noch schlimmer! Meine eigene Sippe schändet
Ihr Blut — sie gibt, ob feige, ob verblendet,
Betrogen oder bösen Sinns, wer weiß!
Widernatürlich ihren Bruder preis
Und bietet, ganz der Heuchelei verfallen,
Sich meinem ärgsten Feinde zu Vasallen. 115-1
Wer kennt des Schicksals heimliches Gebot,
Das plötzlich unser Glück verkehrt in Not!
O falsche Göttin, deinem raschen Rade
Stürmt blinder Ehrgeiz nach auf steilstem Pfade!
Entweihung wär's der Dichtkunst, buhlt' ich hier
Um deine Gunst und drängte mich zu dir.
Ich weiß, ich bin ein Mensch, muß Leid ertragen,
Und deine Abkehr läßt mich nicht verzagen.

Doch du, mein Volk, für das mein Herz erglüht,
Um dessen Glück sich meine Seele müht,
Vor deinem Elend, unverdient und traurig
Und aussichtslos, in tiefster Brust erschaur' ich.
Der Prunk des Purpurs dünkt mich schal und hohl,
Mein Herzblut gab' ich für des Volkes Wohl.
Hör' du's, mein Volk! Ich opfre frohen Mutes
Dem Vaterland den letzten Tropfen Blutes!
Dein treuer Schirmherr, will ich vorwärts gehen.
Du sollst dem Feinde trotzig widerstehen,
Ich führe dich! Und wo nicht Sieg uns werde,
So bettet mich in der verlornen Erde!

Gerüstet schon, um in die Schlacht zu ziehn,
Welch Trauerklagen hör' ich aus Berlin!
Ertragen muß ich noch den Ruf, den herben,
Grausamen: „Deine Mutter liegt im Sterben115-2
„Und ist vielleicht nun schon dahin!“ — O Tag,
Du bringst des Unheils allerschwersien Schlag.
Will alles Leid auf meinem Haupt sich häufen?
<116>Weh mir, auf den nur Qualen niederträufen —
Zu lange trag' ich dieses Lebens Pein!

Mußt' ich auch deinem Arm entzogen sein,
O Mutter, und den letzten Kuß entbehren!
Mein Herz erzittert unter heißen Zähren,
Mein Herz, das, längst von Bangigkeit erfüllt,
Vorahnte, was die Stunde rauh enthüllt.
Wohl hoffte ich, daß meinem Flehn zum Lohne
Die Parze deiner edlen Seele schone
Und meinen Lebensfaden nur durchriss' —
Es hat nicht sollen sein! O Bitternis!
So ist, erhabne Frau, dein Licht verglommen,
Du bist ins Reich der Schatten aufgenommen!
Dir danke ich mein Sein, dir dank' ich mehr:
Warst meinem Geist ein Vorbild, hoch und hehr!
Und dies bleibt unvergänglich mir gerettet.
Mir heilig sei die Gruft, drin du gebettet!
Sofern nicht alles ganz und gar versinkt
Und noch ein Seufzer zu den Toten dringt,
Sofern dir fühlbar meines Herzens Jammer,
Laß meine Tränen ein in deine Kammer
Und nimm als Gruß hin meiner Blumen Duft,
Die ich ausbreiten will auf deiner Gruft.

Was mir vom Leben bleibt, sind Schicksalstücken;
Endlose Martern werden mich bedrücken.
Die Gegenwart ist schrecklich — und was wird?
Ist mir der Herrgott denn ein gütiger Hirt?
Wär' er so gut und lieb zu seinen Kindern,
Er müßte, was sie kränlt und plagt, verhindern.

Ihr biedern Wächter eines frommen Trugs,
Mit dessen Wirrwarr euer Ansehn wuchs,
Ihr lockt die Menschenbrut, die voll Bedrängnis,
In eures Irrgangs düsteres Gefängnis.
Mir schwand der Zauber, und der Schleier fiel:
Ich seh's! Das Schicksal treibt mit uns ein Spiel.
Doch lebt ein Geist in unerforschten Sphären,
Verächtlich läßt er das Gewürm sich mehren.
<117>Gleichgültig ist's ihm, ob die Menge krönt
Den Phalaris und Sokrates verhöhnt,
Ihn rührt nicht Tugend, Laster, Kriegsbeschwerde
Und alle Schmach und Greuel dieser Erde.
So, liebste Schwester, seh' ich meiner Not
Beschluß und die Erlösung nur im Tod.

<118>

40. Über den Zufall
An meine Schwester Amalie
(September 1757)118-1

Nein! Bilde dir nicht ein, daß Menschenleid
Zu Gott heranreicht und er Huld uns gönnte.
Er sieht zu hoch in seiner Seligkeit,
Als daß ihn irgend etwas rühren könnte.
Gott hört nicht unsre Wünsche, unser Flehn,
Und wenn wir auf Altären Opfer zünden.
Kein Weihrauch wird ihm unser Fühlen künden,
Er läßt uns weder Lohn noch Strafe sehn.
Sein Blick ist auf das Große eingestellt.
Dem Erdball und der Sterne lichtem Chor,
Die ihre Bahn ziehn durch die weite Welt,
Schreibt er die ewigen Gesetze vor.

Allein, so fragst du, welche Macht denn waltet,
Die unser Los so mannigfach gestaltet?
Wenn Gott nicht unser Erdenschicksal lenkt,
Nicht Lohn und Strafe über uns verhängt
Und wägt, was uns an Lust und Leid geschieht —
Wird da der Mensch des eignen Glückes Schmied?
Ist denn der Spruch Voltaires als wahr erkannt:
„Wo Dummheit scheitert, triumphiert Verstand!“

Nicht möcht' ich, liebe Schwester, allzu grämlich
Und durch das eigne Mißgeschick beirrt,
Verleugnen, daß mitunter sehr vernehmlich
Die Klugheit unsre Mitberatrin wird.
<119>Natur, die jedem leichte Gunst gewährt,
Geizt doch mit Gaben, die von höherm Wert.
Wohl siegte am Gramkos, wie wir wissen,
Des Staatsmanns Einsicht und des Feldherrn Kunst,119-1
Cäsar gewann in Rom die Oberhand,
Weil Mut und Klugheit sich in ihm verband.
Auch Mohammed steigt aus der Zeiten Dunst
Und Wasa, gleichen Heldentums beflissen.
Doch aus Jahrtausenden, die hingegangen,
Mit all den großen Taten, die sie künden —
Wie wenig Namen konnten Ruhm erlangen,
Weil selten sich Verdienst und Glück verbünden!

Wer sieht ihn nicht, den ungeheuren Schwall
Von Namenlosen, Narren, Idioten,
Die dumm und faul, nie einen Wert geboten
Und doch zu Ansehn kamen überall,
Und die, verblendet von dem eignen Prunk,
Frech und voll Dünkel jede Huldigung
Der Unterdrückten sich gefallen lassen,
Indessen Klügre nirgends Boden fassen!

So, Schwester, ist die Welt des Zufalls Reich.
Er straft und segnet. Einem Dämon gleich
Vorsehung spielt er, und wir müssen's tragen.
Nicht soll es jene blinde Kraft besagen,
Die launisch, ohne Wahl und Plan, im trüben
Bereich des Zaubers Heidengötter üben.
Doch Zufall nennt sich das geheime Spiel,
Von Ursachen, das im Verborgnen waltet,
Nie oder doch zu spät sich uns entfaltet
Und irrführt, bis man ihm zum Opfer fiel.

Der Philosoph weiß: Aus dem Mutterschoß
Der Ursachen ringt jede Tat sich los,
Und erst, wenn das Ereignis sich vollzogen,
Wird Grund und Folge streng von ihm erwogen.
Der aufgeblasne Staatsmann glaubt, sein Licht
<120>Durchdring' der Zukunft Nacht, doch blind dem Scheine
Folgt er und stolpert über Stock und Steine
Und fällt, ein Opfer blöder Zuversicht.
Er wußte mit den wunderlichen Launen
Der Könige nichts Rechtes anzufangen,
Und kein Prophet war da, ihm zuzuraunen:
Die Fährte dort ist Würger Tod gegangen!
Mit jedem Herrscher ändert sich die Welt,
Der Erbe will nach eignem Sinne schalten,
Kein Sohn, der an des Vaters Weg sich hält!
Es folgen neue Irrungen den alten!...

Wo Neid und wo Begierde Grausiges brütet,
Wo schrankenlos der wilde Aufruhr wütet,
Dort gährt's, wie sturmgepeitschter Ozean.
Des Staates Schisslein tanzt auf schwanken Wellen,
Treibt hin und her, um schließlich zu zerschellen,
Und Tote kreisen um geborstnen Kahn.
Wie kommt's, daß einem hier die Segel schwellen,
Wo Wind den andern ins Verderben blies,
Und daß, wo einer auf die Klippen stieß,
Andre gefahrlos ihrem Hafen nahten?
Klugheit ist Kunst, das Richtige zu erraten!
Das zeigt uns die Geschichte vieler Staaten ...

Man schau', was Liebeswahn zuwege bringt:
Von einer Schar der schönsten Fraun umringt,
Läßt Ludwig, kühl selbst gegen Herzoginnen,
Sich leicht von eines Wuchrers Kind umspinnen;
Er liest sie auf aus muffigem Straßenstaube,
Die Pompadour! Sie wird in seiner Hut
Ein Amboise120-1 in der Weiberhaube
Und Frankreichs Atlas, drauf das Volkswohl ruht.
Die sonst vielleicht den Venustempel zierte,
Ist des Bourbonensohns privilegierte
Machthaberin und lenkt Europas Los.

Wer hätt' aus Vogelfiug und Sternen bloß,
Und hätte sie den Weisesien befragt,
<121>Wer hätt' den Aufstieg ihr vorhergesagt?
Sie wuchs im Dunkel auf, das nichts verhieß.
Erst eine Heirat schuf ihr Paradies.121-1
Erfahrung hat die Augen uns geschärft,
Wir sehn, wie an den Höfen Schranzentum
Sich breitmacht und der Dirnenschaft zum Ruhm
Verhilft, die alles aussaugt und entnervt.
Wir sehn, wie Heuchler Könige besiechen
Durch hinterlistige Förderung ihrer Schwächen.
Bei solchem Werk, das oft ein ganzes Reich
Zerstört, sind Sklaven und Tyrannen gleich ...

Doch mehr als bei der höfischen Intrige
Hängt man von Schicksalslaunen ab im Kriege.
Wie ernsthaft man um den Erfolg sich müht,
Der siegt nur, dem der Schlachtengott gewogen;
Wenn einem unverdienter Lorbeer blüht,
Der andre wird um sein Verdienst betrogen.

