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12. Kurzgefaßte Gründe, durch die ein österreichischer Gesandter zu London im Jahre 1763 Subsidien von England erlangen kann206-1
(Anfang Juli 1757)

1. In rührenden Ausdrücken wird er das Bedauern der Kaiserin-Königin schildern, das Bündnis mit England aufgegeben zu haben, und alle Schuld auf Graf Kaunitz werfen, der die Königin durch sein Ansehen und seine Einflüsterungen zu diesem Entschlusse gedrängt hätte.

2. Geschickt wird er einblasen, die Königin sei trotz ihrer Verpflichtungen gegen Frankreich aus Herzensneigung dem König von England dienlich gewesen. Sie habe dem Versailler Hofe seinen Plan ausgeredet, den Prätendenten206-2 auf den englischen Thron zu setzen. Sie sei für die Schonung Hannovers eingetreten, das ohne die Vermittlung des Wiener Hofes gebrandschatzt worden wäre.

3. Das Bündnis mit Frankreich sei nur von vorübergehender Dauer, in einer Anwandlung von schlechter Laune und Ärger abgeschlossen und werde nur durch den Zwang der Verhältnisse aufrechterhalten.

4. Zur Wiederherstellung des europäischen Gleichgewichtes müsse man notwendig auf seine alten Verpflichtungen zurückgreifen, an denen England größeres Interesse<207> habe als die Kaiserin-Königin; denn England brauche als Gegengewicht gegen die Übermacht Frankreichs einen Verbündeten mit großen, reichbevölkerten Provinzen, die viele Soldaten liefern könnten, um sie dem gemeinsamen Feinde entgegenzustellen.

5. Da England im letzten Kriege die Erfahrung gemacht habe, daß es Frankreich zur See allein nicht gewachsen sei, so müßten die Seekriege zu Englands eignem Nutz und Frommen durch große Diversionen zu Lande unterstützt werden, und dazu wäre keine andere Macht außer der Königin von Ungarn imstande.

6. Der Gesandte wird sich lang und breit über die Verirrungen des menschlichen Geistes ergehen und betonen, daß es manche Sünden gibt, die einer dem andern zum gemeinsamen Besten verzeihen müsse. Er wird hinzufügen, das Bündnis zwischen dem Hause Österreich und Frankreich sei ein Glück für England; denn nun habe es selbst erfahren, wie falsch und verkehrt dies System sei, und nachdem man in Wien durch eignen Schaden klug geworden sei, betrachte man es als unveränderlichen Grundsatz der österreichischen Politik, nie und nimmer von dem Bündnis mit England zu lassen und Englands Interessen wie die eignen zu fördern. Er könne dreist versichern, daß kein österreichischer Minister in anderem Tone zur Königin sprechen dürfe, wenn er nicht seinen sicheren Sturz wolle.

Nachdem er die Geister durch solche schönen Reden lange genug bearbeitet und günstig gestimmt und sich in Klagen über die frühere Verblendung seines Hofes ergangen hat, wird er den englischen Ministern geschickt einblasen, daß man sich in Wien über nichts größere Vorwürfe mache als über die Abtretung Ostendes an die Franzosen207-1; denn in ihrem Besitz tue dieser Hafen dem englischen Handel großen Abbruch. Man wisse ja in London, daß der Wiener Hof die Provinzen Flandern und Brabant stets als lästigen Besitz angesehen habe, und wenn man Ostende den Franzosen wieder abnehmen möchte, so geschähe das einzig und allein mit Rücksicht auf den englischen Handel, an dem man unvergleichliches Interesse nähme. Dadurch könne man das Unrecht wieder sühnen, das man in einer Zeit des Taumels seinen alten, treuen Verbündeten zugefügt habe, und die Dinge ungefähr wieder auf den Stand bringen, in dem sie sich befinden sollten.

Gerührt von der ehrlichen Reue der Königin von Ungarn und von dem Interesse, das sie dem englischen Handel entgegenbringt, bewilligt ihr das britische Ministerium von 1763 ab jährlich eine Million Pfund Sterling, um Ostende, Nieuport Veurne, Dixmuiden und Dünkirchen den Franzosen wieder zu entreißen, verspricht<208> das Vergangene als ungeschehen zu betrachten und erkennt an, daß England in Europa keine eifrigere, uneigennützigere und dankbarere Bundesgenossin finden kann als die Königin von Ungarn.

Dixi.

(Aus den Weissagungen des Nostradamus208-1.)


206-1 Nach einer Bemerkung des englischen Gesandten Mitchell auf der Rückseite der obigen Satire sandte ihm König Friedrich diese nach einer Unterredung, die er in den ersten Julitagen 1757 mit ihm in Leitmeritz gehabt hatte. In ihr spiegelt sich die erbitterte Stimmung wider, in die den König die Nachrichten von der Bedrohung der preußischen Küsten durch die russische Flotte versetzten. Vergebens hatte er die Entsendung englischer Kriegsschiffe nach der Ostsee gefordert. Statt des Geschwaders wurden ihm Subsidien geboten. In einer Unterredung vom 11. Juli bezeichnete er dann geradezu als sein Mißgeschick, sich mit den Engländern in der Epoche ihres Niederganges verbündet zu haben. Er erinnerte daran, wieviel sie im Spanischen und österreichischen Erbfolgekriege für Österreich getan hätten, und beschuldigte sie unverhüllt österreichischer Sympathien.

206-2 Jakob Eduard Stuart, der als Sohn des 1688 vertriebenen Königs Jakob II. Anspruch auf die englische Krone erhob (vgl. Bd. II, S. 165. 244 f.).

207-1 Tatsächlich war die Abtretung von Ostende, Nieuport an Frankreich in dem Versailler Vertrage von 1757 (vgl. S. 58) ausbedungen, doch war König Friedrich nur gerüchtweise davon unterrichtet.

208-1 Nostradamus (Michel de Notredam), † 1566, französischer Astrolog und Verfasser von Prophezeiungen.