<33>Tuch zur Bekleidung des niederen Volkes. Die schönsten Gebäude in Stockholm und die ansehnlichsten Adelspaläste auf dem Lande stammen aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges.

Das Königreich wurde tatsächlich beherrscht durch ein Triumvirat: die Grafen Thure Bielke, Ekeblad und Rosen. Unter republikanischen Regierungsformen bewahrte Schweden noch den Stolz seiner monarchischen Zeiten: ein Schwede hielt sich für mehr als der Bürger jedes andern Volkes. Der Geist Gustav Adolfs und Karls XII. hatte so tiefe Spuren im Gemüt der Nation hinterlassen, daß weder Zeit noch Unglück sie hatte auslöschen können. Schweden erfuhr das Geschick jedes monarchischen Staates, der sich in eine Republik verwandelt: es wurde schwächer. Der Ehrgeiz verwandelte sich in Ränkesucht, die Selbstverleugnung in Begehrlichkeit. Das öffentliche Wohl ward dem persönlichen Vorteil geopfert. Die Bestechungen gingen so weit, daß bald die französische, bald die russische Partei in den Reichstagen die Oberhand gewann. Aber niemand unterstützte die nationale Sache. Bei all diesen Fehlern hatten die Schweden doch den alten Eroberungsgeist bewahrt, der das gerade Gegenteil des republikanischen Geistes ist, welcher friedliebend sein muß, wenn anders er die bestehende Regierungsform erhalten will. Dieser Staat konnte, so wie wir ihn geschildert haben, nur einen schwachen Einfluß auf die allgemeinen Angelegenheiten Europas ausüben, und so hatte er denn auch viel von seinem früheren Ansehen eingebüßt.

Schweden hat zum Nachbarn eine der furchtbarsten Mächte. Vom Nordpol und vom Eismeer bis zu den Ufern des Schwarzen Meeres und von Samogitien bis an die Grenzen von China erstreckt sich das ungeheure Gebiet des russischen Reiches, ein Land, achthundert deutsche Meilen lang, gegen drei bis vierhundert breit. Dieser einstmals barbarische Staat war vor dem Zaren Iwan Wassiljewitsch1 in Europa unbekannt. Peter der Große wollte sein Volk kultivieren und bearbeitete es wie Eisen mit Scheidewasser. Er war der Gesetzgeber und der Stifter dieses ungeheuren Reiches. Er schuf Menschen, Soldaten und Minister, erbaute die Stadt Petersburg, gründete eine ansehnliche Seemacht und erreichte, daß ganz Europa sein Volk und seine ungewöhnlichen Talente achtete.

Im Jahre 1740 beherrschte Anna Iwanowna, Peters I. Nichte, dieses weite Reich. Sie war die Nachfolgerin Peters II., des Enkels des ersten Kaisers. Ihre Regierung wurde ausgezeichnet durch eine Menge denkwürdiger Begebnisse sowie durch einige große Männer, die sie geschickt zu benutzen wußte. Ihre Waffen gaben Polen einen König. Sie sandte (1735) dem Kaiser Karl VI. zehntausend Russen an den Rhein zu Hilfe, in ein Land, wo diese Nation wenig bekannt war. Sie führte mit den Türken einen Krieg, der eine einzige Kette von Erfolgen und Triumphen war; und während Kaiser Karl VI. im türkischen Lager um Frieden bitten mußte, diktierte sie dem os-


1 Iwan III. (1462—1505).