Auf dieser edlen Laufbahn läßt der Held
Vom Zufall sich nicht schrecken. Doch sein Ringen
Und Kämpfen wird den Unstern nicht bezwingen,
Auch wenn er sein Genie entgegenstellt.
Den Ausschlag gibt der unbekannte Haufen,
Auf seinem Heer beruht des Feldherrn Heil.
Dem Führer wird Schimpf oder Preis zuteil,
Wenn Feige oder Tapfere für ihn raufen.
Niemals nach den Erfolgen sollte man
Den Feldherrn werten, sondern nach dem Ziele
Und nach dem Geist, mit dem im Zufallsspiele
Des Kampfes er auf jeden Vorteil sann.
Man schaue sich darauf die Kämpen an!

Als Prinz Eugen, der sieggewohnte Held
Vor Belgrad lag,121-2 dacht' er, von Mut geschwellt,
Mit Leichtigkeit das Bollwerk zu erstürmen,
Die Türken fortzuwehn von Wall und Türmen.
<122>Plötzlich fällt der Wesir ihm in den Rücken,
Das Heer der Christen sieht sich eingepreßt,
Die Donau wehrt den Rückzug. Zu den Tücken
Der Hungersnot gesellt sich rasch die Pest.
Verzweiflung rings! Und Prinz Eugen erkennt,
Daß seinem Tun ein zorniges Schicksal fluche.
Mit einem letzten mutigen Versuche
Wägt er, ob Tod ihm oder Sieg vergönnt.
Er stürzt sich auf den Feind mit kühnem Wagen,
Bald ist das Türkenheer zerstreut, geschlagen.
Zwar wehrte lange sich mit tapfrer Hand
Der Großwesir; sein Plan schien ihm zu glücken,
Das Zünglein auf des Schicksals Wage stand —
Dann aber wandte ihm das Glück den Rücken.
So wurde ihm Erfolg und Ruhm geraubt:
Viktoria kränzte Prinz Eugen das Haupt...

So narrt der Zufall. Unberechenbar
Und launisch läßt er Toren leicht vollbringen,
Was Klugen häufig unerreichbar war.
Wem ist's vergönnt, die Zukunft zu durchdringen?
Vergeblich auch ist menschliches Beginnen,
Dem uns beschiednen Schicksal zu entrinnen.

Wie glänzte Marlborough vor allen andern!
Bei ihm hieß Kämpfen Siegen. Keine Beste
Hielt stand, wenn sie sein Eisenarm umpreßte.
Des Rheins Befreier, Sieger über Flandern,
Das geistige Haupt in Englands Parlament,
Wird er von einer Masham durch den bloßen
Haß eines Hoffräuleins, das niemand kennt,
Gestürzt, und damit werden umgestoßen
Die Pläne auch von zwanzig andern Mächten,
Die mit Britannien im Bunde fechtend.122-1

Und wie erging es jener stärksten Flotte,
Die je das Meer auf seinem Rücken trug?
<123>Gen Albion steuerte der Schisse Bug,
Und Schutz erhoffte es von keinem Gotte.
Schon sah es sich im Joch, dem Feind zum Spotte,
Da — blies ein Wind, der Mast um Mast zerschlugt!123-1

Das Jammervollste zeigt uns die Geschichte
Der unglückseligen Stuarts. Wilde Söhne
Des Pittenstammes zwangen rauh die schöne
Maria, daß sie auf den Thron verzichte.
Bei Englands Königin sucht die Arme Heil,
Gerät in Kerkersnot und unters Beil.
Und nach dem blutigen Fall besteigt der Sohn
Mariens123-2 Englands mächt'gen Thron,
Doch schnell verging auch dieser Glanz.

Mit seinen glaubensstrengen Völkern mußte
Der schwache König Karl123-3 manch schlimmen Tanz
Besiehn. Als Gegner tritt der selbstbewußte,
Tollkühne und verschlagne Cromwell123-4 auf.
Gewaltmensch! Hart ist seines Herzens Kruste,
Und kein Gewiffensdruck hemmt seinen Lauf.
Wer ihm im Weg, den richtet er zugrunde
Und ruft für jede Schandtat Gott zum Bunde
Und steigert seinen Haß zur höchsten Wut
Und taucht die Hand in seines Königs Blut.
So zeigt es sich, daß keine Erdenwürde
Und nicht erhabne Abkunft Schutz gewährt,
Wo ein Rebell das Hoheitsrecht entehrt.

Jakob der Zweite trug des Zepters Bürde
Noch kürzre Zeit. Tochter und Schwiegersohn123-5
Vertrieben diesen Schwächling rasch vom Thron.
Den Kampf des jungen Eduard sahn wir alle!
Nach halbem Siege kam er schnell zu Falle,123-6
<124>Er irrt von Land zu Land nun in Bedrängnis —
Als echten Stuart zeigt ihn sein Verhängnis.

Nach Rußland seht: wie rührt uns Iwans Los!
Er wurde unter Schicksalsschlägen groß,
Ein wollusttrunken Weib bringt über Nacht
Den armen Wicht um Thron und Herrschermacht 124-1
Und gibt ihn der sibirischen Wildnis bloß.
So wählt sich das Geschick elende Zeugen,
Verworfne Helfershelfer, uns zu beugen.

Daß ich in frühen Jahren Glück erfuhr:
Nicht mein Verdienst, ein Zufall war es nur!
Ich strebte nach dem Ruhme der Heroen
Voll Leidenschaft und jungem Überschwang.
Dem Müßiggange bin ich rasch entflohen
Zum Feld, wo man um blut'ge Lorbeern rang.
Der Erste, dem ich dort begegnen muß,
War ein gelehriger Schüler des Eugen,
Erfahren, wie nur ein Sertorius,
Dem alle Künste zur Verfügung siehn.
Eh' ich erkannt, was Neipperg mit mir plante,
Eh' ich von seinem Anmarsch etwas ahnte,
War ich von seinen Truppen schon umstellt
Und wußte nicht mal, wo der Gegner hält.
Ein Überläufer zeigt mir die Gefahr,
Zeigt Stellung, Stärke, Plan der Gegenschar,
Ich stürme los, es kommt zum Kampf, ich siege.124-2

Fortuna baute mir des Ruhmes Wiege;
Bin ich nun klug, so dank' ich's ihr zumeist.
Doch darf man dieser Wankelmütigen traun?
Bald schenkt sie ihre volle Gunst dem Daun,124-3
Und ich mit meiner Fahne steh' verwaist.
Um recht brutal mich zu verhöhnen, stellt mir
Die Ungetreue bis ins Alter nach,
Wirft mich auf Klippen, droht mir Sturz und Schmach,
Zermürbt mich! Feder, ach! und Schwert entfällt mir!...
<125>Der Feind bleibt immer rührig, und er trägt
Mit finstern Plänen sich, uns anzufallen.
Nun heißt's: Kampf oder Schmach! Die Stunde schlägt!
Nun braucht's des Helden, dessen Vorbild allen,
Vom ersten bis zum letzten, Mut gewährt.
So streckt am Euphratsirom der Palmenbaum
Die Krone trotzig in den freien Raum,
Wenn Sturmgewitter durch die Lande fährt
Und in der Flut, die jach emporgestiegen,
Das Rohr zerbricht und sich die Binsen biegen ...

<126>

41. Epistel an d'Argens
(23. September 1757)

Mein Freund, mit mir ist's aus, der Würfel fiel;
Zum Sterben müde steh' ich schon am Ziel:
Genug der Wunden, die das Schicksal schlug,
Genug der Leideslasten, die ich trug;
Mutter Natur hat wohl noch manche Tage
Mir zugedacht, Tage voll Not und Plage.
Sie meint's zu gut! — Ich aber mag nicht mehr!
Im Herzen Stille, schreit' ich freudig zu,
Mit festem Blick, dem Ziel der großen Ruh,
Der Friedensfreistatt, wo ich sicher war'.

Mich kostet's nicht ein Seufzen, nicht ein Beben,
Der Parze, die da spinnt mein leidig Leben,
Den Faden zwischen ihren Händen beiden,
Eh' meine Spindel leer ward, zu durchschneiden.
Atropos nickt. Hinab, der Ferge harrt:
In seinem Nachen sind sie alle gleich,
Der Fürst, der Hirte, keiner höherer Art.
Auf tut sich mir des ewigen Friedens Reich.

Fahrt hin, fahrt hin, Truglorbeer, Heldenkränze!
Fürwahr, das heißt zu hohen Preis bezahlen,
Damit dein Name noch der Nachwelt glänze:
Vielleicht auf einen Augenblick bewundert
Für vierzig Jahr der Mühsal und der Qualen,
Nährst du der Gegner und der Hasser hundert!
Wahnträume ihr der Größe, fahret hin!
Ihr Lichtgebilde, kaum erglüht,
Und schon erloschen und versprüht,
Ihr blendet mmmer mir den Sinn.
Den Werdenden im Lebensmorgenlicht
Hat euer falscher Glanz betört;
<127>Da blühten Wünsche auf, töricht, vermessen —
Der Wahrheit Schüler hat sie längst vergessen,
Erkenntnisreife machte sie zunicht,
Zeno hat Wert und Unwert mich gelehrt,
Und längst hab' ich's gelernt, mich zu bescheiden,
Den Giftpokal der Eitelkeit zu meiden.

Auch ihr, der Liebe Seligkeiten,
Fahrt hin, fahrt hin!
Die ihr umschmeicheltet zuzeiten
Den zärtlichen, verwöhnten Sinn;
Du Reigen süßer Huldgestalten,
Der Blumenketten um mich wand,
Solang ich selbst im Lenze stand,
Allzeit in Lust zu mir gehalten —
Doch ach, gar bald mein Blühen schwand!
Das leidige Alter stellt sich ein,
Hinfällig, frostig, unerquicklich:
Und von mir gingt ihr augenblicklich.
Nun, Amor wird nicht allzu böse sein:
Neun Lustren gingen hin, mein Herbst ist nah,
Wie leicht sagt sich's Valet der Liebe da;
Weiß ich doch selber kaum, wer von uns beiden
Es eil'ger hatt', vom anderen zu scheiden.

Doch still, wohin
Schweift noch dein Sinn!
Was gilt mir alle Lust der Welt,
Zum Tode traurig, wie ich bin?
Wer mag, wenn ihn in grimmen Fängen
Ein Geier hält,
Nach Philomeles Liebe fragen
Und ihren zärtlichen Gesängen,
Der Turteltaube Girrn und Klagen?

Wie lange schon in diesen trüben Tagen
Bringt jedes Morgenlicht mir neue Plagen,
Wie lang rann mir lein Körnlein Mohnes nieder
Aus Morpheus' karger Hand auf meine Lider.
Den Morgen fragt mein Auge tränenschwer:
<128>Was kündet mir in seiner Wiederkehr
Der junge Tagesschein als neue Not?
Ich sprach zur Nacht: dein endlos Dunkel droht,
Ins Endlose mein schlaflos Weh zu dehnen.

Ich ward es müde, ewig nur zu schaun
In diese Nacht von Mißgeschick und Graun
Und immer nur dem Hasseswüten
Verworfener die Brust zu bieten,
Den Streichen ihrer Niedertracht.
Ich hoffte auf die Segensmacht
Der Zeit, die säumig zwar und sacht,
Ein freundlicheres Schicksal bringt;
Dann weicht die Wetterwolkennacht,
Der Sturm erschweigt,
Und strahlend steigt
Das Licht, das alles Grau durchdringt,
An unsrem Lebenstag hinan.
Dann ist die Erde wieder hold
Und liegt in lautrem Sonnengold,
Und bessre Tage brechen an!

Wahn, mein geduldig Hoffen! Wahn!
Ins Ungemeßne steigen, türmen
Die Sorgen sich, es brüllt das Meer,
Und unter wilden Donnerstürmen
Blitzt das Verderben auf mich her.
Umstarrt von Klippen allerwärts,
Ein Wrack das Schiff, von Not und Tod
An allen Enden nur bedroht;
Still sieht vor Graun das Seemannsherz:
Wo ist ein Hafen, der uns rette,
Wo eine letzte Zufluchtstätte?

Versiegt die Quelle, ausgeleert,
Die meines Staates Glück genährt!
Dahin die Palmen über mir,
Verwelkt all meine Lorbeerzier!
Soll ich, erschöpft und ausgegeben
An Tränen, Seufzern, und zermürbt
<129>Die Jammertage überleben,
Da mir mein Vaterland verdirbt?

Du Dienst der Pflichten, der mir heilig war,
Nun wardst du überflüssig ganz und gar!
Bin ich denn noch des Staats Verteidiger?
Mein Arm sinkt nieder, müde und geschwächt,
Mein Ruhm, mein Name bleiben ungerächt,
Es triumphieren die Beleidiger;
In Zukunft wird kein Mensch mehr davon sagen,
Wie ich die Feinde einst aufs Haupt geschlagen.
All meine Helden sind dahin,
Hin jedes Siegestags Gewinn!
Von Übermacht und Überzahl
Erdrückt, erschlagen,
Verlor ich alles — ja sogar
Die Hoffnung, die mein Letztes war:
Ich dürfte doch dereinst einmal
In bessern Tagen
All unsre Tempel wieder sehn
Aus ihren Trümmern neu erstehn.

Helden der Freiheit, die ich ehre,
Catos und Brutus' hohe Manen,
Ihr seid mir Vorbild, Trost und Lehre!
Mit eurer Todesfackeln Brand
Weist ihr mich hier die rechten Bahnen,
Heraus aus Wahn und Unverstand,
Den Weg, dem Pöbel unbekannt.
Hat jedes Römers Herz in alten Tagen
Höher als heut ein Königsherz geschlagen?
Nein, einen König gibt's, der eisern hält
An seinem guten Recht auch gegen eine Welt,
Der anders als ein freier Mann
Nicht leben oder sterben kann,
Der nach der Satzung nicht der feigen,
Vorurteilsvollen Menge fragt,
Und der's wie jene Alten wagt,
Erhabnen Römersinn zu zeigen.
Wer hoffnungslos im Staube liegt,
<130>
Sich der Tyrannenherrschaft fügt,
Der Übermacht, die endlich siegt,
Wird dem das Leben nicht
Verbrechen, Tod zur Pflicht?
Mich schreckt nicht das Phantom mit klapperndem Gebein;
Das freudige Asyl sei mir der Sarg,
Das aus des Schiffbruchs Graus und Pein
Roms größte Söhne rettend barg.

Was gehn mich alle die Legenden,
Die üpp'gen Hirngespinste an,
Die nur der Aberwitz ersann,
Die Wahn erzeugt aus seinen Lenden!
Des Menschendaseins Rätsel zu ergründen,
Werd ich mich mit den Frommen nicht verbünden!
Mein Meister Epikur hat mich belehrt,
Wie schonungslos die Allgewalt der Zeit
Die Lebenseinheit auflöst und zerstört:
Die Flamme, die uns Leben leiht,
Die unsren Leib erhält und nährt —
Sie weiß nichts von Unsterblichkeit!
Zusammen mit dem Leib entsteht sie,
Erstarkt, so wie das Kind gedeiht,
Erduldet schwerstes Erdenleid,
Dann schwelt sie trüber mit der Zeit,
Flackert, verglimmt — zuletzt vergeht sie
In jener Stunde ganz gewiß,
Da in die ew'ge Finsternis
Die ganze Lebenswelt, die uns umringt,
Vor unserm letzten Blick versinkt.
Die Zeit, in der wir das Leben verloren,
Und die, in der wir noch nicht geboren,
Sie gleichen sich. Ertrunken in Nacht
Ist, was wir erlebt und was wir gedacht.
Denn nach dem Weltgesetz, dem alten,
Ist jeder Sterbliche gehalten,
All die geheimen Kräfte, die
Natur fürs Daseinsspiel ihm lieh,
Dem Muttcrschoß zurückzugeben ...
<131>Bei dir, d'Argens, begreif' ich's immerhin,
Wenn dir dein Leben teuer ist:
Ein stiller Lebenskünstler, der du bist,
Der von Ambrosia lebt, da hat es Sinn:
Schoßkind der Künste, stets gewiegt
Von Melodien, stets umschmiegt
Von Grazienanmut, Musenhuld.
In schönem Gleichmaß fließt dein Leben,
Maßvoll und ohne Ungeduld
Ist all dein Wünschen und Bestreben;
Und so gefeit
Vor Furcht und Neid,
Vor Herzeleid und Bitternis,
In feingestimmtem Wechsel holder Freuden
Hat deine Lebensweisheit hier euch beiden,
Dir und der liebsten aller lieben Frauen,131-1
Verstanden, eine kleine Welt zu bauen,
Darinnen sich's behaglich thronen ließ,
Ein rechtes Müßiggängerparadies.

Mich reißt der Wildsirom der Begebenheiten
Hindann, wehrlos hindann.
Mit muß ich, ungefragt, ob ich noch kann,
Im Strudel ewiger Widerwärtigkeiten.
Aufs Haupt geschlagen, rings umstellt,
Unstet und flüchtig in der weiten Welt,
Verraten von der Freunde Niedertracht —
So frag' ich mich in meiner Harmesnacht:
Ob wohl Prometheus so gebüßt
In jener Welt, der all in seinem Leid
Nur ein Gebild der wunderreichen Sage ist —
Wie ich in dieser Welt und Wirklichkeit.

Nun ist's genug. Wer tief im Kerker schmachtet,
Verargst du's ihm, wenn er zum Lichte trachtet?
Zu lang des rohen Schicksals Beute schon,
Hat sich sein hoher Sinn emporgerafft,
Der Wachsamkeit der Schergen lacht er Hohn
Und bricht die Haft!
<132>So ich — das Wie, es soll mich wenig gramen!
Die Bande, die unseligen, die so fein
Und doch so zäh die freie Seele mein
An diesen leidigen Leib hier, diesen Schemen,
Zernagt von Kummer, allzu lange ketten —
Ich breche sie, zur Freiheit mich zu retten!

D'Argens, leb' wohl! Betracht' es und gestehe:
Dies Bild ist wahr, und recht ist's, daß ich gehe.
Doch denke nicht, daß aus dem großen Nichts
Des Grabes ich mich eitel sehn'.
Im Schimmer des Verklarungslichts
Neu zu erstehn.
Nur eine Bitte sei dem Freund vergönnt,
Das steht mein Lied:
Solang dir noch des Himmels Leuchte brennt,
Wann längst ich schied,
Von jedes neuen Lenzes Blütensegen
Sollst einen vollen Strauß in Treue du
Von Myrten und von Rosen niederlegen
Da, wo ich ruh'.

<133>

42. Ode an meinen Bruder Heinrich
(6. Oktober 1757)

Wie zu kühnem Wolkenfiuge
Jovis Adler sich erhebt,
Bis in immer höherm Zuge
Schwingenbreitend er entschwebt,
Sich zu ringen, sich zu schwingen
In des Raums Unendlichkeiten,
Die sich bis zur Sonne weiten,
Bis zu Götternäh zu dringen;

Oder wie durchs nächt'ge Dunkel
Ein Komet herniedergleißt,
Der des Himmels Sterngefunkel
Jählings rings erblinden heißt;
Loht der Horizont in Feuer?
Durch des Äthers Finsternis
Klafft ein schräger Flammenriß
Hinterm Sturze ungeheuer —

Also, ganz des Gottes voll,
Der mich sturmeswild begeistert,
Schwing' ich auf mich, selig-toll;
Nichts Gemeines mehr mich meistert!
Bleib da unten, Staub der Erde!
Aufwärts zu der Götter Sitzen,
Die die Wetter niederblitzen
Auf die bange Menschenherde!

Kein unheilig Menschenlallen
Ist heut meines Mundes Laut:
<134>Phöbus' Geist hat mich befallen,
Mir sein Seherwort vertraut;
Ewiges Geheimnis — heute
Will er's gnädig mir enthüllen,
Daß ich der Geschicke Willen,
Ihr Gesetz Euch künd' und deute.

Meine Preußen, seht, ihr seid es,
Die des Gottes Kunde meint,
Die ihr jedes Völkerleides
Grausam überbürdet scheint!
Schwergeprüfte, laßt euch sagen:
Ohne blutige Schicksalsstöße
Reifte noch kein Staat zur Größe!
Stolz empor denn ohne Zagen!

Rom stand oft an Abgrunds Rande,
Und kein Gott erbarmt' sich sein,
Schirmte es vor Weh und Schande;
Und in düstren Trauerreihn
Weinten schon die Senatoren
Ob des Staates Untergang;
Hannibal stand vor den Toren,
Der den Varro niederzwang!

Doch sie standen, Romas Mauern!
Kraft erwuchs in Not und Macht,
Kraft, zu hoffen, auszudauern;
Die gilt mehr denn Heeresmacht.
Da, so hohen Mut zu lohnen,
Weckte Mars gar bald hernach
Einen Rächer aller Schmach,
Ihn, den Ältren der Scipionen.

Vom verheerten Tiberstrande
Hub der Mordgeist da die Schwingen,
Zu dem schuldbefleckten Lande
All den Kriegsgreul heimzubringen;
Bis zur Wüste flohn sie hin!
So hat Scipio Rom gerettet,
<135>Lag Karthago zwanggekettet
Unterm Fuß der Siegerin.

Aus zwei Urnen streut gelassen
Mit der gleichen Geberhand
Gutes, Schlimmes gleichermaßen
Über alles Menschenland
Er, der Walter der Geschicke,
Und sein Werde ruft hervor
Stolze Zedern, rauschend Rohr,
Mildes Heilkraut, Schierlingstücke.

Dieses Wechselspiel, das bange,
Schwankend zwischen Ruhm und Not,
Lehrt uns aus der Zeiten Gange
Hundertfachen Sturz und Tod;
Menschenwünschen bleibt versagt
Glanzbeständig Glücksgedeihn,
Den Unsterblichen allein
Ewiggleiche Helle tagt.

Wohl, in diesen Iammertagen
Bebt in Kriegsnot unsre Erde,
Unsern Staat erfaßt Verzagen,
Daß er bald zerschmettert werde;
Ganz Europa sieht zusammen
In wutlechzender Verschwörung,
Ringsum Mordgraus und Zerstörung,
Haus und Scheunen stehn in Flammen.

Wohl, noch schnellt uns jene Hyder
Ihrer Flammenhäupter Graus
Neu entgegen immer wieder,
Legionen speit sie aus.
Immer trächtig, Heere heckt sie,
Will den fürchterlichen Streichen
Eures Siegerarms nicht weichen,
Immer neue Häupter reckt sie.

Wie nach unserm Fall sie dürsten!
Gras müßt' über unsern Mauern
<136>Wachsen, ging's nach jenen Fürsten,
Und wir selbst in Trübsal kauern.
Nieder, meine edlen Kämpfer,
Mit den frechen Siegstrophän,
Und zermalmt der Nattern Blähn!
Ihrer Hoffart einen Dämpfer!

Hohe Seelen, sie entfalten
Erst im Drange der Gefahr
Ihrer Mannheit Trutzgewalten,
Geisteswehrkraft wunderbar;
Dann erst wird ihr Mut geboren!
Wer von Todesnot umwittert,
Im Geheul des Sturmes zittert,
Nur der Feigling ist verloren!

Starrem Trotze gibt die Welt
Endlich doch die Wege frei!
Ist's verzweifelt denn bestellt —
So verzweifle, aber sei
Wie ein Held! 's muß alles enden,
Äußerstes lebt niemals lang;
Oft dem Leidensborn entsprang
Schon ersehntestes Vollenden!

Hört den Sturm! Mit zorn'gem Brausen
Wühlt er in der Rüster Zweigen;
Ächzend müssen seinem Zausen
Stamm und Äste da sich neigen.
Sei's darum: aus weichem Sand,
Aus Gebüsch und Unterholz,
Steigt ihr Wipfel frei und stolz,
Hält wohl auch dem Sturm noch stand!

Seht, allabendlich geschieht es:
Helios' Leuchte muß erblassen
In den Armen Amphitrites,
Und den nächt'gen Schatten lassen
Muß er seinen Weltenthron;
Doch sein Licht kehrt siegend wieder,
<137>Alle Sterne sinken nieder,
Und das Dunkel flieht davon.

So von tiefer Nacht umfangen
Seh' ich dich, mein Vaterland,
Deine Tränenblicke hangen
Schwer an deinem Leidgewand;
Starr vom eignen Wehgeschicke,
Auf die Lorbeerzier von einst
Sinkst du nieder, ach, und weinst
Und verfluchst des Zufalls Tücke.

Wohl mit dir bewein' ich innig
All das unerhörte Weh,
Wohl mit dir erschüttert bin ich,
Wie ich dich erliegen seh'
Unter grimm'gem Wetterschlage,
Doch wie Frühlichtlächeln sacht
Keimt mir's durch die Schreckensnacht,
Ahnung deiner schönren Tage!

Längst vorbei sind ja die Zeiten,
Da die Götter Wunder taten;
Doch der Mensch, von allen Seiten
In der Welt bedroht, verraten,
Hat dafür zu Lehn erhalten
Geist und Mut, gar tücht'ge Waffen,
Wunderwerk damit zu schaffen,
Selbst sein Schicksal zu gestalten.

Unser Tod — er ist ans Leben
Nur ein Zoll; wir schulden ihn!
Nur ein redlich Wiedergeben
Eines Pfundes, uns verliehn,
Unsrer Blütezeit zu dienen;
Mävius137-1 zahlt ihn wie Vergil,
Paris just so wie Achill,
Keinem blieb's geschenkt von ihnen.
<138>Dieser Tod, der Weltenschrecker,
Kann Unsterblichkeit vergeben:
Wollt ihr, Preußen, als Vollstrecker
Edler Rache euch erheben?
Eure Herdstatt schreit nach Rache!
Der Geringste der Quiriten
Hat sich Halbgottglanz erstritten
In der Treu zur heil'gen Sache!

Wie, und wär' die Welt von heute
Ohne Adel, ohne Größe?
Morsch und siech, des Alters Beute,
Stund' sie da in Bettlerblöße?
Tugendbar? — Ei sagt doch, ruht
Gebemüde die Natur?
Netzt kein Tau heut mehr die Flur,
Schläft das Meer ohn' Ebb' und Flut?

Nein! Sie schwand nicht aus der Welt,
Roms erhabne Kriegerehre:
Fragt nur, wie's bei uns bestellt,
Fragt nur nach im Preußenheere!
Preußens Siege leuchten alle,
Schwer errungen all durch hundert
Heldentaten weltbewundert,
In der Menschheit Ehrenhalle.

Bruder, hör': Der Blick der Jugend
Hängt an Deiner Hochgestalt.
Künftig tät'ger Mannestugend
Hehres Vorbild, Zier und Halt;
Hilf dem Staat in unsrem Streite,
Eh' sein Ruhmesglanz erblindet,
Eh' er ganz in Nacht verschwindet,
Bruder, siehe uns zur Seite!

Preußenvolt! So reift der Zeiten
Nie erschöpfte Segenstraft
Dir zu deinem Aufwärtsschreiten
Alles, was nur Größe schafft,
<139>Bis zum letzten Sternenblick!
Und so weissagt froh mein Sang
Deinem Staate weltenlang
Strahlenhelles Dauerglück.

Laß Verleumdung fluchen, kreischen,
Der des Neides gift'ge Schlangen
Die erboste Brust zerfleischen,
Fluchen unserm Lorbeerprangen!
Mag sie, unsre Ehr' zu schänden,
Ihre Pfeile, giftgeätzt,
In dem Höllenstrom genetzt,
Ungezählt auf uns versenden!

Trotz euch, haßerfüllte Schächer!
Meinem Werte nehmt ihr nichts:
Denn die Nachwelt wird mein Rächer,
Ruhig harr' ich des Gerichts.
Was der kleine Neid auch schmäle,
Aufwärts zur Unsterblichkeit
Findet eine große Seele,
Die sich ew'gem Ruhm geweiht.

Mir zu Häupten sah ich ragen
Eine alte Siegstrophäe,
Orpheus' Leier mußt' ich schlagen,
Daß ihr Ruf zu euch geschähe;
Meiner Kriegstrompete Klingen,
Weck' die Herzen meiner Preußen,
Kühnlich sie emporzureißen
Zu gewaltigem Vollbringen!

In des Lagers Lärmgewühle,
Drunten an der Saale Strand,139-1
Da in Haß- und Rachgefühle
Zwietracht hielt die Welt gebannt,
Da die Erde überall
Friedestiller Flockenfall,
<140>Aus dem Norden hergelrieben,
Samt den kriegerischen Schrecken
Wollt' verschleiern und verdecken -
Da geschah's, daß ich geschrieben
Was mir Phöbus anbefahl.

<141>

43. Antwort an Voltaire141-1
(9. Oktober 1757)

Glaubt mir, wenn ich heut Voltaire,
Herr des eignen Schicksals wär',
Sollte das Notwendige
Mir vollauf genügen,
Und das Glück, das unbeständige,
Könnte mir entstiegen —
Lachen würd' ich drob, wie er!
Weiß ich doch an meinem Teile,
Wie der Reiche Mißbrauch treibt
Und die öde Langeweile
Stets das Los des Großen bleibt;
Kenne auch der Pflichten Bürde,
Schmeichelreden ohne Würde.
Wohlbekannt
Ist mir all der eitle Tand,
Der uns plagt im Fürstenstand;
Nicht nach Ruhm sieht mir der Sinn,
Ob ich König auch und Dichter bin.

Läßt mich erst der Schnitt der Parzenschere
In das dunkle Schattenreich entschweben,
<142>Schiert mich da die zweifelhafte Ehre,
Im Erinnrungstempel fortzuleben?
Was sind tausend Jahr Geschichte neben
Einem sel'gen Augenblick?
Aber lächelt uns denn das Geschick?
Holde Lust und sanfter Frieden,
Frohsinn, schlicht und herzenswarm.
Hat von je der Großen Prunk gemieden:
Freigeboren, hat der holde Schwarm
Stets der süßen Trägheit sich gesellt,
Statt der Pflicht, die uns in Ketten hält.

Also schuf das flüchtige Glück bis heut
Mir noch nie den kleinsten Kummer:
Ob es lockt und ob es dräut,
Friedlich bleibt doch stets mein Schlummer,
Und ich huldige ihm nicht.
Aber jeder Stand hat seine Pflicht,
Und wir müssen an dem Amt, dem schweren.
Wenn es gilt, den ganzen Mut bewähren.
Mag Voltaire in seiner Klause,
Dort, wo Treue fromm und rein
Goldner Zeiten noch zu Hause,
Friedsam sich der Tugend weihn,
Wie es Plato uns gebot —
Ich, von Schiffbruch rings umdroht,
Trotzen muß ich dem Verderben,
Muß als König denken, leben, sterben.

<143>

44. Brief des Unmuts
(15. Oktober 1757)

„Alles, alles ist eitel hienieden,“ Hat ein alter, ruhmvoller Denker schon, Ein großer König der Juden entschieden, Der weise Salomon.

Und wahr wird's wohl sein, weil er's gesagt, So wenig diese Wahrheit behagt. Und fragt ihr mich — zwar liegt es mir fern, An Weisheit mit jenem großen Herrn Mich kühnlich zu messen — Dahinter gekommen bin ich indessen, Wohl oder übel, auch meinerseits: In der strengen Schule des Leids!


Hab' mir das Leben gar gründlich beguckt,

Süßes und Herbes tapfer geschluckt,

Mußt' mit mir Fangball spielen lassen

Vom Glück wie vom Mißgeschick gleichermaßen,

Ganz niederträchtig!

Nachgerade, dächt' ich,

Hätt' ich genug an Blonden wie Braunen,

Am liebsten möcht' ich

Glücklicheren meinen Platz mal räumen,

Die seinen lockenden Glanz noch bestaunen,

Wunder was sich dahinter träumen.

Ach sie! mit ihren Iugendgelüsten!

Wenn sie von seiner Kehrseite wüßten!


Nun steh' ich auf den Bühnengerüsien Schon viel zu viel,<144> Wo Europas tollste Begebenheiten

Die Bretter beschreiten,

Wo in tragischem Spiel

Herzlose Staatskunst sich gefällt, die Großen

Von der Höhe herunterzustoßen.

Gewiß, ich vernahm wohl ab und an

Auch schüchternen Beifall, und oft von da,

Wo ich mich des am geringsten versah,

Und das hat meinem Herzen gar wohl getan.

Doch heut umgellt mich nur schrilles Gepfeife,

Daß ich entsetzt an den Kopf mir greife.


Fort, fort denn, solang es noch Zeit dazu! Laßt mich mit diesem Theater in Ruh, Das nur der Tor, der Dummkopf preist, Mit den Akteurs und Aktricen ohne Geist — Ein verruchtes Pack zumeist!


Soll ich in meinen alten Tagen

Noch mit Wind und Wellen mich schlagen,

Jeglichem Ungefähr preisgegeben?

Soll ich ewig wieder aufs neue

Fortuna anbetteln, die ungetreue?

Ich danke für solch ein würdelos Leben:

Ständig in qualvollem Warten zu schweben!

Sagt sie wohl diesmal Ja oder Nein?

Und jedem Puffe, jedem Stoß

Liegt die wunde, bangende Seele bloß!

Sollt' ich nicht endlich gewitzigt sein?

Nachdem ich in all den langen Jahren

Ein Übermaß an Unheil erfahren,

Sollt' mich noch immer der Vorwitz plagen,

Es im Reiche des ewigen Wechsels zu wagen,

Glückgeächteter, der ich bin?

Ein Narr wär' ich, gäb' ich immer wieder

Dem Auf und Nieder

Zwischen Fürchten und Hoffen mich hin.


Nein, Zeit ist's, zur Vernunft zu kommen, Beut mir das Glück nur Hohn und Schmach,<145> Frag ich ihm fürder nicht nach. Mag doch, von Lebenslust entglommen, Verzückte Jugend, im Haar den Kranz Von lachenden Blumen, und trunken ganz Von Wonne und Wahn, zum herrlichen Leben Anbetend ihre Hände heben; Sie schöpft noch alle Süßigkeiten Dem Dasein ab! Doch es schwindet beizeiten Der Zauber dahin: Unheil und alle Trübseligkeiten Sind der ganze Gewinn. Dies Hin und Her, dieses Wechselspiel Zwischen Gut und Schlimm, ohne Ende und Ziel, Gemahnt mich an ein verbuhltes Weib, Das nur aus Laune, zum Zeitvertreib Beschließt: Heute beglücke ich den; Zur Abwechslung laß ich den Ersten gehn. Biete sie nur ihre Reize denen, Die noch nach ihrer Minne verlangen! Ich laß mich nicht mehr von der Hexe fangen, Nicht durch Zärtlichkeit, nicht durch Tränen.


Mein Blick durchdringt die Zukunftsferne Ohne Diogeneslaterne. Soll ich mich vom Schicksal foppen lassen, Solang es seiner Frechheit mag passen? Fopp' du nur, wer sich's bieten läßt; Hältst Narren genug ja am Gängelband fest! Fürwahr, der müßte früh aufstehn, Der mich noch einmal dafür finge; Durchs Fenster, auf Nimmerwiedersehn, Entwischt' ich, wenn's durch die Tür nicht ginge! Ein adliger und tapfrer Sinn Nimmt ohne Empörung auch geringe Kränkung von keinem hin!


Mich täuscht kein Selbstbetrug; Ich sehe, ohne zu erbleichen, Entgegen den Härtesten Schicksalsstreichen. Doch ich bin's müde: es ist genug!<146> Mehr denn ein Sokrates hat mich gelehrt, Wie man hinab zur Hölle fährt. In meiner schwarzen Gedankenqual Will ich es halten wie der Admiral: Von feindlichen Schiffen eingeschlossen, Sieht er sein Flaggschiff leck geschossen Und unter die Hände der Piraten Seine tapfre Mannschaft geraten. Da, um dem Entern zu entgehn, Den Tag der Knechtschaft nie zu sehn, Befiehlt der Brave stolz und verwegen, Die Lunte an das Pulver zu legen. Die Soldaten gehorchen, in lodernder Glut Zerbirst das Schiff und versinkt in der Flut.

<147>

45. An Gottsched147-1
(16. Oktober 1757)

Was uns der Himmel zugedenkt,
Gibt seine Hand mehr knauserig als reich.
Mehr bleibt er schuldig, als er schenkt;
Für jedes Volk ist seine Gunst fast gleich.
Wenn Tiefe Englands Söhne ziert,
Schmückt Anmut die Franzosen:
Dem wird zuteil, was der verliert.
Wir wandeln unsre Dornen stolz zu Rosen
Und ziehn des Nachbars Gaben eigne vor.
Mars, der einst Sparta sich zum Sitz erkor,
Schuf dort berühmte Helden viel;
Jedoch Athen, das sanfte, lieh sein Ohr
Der Künste zartem, zaubervollem Spiel.
Von Sparta erbten unsre tapfren Ahnen
Den alten Ruhm.
Wie reich ist die Geschichte der Germanen
An Heldentum!
Doch stets, fand auch ihr Herz, ihr kühnes,
Den Weg zum Tempel Mnemosynes,
Verwelkt' in ihrer Hand die Blumenzier,
Mit der ihr Stolz Viktorias Stirne schmückt.
Du Schwan von Sachsen, Dir
Ist es allein geglückt,
Natur, der kargen, Schönheit abzuringen.
Du zwangest eine Sprache von Barbaren,
An Lauten reich, die rauh und widrig waren,
In Deinen Liedern lieblicher zu klingen.
So füge denn mit Deinem Saitenspiel,
Getreu dem göttlichen Virgil,
Zur Siegespalme, des Germanen Preis,
Apollos schönstes Lorbeerreis!

<148>

46. Abschied an die Franzosen und die Reichsarmee
(6. November 1757)

Lebt wohl, ihr großen Helden, stolzgebläht,
Die Könige zu zerschmettern ihr gedachtet,
Hierher gesandt von Frankreichs Majestät,
Die herrisch mich zu unterjochen trachtet.
Lebt wohl, Turpin! Ihr, Broglie und Soubise!148-1
Und du auch, Sachse, 148-2 dessen Heldentaten
Wie einst am Timok krönte Frau Sottise,
Obwohl ergraut, doch besser nicht beraten ...

Ach, welch ein Schauspiel voller Lust und Pracht
Vermögen Heldenleiber zu bescheren,
Wenn auf der Flucht vor unsrer Waffen Macht
Sie ihres Rückens Anblick uns gewähren.
Wer also sie gesehn, zag und erschreckt,
Des Name ist mit ewigem Ruhm bedeckt.

Erlaubt, daß ich euch im Vertrauen sage,
Daß ich, nachdem so vieles mir mißglückte,
Den schönen Lorbeer dieser Niederlage,
Den ich bei der Begegnung mit euch pflückte,
Verdanke eures Körpers schönstem Teil,
Verdanke eurer Rückwärtskonzentrierung.
Solange es der himmlischen Regierung
Gefällt, mir solche Helden auf den Weg zu senden,
<149>O mögt ihr stets das Antlitz von mir wenden,
Dem menschlichen Geschlecht zum Glück und Heil!

Wer möcht' es wohl in Wahrheit glaubhaft finden,
Daß wir just darauf unfern Ruhm begründen?
Du siehst, zum Krieg nicht tüchtig noch geboren,
Solch einen Körperteil, und das beweist,
Wie es in blumenreicher Sprache heißt,
Daß du Bellonas Auserwählter seist,
Von Mars zum Lieblingssohn erkoren.

O launenhaftes, närrisches Geschick,
Entscheiden läßt du ihn der Staaten Glück!
Kehrt er im wildesten Getümmel sich
Ganz ungeheißen um und geht zurück,
Dann läßt die Siegesgöttin uns im Stich;
Bellona nützt geschwind den Augenblick,
Um einen Thron zu brechen und zerschmettern,
Der Trotz zu bieten schien den schlimmsten Wettern ...

Ihr Eintagshelden, wandert in die Fern',
Ihr parfümierten und geleckten Herrn!
Begrabt euch denn in eures Hauses Räumen;
Dort mögt ihr von galanten Taten träumen!
Ihr stolzen Pompadour'schen Koryphäen,
Wohlan, laßt eure Siegesbanner wehen —
Nur mög' an andern Orten es geschehen.
Doch soll ich euch, falls ihr den Haß bewahrt,
Mit meinen Neidern stets gepaart
Auf dieser Kampfesftätte wiedersehen,
Erwarte stets ich Gaben gleicher Art.149-1

Ich seh' euch, ruhmbedeckte Feldherrn, scheiden
Aus diesem Land, wo euch Gefahren drohten,
Von diesen Triften, diesen fetten Weiden —
Mein letztes Lebewohl sei euch entboten.

<150>

47. Abschied für die Kaiserliche Armee
(8. Dezember 1757)

Hebt Euch hinweg! Die Bahn ist frei!
Zum Zeichen, daß ich Euch verzeih.
Entsend' ich nach selbsteigner Wahl
Des Kaisers großen General150-1
Als meinen Botschafter und Sprecher
An diese Regensburger Schächer.150-2
Bringt meine Antwort in Person
Vor den gestrengen Richterthron.
Urkundlich müßt Ihr es belegen
Dem Präsident und seinen Leuten
(Damit sich nirgends Zweifel regen),
Was Ihr von mir bezogt an Schlägen
Am fünften dieses Monds bei Leuthen.
Welch schöner Tag für die Justiz,
Wenn das begreift mit seinem Witz
Des heil'gen deutschen Reichs Fiskal,
Er, der vor Themis' Tribunal
Recht wie ein Pfau sich spreizt' und blähte,
Weil er so gern mich ächten täte.

Dann, ohne weiteres Verziehn,
Sprengt fort von Regensburg nach Wien,
Viel neue Pläne auszuhecken,
Zu meines treuen Volks Ruin,
<151>Um Schlesien wieder einzustecken.
Ihr werdet über diesen Dingen
Den Winter angenehm verbringen.
Laßt auch in Euren Phantaseien
Vom alten Neipperg151-1 Rat Euch leihen.

Doch wenn der weiche Frühlingswind
Die Lüfte eislos macht und lind,
Wenn erst der Felder breiten Raum
Von neuem deckt der grüne Flaum,
Dann lehrt zurück, wie einst Achill,
Zum unterbrochnen Waffenspiel,
Zu meinen heimatlichen Gründen.
Noch ganz so eitel, ganz so groß,
Mit Eurem so behenden Troß,
Mit Euren tausend Feuerschlünden,
Mit Euren Prinzen, weiß und rot,
Und den Panduren Schlagetot.
Dies Land, für Schlachten so ergiebig,
Es öffnet Euch die Tür beliebig.
Studiert gar fleißig Eure Themen,
Merkt Euch die Wege wohl aus Böhmen,
Vergeßt auch nicht, der Rückkehr wegen,
Den kürzesten Euch einzuprägen.

Noch habt Ihr Zeit, Euch auszurasten,
Auf Wiedersehen nach den Fasten!
Nur müßt Ihr Euch dann auch bequemen,
Den Abschied so wie heut zu nehmen.

<152>

48. An die Zerschmetterer152-1
(20. Dezember 1757)

Soubise, was denkt Ihr Euch dabei,
Samt allen Euren jungen Lassen?
Ihr Helden, weiche Tölpelei!
Wie? Sträußlein wolltet Ihr erraffen
In Sachsen, wo der Herbstwind braust
Und über dürre Stoppeln saust?

Es stiert! Schlüpft in den Pelz! Es wachsen
Längst keine Blumen mehr in Sachsen.
Ihr wißt doch, rühmliche Zerschmettrer,
Daß Flora, wie's bei ihr so Brauch,
Nicht mehr regiert, wenn der Entblättrer,
Der Nordwind, pfeift durch Baum und Strauch
Und schon des Winters Einzug kündet!

Sagt selbst: wie schlecht ist's da begründet,
'nen Strauß für die Dauphine zu pflücken,
Wo jeder Strom zu Eis gerinnt!
Seid froh, wenn Ihr so viel gewinnt,
Mit Dornen ihr das Haupt zu schmücken.
Fürwahr, ein dürftig Angebind
Ist solch ein Kranz von Disteln nur,
Doch wird's die Heldin baß entzücken,
Verblüffen selbst die Pompadour.
Sogar des Vielgeliebten Huld,
Längst von der Liebe eingelullt,
<153>Wird auf die neue Mode regnen,
Den neuen Luxemburger segnen.
Der Hof spricht: „Dieser Held ist wert
„Des großen Königs, der ihn ehrt.“

Voll ist die Welt schon Eures Ruhms
Und klar das Ziel des Heldentums:
Ludwig, der Könige Vernichter,
Wird zu Europens Herr und Richter!
Besäß' ich doch die Sangeskraft
Von Lafontaine, treuherzig-schlicht,
Ich machte füglich ein Gedicht
Auf seine Waffenbrüderschaft
Mit Wien, das Euer Tun diktiert.
Doch meine Muse, höchst galant,
Befaßt sich nur mit eitlem Tand:
So muß denn er, der Euch regiert,
Der große König, sich begnügen —
Ich sag' es frei von Winkelzügen —
Daß ihn Herr Oudrn153-1 konterfeit
Und daß Äsop ihm Lieder weiht.

<154>

49. An Lord Marschall154-1
Auf den Tod seines Bruders
(Dezember 1758)

Ihr weint, Mylord, und Eure Tränen rinnen
Um einen Helden, Bruder, Freund so wert,
Und selbst der Ruhm, der seinen Tod verklärt,
Gibt keinen Trost den trauervollen Sinnen.

Mehr durch Verdienst als gleiches Blut geschlungen,
Ward dennoch rauh gelöst ein edles Band.
Das Aug' erlosch, die Stimme ist verklungen,
Sein Lorbeer schmiegt sich um des Grabes Rand.
Sank er im wilden Kampf nicht todeswund,
Er hätte neuen Sieg gefügt zu Siegen,
So aber ließ der Blitz aus ehrnem Schlund
Den so Triumpfbereiten jach erliegen.

Traurige Ehrsucht, wieviel Freunde, Helden
Und edle Opfer streckst du roh und blind!
Und keine Stätte, wo nicht Tränen melden,
Wie elend Eltern, Witwen, Waisen sind.
Durch keine Klagen können neu genesen,
Die unsrer Heimat treuer Hort gewesen.
O Ruhm, dich kauft man nur um Qual und Pein:
Mit Tränen wasch' ich blut'gen Lorbeer rein.
<155>In aller Not, in meines Volkes Harm
Trifft auch zu Hause mich des Unglücks Arm.
O bittres Schicksal, kaum zwei Winter wichen,
Und wieviel Liebe ist im Tod verblichen!
Denn Mutter, Bruder, Schwester sah ich sterbend.155-1
O trübe Zeit, verödet ward mein Haus!
Den jungen Bruder traf es, meinen Erben,
Die hehre Mutter trug man tot hinaus,
Die Schwester, die so klug und tapfer war,
Mit der ich stets so inniglich verbunden:
Von solchen Schlägen könnte nur gesunden
Ein eisern Herz, das jeder Weichheit bar,
Das hart der Stimme der Natur verschlossen
Und nie der Freundschaft süßes Glück genossen.

Im Leidensabgrund und von übergroßen
Sorgen gequält, daß fast mein Auge bricht,
Kämpf' ich mit einem finsteren Gesicht,
Das ich schon tausendmal hinweggestoßen.
Man sagt: Gott Vater in des Himmels Wonnen
Sei gut, gerecht und mild, und doch — wir leiden.
Wie kann er sich an unserm Elend weiden,
Ist er uns wirtlich väterlich gesonnen?
Jung, töricht, schwach und rat, und ruhelos,
Ward ich von Anbeginn in Sorgen groß,
Und Lasier, Schmerz, Bedrängnis mich befiel.
Was ist des Weges Richtung, Sinn und Ziel?
In meiner Jahre engem Zirkeltanz
Wand mir der Schmerz so manchen Dornenkranz.
Und ist mein trüber Lauf ans Ziel geraten,
Naht Atropos, die ihre Schere hält:
Es finden Tugenden und finstre Taten
Das gleiche Ende in der bösen Welt.
Kein Opfer Gottes harten Sinn berückt,
Kein Weihrauchduft, taub bleibt er allem Flehen
Der Sterblichen, die sein Gesetz erdrückt:
Hier könnt enthüllt ihr sein Geheimnis sehen.
<156>Mylord, was nutzt mir denn der finstre Glaube
An jene Hand, die mich ins Elend stößt,
Wenn nur des Leidens Ende mich erlöst?

Doch kämpfen soll der Mensch auch noch im Staube;
Denn stoische Vernunft hat mich gelehrt,
Mich gegen die gemeine Not zu steifen,
Und wenn ein Unheil gegen mich sich kehrt,
Das Grausen von der Seele abzustreifen.
Wir wissen wohl, wie mancher hehre Mann
Verächtlich sich von Glück und Größe wandte,
Des irdischen Wesens Nichtigkeit erkannte
Und ruhig sah, wie sein Besitz zerrann.
Durch Trug, Verrat und Arg auf allen Wegen
Schritt klaren Augs er seinem Sturz entgegen.

Wähnt bitte nicht, Mylord, daß meine Rede
Aus Platos Traumen sich den Ton erschlich;
Mit falschem Pathos lieg' ich stets in Fehde.
Nein, hart erzogen, spricht mein eigen Ich!
Ich sah die Feinde mir mein Land verwüsten,
Oft lähmte mir Fortuna Schwert und Arm;
Die sich die Nächsten nennen müßten,
Sah schweigend ich in meiner Gegner Schwarm; 156-1
Wie oft der Tod mir nahte, wild erbittert,
Ich bebte niemals in der tiefsten Brust,
Und aller Gram, den ich ertragen mußt',
Er hat doch nie mein standhaft Herz erschüttert.
Selbst Glanz und Pomp und unumschränkte Macht,
Mein stolzer Sinn hat sie wie Tand verlacht.
Wie oft stand Land und Leben auf dem Spiel,
Fürsien bekämpften mich unzählig viel,
Und doch sah mich das Schicksal nie gebrochen,
Nur, wenn die Freundschaft ihm zum Opfer fiel,
Dann hat es mich ins tiefste Herz gestochen ...

Für ewig, Schwester, sankst du mir in Schlaf,
Und Gottes hatte Hand ob meinem Haupt,
<157>Die oft mich schlug und mir soviel geraubt,
Sie wußte, wo sie mich am schlimmsten traf.
Geliebter Schatten, tausendmal gerufen,
Was mahnst du mich an meiner Jugend Land?
Seit ich erklomm des Lebens erste Stufen,
War treue Liebe uns ein einend Band.
Gemeinsam zog uns ein beglücktes Fühlen
Zum heiligen Licht der hehren Tugend hin;
Selbst die Vernunft mit ihren ernsten, kühlen
Händen verband noch fester unfern Sinn.
So einte immer uns die Kraft der Liebe;
Schon an der Wiege sproßten ihre Triebe.
Erhabner Eltern treugemeintes Sorgen
Wies uns, wie man die wahre Pflicht erkennt.
Der eine hielt dem andern nichts verborgen,
Als schlügen unsre Herzen ungetrennt.
Wie oft, ihr treuen Hände, barg ich nicht
In euch mein tränenfeuchtes Angesicht.
Wie zarte Pflanzen in des Gartens Grün
Die jungen Stiele aneinander stützen,
Um vor den Winden klammernd sich zu schützen,
Sah man uns zärtlich zueinander fliehn.
Wie oft seitdem in ärgrer Sturmesnot
Hat sich mein Mut an ihrem aufgerichtet,
Wie oft, wo List und Fallstrick mich bedroht,
Hat sie mir wieder meinen Weg gelichtet.
Das Laster selbst, dem ich mich fast verpflichtet,
Verlor vor ihrem Blick sein arges Spiel;
Denn nur die Tugend war^s, die ihr gefiel ...

Sie starb. Verhaßt ward mir des Tages Licht!
Schon wollt' ich Hand ans eigne Leben legen,
Doch da, 0 höchstes Leid! gebot die Pflicht,
Aufs neu zu trotzen des Geschickes Schlägen.

Du eitler Traum von Stolz und Majestät!
Ist freier doch ein Volk als sein Gebieter.
Mein schwacher Arm ist jetzt der einzige Hüter
Des schwanken Staats, der hart am Abgrund sieht.
Von ganz Europa wurden wir bedroht,
<158>Dem Lande mußt' ich mich zum Opfer geben,
Eilen zum Kampf, für Streit und Rache leben,
Und meine Losung hieß Gefahr und Tod.
Und doch, wie schwer für ein gequältes Herz,
In der Verzweiflung kummervollen Banden,
Zu helfen und zu retten allerwärts,
Wo stets aufs neu Gefahr und Not entstanden.
Wie schwierig, wider all die wilden Scharen
Mit rasch gerafftem Kriegsvolk loszufahren,
Zugleich an hundert weit getrennten Plätzen
Zu raten, rüsten, ordnen und entsetzen!
Ich fühle, wie die Bürde mich erdrückt.

Nur wer das Glück verlacht, ist wahr beglückt.
In engem Kreise lebt er stillverborgen
Und zeugenlos erträgt er Not und Sorgen.
Wann darf ich froh die wahre Freiheit grüßen,
Die Welt verlassen, die so elend scheint,
Beschleunigen den Augenblick, den süßen,
Der, selige Schwester, mich mit dir vereint?
Dann können unsre Schatten, gottgeliebt,
Elnsium in der Seligen Schar durchstreifen.
Die Hand des Schicksals kann sie nicht mehr greifen,
Und aller Schmerz in eitel Lust zerstiebt.
Dann leuchten unsre Herzen wie zwei Flammen
In Ewigkeit, und treuer Freundschaft Band
Halt friedlich sie für alle Zeit zusammen.

Weh! Hab' ich in ein Trugbild mich verrannt?
Laß ich von Ammenmärchen mich betören?
O, nur im Schlummer mag mit Schmeichelchören
Solch süßer Traum beherrschen Herz und Sinn;
Vor Licht und Wahrheit sinkt er rasch dahin.
Ja, die Vernunft zerstört mit hellen Blicken
Die holden Bilder der Unsterblichkeit.
Mit ewigem Schlaf nur, mit Vergessenheit
Kann Atropos allein das Herz beglücken.
Der Tod entreißt uns aus der Götter Macht,
Dann folgen wir den ehernen Gesetzen;
Kein blindes Wirrsal kann uns mehr verletzen,
<159>Das lebend uns zu seinem Spielball macht.
Der stolze Siegeslauf von hundert Fürsten,
Er hält vor den entseelten Leibern ein.
Und stillte auch im Leben unser Dürsten
Der Schmerz allein mit seiner bittern Pein,
Doch einen Leichnam kann er nicht mehr kränken;
Der Grimm des Himmels tut ihm nichts zuleid,
Die Ruhestatt der Toten ist gefeit,
Hier kann das Elend endlich Anker senken.
O, es ist schön, aus dieser Welt zu scheiden,
Ein Augenblick löst uns von allen Leiden,
Und wenn an Lethes Quellen wir genesen,
Ist alles aus, als wär' es nie gewesen.

Manch edler Römer wählte frei den Tod,
Ward er vom Schicksal gar zu hart bedroht.
Sind Cato, Brutus, Otho denn nicht Namen
Von edlem Klang, die uns ein Beispiel geben?159-1
Ihm folgt der Brite: fest und ohne Beben,
Zersprengt er selbst des Lebens engen Rahmen.
Ein Sklave nur, den seine Fessel schändet,
Mag mehr den Tod als alle Kränkung scheun.
Er weiß nur, wie ein Feigling lebt und endet,
Und fühlt in Schmach sich unwert und gemein.
Er birgt sich scheu, wo Dunkel ihn umnachtet,
Sein Beispiel wird von jedermann verachtet.
Doch Helden folgen anderen Gesetzen,
Des Ruhmes Stimme ist ihr hehr Gebot.
Es lehrt sie, nie der Ehre Pflicht verletzen
Und zähmen alle Furcht vor Not und Tod;
Denn wie das Schicksal uns auch immer führt:
Ein Schächer ist, wer Furcht und Angst verspürt.

Die Götter wollten unsern Wunsch erfüllen
Und unsern Tag in Glück und Sonne hüllen.
Erkennt man, daß dies Glück kein Glück mehr sei,
Entsagt man ihm, es sieht ja jedem frei.
Verlaß dies öde Dasein ohne Glück
Und gib den Göttern ihr Geschenk zurück!
<160>Ja, mitten in des Schicksals finsterm Dräuen
Heg' ich im Herzen solch geheime Brunst.
Ich will dem Himmel keinen Weihrauch streuen,
Und nicht erbetteln mag ich seine Gunst.
Müd seines Jochs, enttäuscht vom Einerlei,
Soll mich die eine Hoffnung nur betören,
Mein Land zu retten; meiner Pflicht dann frei,
Kann ich mir selber angehören.

<161>

50. An d'Argens161-1
(12. Mai 1759)

Der heilige Vater schenkt mir Ehre,
Die mich zum Lachen bringt: er tut,
Als ob ich Herr der Türken wäre.
Dem Marschall Daun gibt er den Hut,
Den Säbel161-2 von gewaltiger Schwere,
Mit dem er einst Eugen belud,
Damit auf ewig er verkläre
Des Siegers Ruhm und Heldenmut,
Als kämpfend mit der Türken Schwarm
Er in der Glaubensfeinde Blut
Gewaschen seinen Rächerarm.
Ach, könnt' im törichten Alarm,
In unsrer wilden Kriege Harm
Die Mütze, die des Papstes Segen
Verlieh dem trefflichen Strategen,
Sich durch die Dummheit seiner Taten,
Sein falsches Zaudern, falsches Handeln,
Danebengreifen, Planverschandeln,
Nach Urteil sämtlicher Soldaten,
Von Rom, Paris, den Kirchen aller Staaten,
In eine Midastrone wandeln!
Ich aber, ohne Mütz' und Degen,
Verfolgt mit ungestümen Schlägen
Von ganz Europas bittrem Groll,
Ich, den drei hochgestellte Metzen
Noch immer leidenschaftlich Hetzen
Vor eitler Weiberlaune toll,
Ich, aller Priestergunst entledigt,
Stets ohne Sakrament und Predigt
Nach Luther oder nach Calvin —
Ich lasse mich nicht niederziehn,
Wenn Deine Freundschaft mich entschädigt.

<162>

51. An Voltaire162-1
(17. November 1759)

Ich bin einem schäumenden Eber gleich,
Der sich wütend wehrt in dem wilden Bereich
Der stürmenden, fletschenden, tollkühnen Meute.
Schon stürzt sie sich gierig auf ihre Beute;
Da greift er an, verwundet, schneidet
Mit seinen Hauern, Streich um Streich,
Den Feind, der ihn betroffen meidet.
Doch ob der Schwarm auch niederbricht,
Wächst kläffend seine Zahl aufs neu
Und naht und mehrt sich ohne Scheu,
Er aber wankt und zittert nicht.
Ja, toll und blind, von wildem Zorn durchloht,
Nicht ahnend, daß sein Ende droht,
Stürzt er dem Mordspeer ohne Beben
Entgegen und verhaucht sein Leben...

Das flatterhafte, freche Glück
Betrachtet seiner Diener Schar
Nicht stets mit gleich gewognem Blick.
Auch uns ward nicht in jedem Jahr
Die Gunst, daß wir den wüsten Haufen,
Der zur Zerstörung unsrer Saat,
Halb Held, halb Räuber sich genaht,
Geschlagen sahn von bannen laufen.
<163>Oft kann ein Zufall eine Schlacht entscheiden;163-1
Und dank' auch ich ihm manchen Ehrentag,
So mußte doch auch manchen Schlag
Ich meinerseits vom Feind erleiden,
Wo ich urplötzlich unterlag.163-2
Doch jener Mann, auf dem der Segen
Des römischen Antichristen ruht,163-3
Ein guter Fabius allerwegen,
Der jüngst erst stärkte seinen Mut
Durch ein Barett, das als Symbol
Von eitlem Ruhm ihn krönen soll,
Der gibt nun nachts sein Lager auf.
Ich will's nicht grade Flucht benennen,
Doch sollten wir gar bald erkennen,
Daß ihn von dannen trägt sein Lauf,
Wird ein gewisser Herzog163-4 wie Neptun
Mit seinem Dreizack ewigen Ruhm erkämpfen,
Den bösen Sturm mit einem Worte dämpfen
Und Frankreich retten, müßt' er es auch tun
Ohne Einsicht, ohne Held,
Ohne Kanada und ohne Geld,
Da ihm schon fast der Untergang beschieden.
Mit Anstand neigt er sich und sagt:
„Beim heiligen Georg, Gott seis geklagt,
„Geliebtes Albion, gib uns den Frieden!“

Nimmt diese unerhoffte Kunde
Aus dem geheimen Hintergrunde
Der Kabinette ihren Lauf,
Dann häng' ich Helm und Degen auf
Und meide diese Stätte schnell,
Um künftig in des Alters Tagen,
Mich labend an der Weisheit Quell,
In Sanssouci mich zu vergraben.

<164>

52. Epistel an d'Alembert,164-1
als in Frankreich die Enzyklopädie verboten und seine Werke verbrannt wurden
(Februar 1760)

Ein Richterkreis in Stola und Soutane
Hat Eure Schriften, hören wir, geächtet,
Die uns ein Schlüssel sind zum Weltenplane.
Mit dieser geistesschwachen Untat knechtet
Er alle Wahrheitsforschung der Vernunft,
Das dichterische Schaffen wird entrechtet.
Hat Irrwahn, Irrtum, Dummheit — diese Zunft
Von Richtern über das gesunde Denken,
Denn in Paris jetzt seine Unterkunft?
Darf sich so schamlos, um es zu beschränken,
Der Haß, die Willkür einer Höllenbrut
Dem Baal ergebner Pfaffen darauf lenken?
So tobte einst der grausen Ahnen Wut:
Bartholomäusnacht sank auf die Zinnen,
Und ganz Paris ertrank in Bürgerblut.164-2
Barbaren, Ihr! Was wagt Ihr zu beginnen?
Könnt Ihr, die unsrer Tage Schandfleck sind,
Durch Blindheit wild, Euch nie darauf besinnen,
Daß, was Ihr auch für frevle Ränke spinnt,
Vernunft und Wahrheit doch dem Phönix gleichen,
Der aus der Asche neuen Flug beginnt?
Nicht alle Nebel aus den Irrlichtreichen —
Synoden und Konzile auch genannt —
Vermochten Galilei, abzuweichen
Vom Wahrheitsweg; kein Scheiterhaufenbrand,
Den Eure Folterknechte angerichtet,
Kein Lärmen Eurer Lehrer war imstand,
<165>Daß ihr den Gegner jemals ganz vernichtet.
Was aber ließ Euch zu Verfolgern werden?
Warum auf jene weisen Geister richtet
Ihr Eure Wut mit krampfigen Gebärden —
Sie, die im tiefsten Denken uns enthüllen
Den rätselvollen, letzten Sinn der Erden?

O Zeit! O Sitten! Meer von Frevelwillen!
Ich rühre nicht an jenen Höllenschlund,
Den Eures Irrwahns Fabelbilder füllen;
Nichtswürdige, Euer Frevel macht Euch kund,
Begünstigt doch selbst Gottes Stellvertreter
Und Peters Erbe den Verschwörerbund:
Scheusale portugiesischer Verräter,
Auf deren feigen Anschlag ihren Stahl
Zum Königsmord gezückt die Missetäter.165-1
Die Tat bezeugt es! Und der Erdenball
Erbebte unter ihr, indes der Weise,
Der sie vernimmt, nur seufzt in stiller Qual.
Wie? Rom zieht schützend seiner Freistatt Kreise
In diesem unterwürfigen Jahrhundert
Um das Verbrechen? Gibt ihm Trank und Speise?
Zu Aufruhr und zu Bürgermord ermuntert
Ein Orden noch, des Stifter Ignaz war?
Wagt Ihr's noch immer, ftagt man sich verwundert,
Entmenschte Christen, die mit Gift sogar
Die Hostien zu tränken sich nicht scheuten,165-2
Und lügt, der Heide sei der Tugend bar?
Belud er sich wie Ihr mit Grausamkeiten,
Daß Ihr ihn jetzt verklagt der Barbarei?
Wie viele mußten nicht zum Holzstoß schreiten,
Bedenkt es wohl, durch Glaubenstyrannei!
Nur Tugend fordert Gottes gütiges Walten,
Nicht Menschenblut und Opferangsigeschrei.
Säh' Plato Euch die Siegesfeste halten,
Erblickte er der Scheiterhaufen Pracht,
Die schuldlos hingemordeten Gestalten —
<166>Er würde glauben, eine Höllenmacht
Gebiete Euch, solch Opfer darzubringen.

Wie lange noch währt diese Greuelnacht?
Wann werden sie die Völker niederringen?
Wie lang' noch wird der Glaube so geschändet?
Von diesen tonsurierten Finsterlingen
Wird soviel Wut und Rachgier aufgewendet,
Die Weisheit und Vernunft ersticken sollen,
Wird Gift in solchen Strömen ausgesendet,
In denen sie Euch ganz ertränken wollen,
Weil sie, Marktschreier falscher Frömmigkeit,
Von Furcht ergriffen aller Wahrheit grollen.
Die Schurken zittern in der Dunkelheit:
Die schuldbefieckt des Himmels Sache führen,
Schreckt jeder Strahl: er wäre ja bereit,
Die Schande ihres Treibens aufzuspüren!
Laßt weiter diese Geißeln unsrer Welt,
Den Würmern gleich den Schlamm zur Wohnung küren;
Laßt diesen Dünkel, der zur Demut sich verstellt,
Gebete leiernd stets die Weisheit schmähen!

O d'Alembert! In Euer Sinnen gellt
Ihr Toben nur wie ein Geschrei von Krähen,
Das sich zuletzt als leerer Schall erweist.
Ein Windhauch kommt und läßt ihn schnell verwehen.
Dringt unentwegt mit Eurem hohen Geist
Zu ehernen und ew'gen Wahrheitsgründen!
Indes Ihr so bis zu den Sternen reist,
Um ihr Geheimnis uns zu künden,
Gebt Ihr die Feinde der Verachtung preis
Und könnt Euch rein dem trüben Streit entwinden.
Ob ihre Frechheit andre aufzustacheln weiß,
Ob Euch der Schwachkopf vor die Schranken ladet,
Ihr sollt, durch herrliches Geschick begnadet,
Erleuchten fort und fort den Erdenkreis!


111-1 Vgl. S. 7 ff. 18 ff. und Bd. IX, S. 94 ff.

111-2 Der Dreibund Österreich, Rußland und Frankreich.

111-3 Der Streit um die Kolonien in Nordamerika führte 1755 zum Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen England und Frankreich, dem im Mai 1756 die englische Kriegserklärung folgte (vgl. Bd. III, S. 29 ff.).

113-1 Wie im folgenden näher ausgeführt wird, opferte Maria Theresia ihren alten Alliierten England den Franzosen und Ludwig XV. seinen bisherigen Verbündeten Preußen den Österreichern.

113-2 Durch seinen Einmarsch in Böhmen 1744 hatte König Friedrich Maria Theresia gezwungen, ihre Truppen, die bereits im Elsaß standen, zurückzurufen.

114-1 Schlacht bei Kolin, 18. Juni 1757 (vgl. Bd. III, S. 78 ff.).

115-1 Der Vorwurf richtet sich gegen den Markgrafen Karl Wilhelm Friedrich von Ansbach, den Schwager des Königs.

115-2 Die Königin-Mutter Sophie Dorothea starb am 28. Juni 1757 (vgl. Bd. III, S. 121). Die Todesnachricht erreichte den König am 1. Juli in Leitmeritz.

118-1 Nur eine spätere Fassung dieser Epistel aus dem Januar 1760 ist uns überliefert.

119-1 Alexander der Große besiegte 334 v. Chr. die Perser am Granilos.

120-1 Der Kardinal Amboise war der Premierminister König Ludwigs XII. von Frankreich.

121-1 Erst ihre Vermählung mit Charles Gmllaume Le Normand d'Etioles bahnte für Ieanne Antoinette Poisson, die illegitime Tochter des Generalpächters de Normand de Tournehem und spätere Marquise de Pompadour, den Weg, der sie 1745 an die Seite Ludwigs XV. führte.

121-2 1717.

122-1 Nach dem Sturze Marlboroughs im Sommer 1710 (vgl. Bd. l, S.116; VII, S.104) kam es zwischen England und Frankreich zu geheimen Verhandlungen und im Oktober 1711 zu einem Präliminarfrieden zwischen beiden Staaten, dem im Frühjahr 1713 der Friede von Utrecht und die Anerkennung des Herzogs Philipp von Anjou als König von Spanien folgte.

123-1 Die Vernichtung der spanischen Armada (1588).

123-2 Jakob I. (1603—1625).

123-3 Karl I. (1625—1649).

123-4 Für Cromwell vgl. Bd. I, S. 90; IX, S. 119.

123-5 Prinz Wilhelm III. von Oranien und seine Gemahlin Maria bestiegen 1689 den englischen Thron.

123-6 Karl Eduard Stuart, der Sohn des Prätendenten Jakob Eduard, war im Juli 1745 in England gelandet und nach anfänglichen Erfolgen (vgl. Bd. II, S. 244 f.) am 27. April 1746 bei Culloden entscheidend geschlagen worden.

124-1 Der junge Zar Iwan VI. (geboren am VI.. August 1740) wurde in der Nacht zum 6. Dezember 1741 von Elisabeth, der jüngsten Tochter Peters des Großen, entthront (vgl. Bd. II, S.5. 60 und 96 f.).

124-2 Schlacht bei Mollwitz, in. April 1741 (vgl. Bd. II, S. 71 ff.).

124-3 Bei Kolin (vgl. S. 114)

131-1 Am 21. Januar 1749 hatte d'Argens sich mit der Schauspielerin Babet Cochols vermählt.

137-1 Vgl. Bd. IX, S. 26.

139-1 König Friedrich stand damals in der Gegend von Merseburg.

141-1 König Friedrich hatte am 9. September 1757 Voltaire in seine Todesgedanten eingeweiht: „Es liegt mir fern, Cato oder Kaiser Otho zu verdammen; für Otho war der schönste Augenblick seines Lebens der seines Todes. Man muß für sein Vaterland kämpfen und für fein Vaterland fallen, wenn man es retten kann, und wenn man das nicht kann, ist es schimpflich, es zu überleben.“ Voltaire entgegnete darauf, Cato und Otho dürften nicht Friedrichs Vorbilder sein; er verwies für den schlimmsten Fall auf Frankreich als Rettungsanker und auf das Beispiel des Großen Kurfürsten, „der deshalb nicht geringere Achtung genossen hat, weil er einige seiner Eroberungen herausgab“; auch dann noch werde der König genug Länder beha,ten, „um einen sehr ansehnlichen Rang in Europa zu behaupten“. Darauf antwortete Friedrich mit den obigen Versen.

147-1 Das Gedicht entstand nach einer Unterhaltung, die König Friedrich am 16. Oktober 1757 mit Gottsched in Leipzig gehabt hatte; den unmittelbaren Anstoß gab die Übertragung einer Strophe Rousseaus ins Deutsche durch Gottsched. Die Verse sind in der Vorlage irrtümlich an Geliert gerichtet.

148-1 Prinz Karl Soubise, Herzog von Rohan-Rohan, Graf Lancelot Turpin de Crissé und Herzog Viktor Franz von Broglie, Heerführer der Franzosen bei Roßbach.

148-2 Anmerkung des Königs: „Der Prinz von Sachsen-Hildburghausen, der in Ungarn am Ufer des Timot geschlagen wurde.“ Prinz Joseph von Sachsen-Hildburghausen hatte die Niederlage im Türlenkrieg vielmehr am 4. August 1737 bei Banjaluta (vgl. Bd. II, S. 159) erlitten; 1757 war er des Heiligen Römischen Reiches Generalissimus und Führer der Reichsarmee (vgl. Bd. III, S. 59).

149-1 Anmerkung des Königs: „Sie hatten gesagt, daß sie dem König von Preußen Neujahrsgeschenke bescheren wollten.“

150-1 Den bei Leuthen geschlagenen Feldmarschall Dann.

150-2 Anspielung auf die Achtserklärung gegen König Friedrich wegen Besetzung Sachsens und auf den kaiserlichen Notar Aprill in Regensburg, der von dem Reichsfiskal Helm beauftragt war, dem brandenburgischen Reichstagsgesandten Freiherrn von Plotho die Ladung des Königs vor den Kaiserlichen Hof zuzustellen. Plotho hatte ihn jedoch, als er am 14. Oktober 1757 bei ihm erschien, sofort hinauswerfen lassen. Vgl. Bd. III, S. 59 f.; V, S. 199 f.

151-1 Neipperg hatte die Österreicher bei Mollwitz geführt.

152-1 Auf dem Wege nach Roßbach hatte Marschall Soubise (vgl. S. 148) nach Frankreich geschrieben, er wolle einen Strauß für die Dauphine pflücken. Darauf geht das Gedicht.

153-1 Jean Baptisie Oudrn (1686—1755), französischer Tiermaler.

154-1 George Keith, Lord Marschall von Schottland, war 1748 nach Preußen übergesiedelt. Nachdem er preußischer Gesandter in Paris, Madrid und Gouverneur von Neuchâtel gewesen war, schlug er 1764 seinen dauernden Wohnsitz in Potsdam auf. Sein Bruder, Ialob Keith, preußischer Feldmarschall, fiel am 14. Oktober 1758 bei dem Überfall von Hochkirch (vgl.Bd.III, S.144: IX, S. 124).

155-1 Am 28. Juni 1757 war die Königin-Mutter Sophie Dorothea gestorben (vgl. S. 115), am 12. Juni 1758 August Wilhelm Prinz von Preußen (vgl. Bd. III, S. 152) und am 14. Oktober 1758 Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth (vgl. S. III und Bd. III, S. 152).

156-1 Vgl. S. 115.

159-1 Vgl. S. 141. 190 und 194.

161-1 Aus einem Schreiben an d'Argens vom 12. Mai 1759.

161-2 Vgl. Bd. III, S. 153: V, S. 219 ff.; VIII, S. 122 f.

162-1 Aus einem Schreiben an Voltaire vom 17. November 1759.

163-1 Vgl. S. 121 f.

163-2 Schlacht bei Kunersdorf, 12. August 1759 (vgl. Bd. IV, S. 15 ff.).

163-3 Daun (vgl. S. 161).

163-4 Der Herzog von Choiseul, der Leiter der auswärtigen Politik Frankreichs.

164-1 Vgl. Bd. VIII, S. 62.

164-2 Vgl. S. 43.

165-1 Für den Mordanschlag des Jesuitenpaters Malagrida auf König Joseph I. von Portugal im September 1758 vgl. Bd. III, S. 153 f.

165-2 Anmerkung des Königs: „Die vergiftete Hostie gaben sie einem Kaiser, wie ich glaube, Heinrich VII.“