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15. Kapitel

Der Winter von 1761 auf 1762.

Aus der Darstellung des letzten Feldzuges ersahen wir, welche Schicksalsschläge Preußen trafen und welche ihm noch drohten. Aber gerade im kritischsten Augenblick, als das Waffenglück den Preußen untreu wurde, blitzte ein Hoffnungsstrahl auf und ließ, wenn auch ungewiß, neue Rettungsmittel ahnen.

Im Monat Oktober, nach dem Verlust von Schweidnitz, als die Armee des Königs bei Strehlen stand, als in Pommern die Russen Kolberg und zugleich das Korps des Prinzen von Württemberg belagerten, erhielt der König eine Gesandtschaft des Tartaren-Khans118-1. Der Gesandte war der Barbier seines Herrn. Das mag denen seltsam vorkommen, die das Hofzeremoniell blendet und die die Sitten fremder Völker nur an den europäischen Gebräuchen messen. Bei den orientalischen Völkern jedoch ist es nichts Ungewöhnliches. Dort ist der Adel unbekannt, und die gelten für die Höchsten, die der Person des Herrschers am nächsten stehen. Der genannte Barbier oder Gesandte überreichte also sein Beglaubigungsschreiben, dessen Stil sich vom deutschen Kanzleistil nur durch eine andere Art von Lächerlichkeit unterschied. Der Zweck der Gesandtschaft war, dem König ein Bündnis mit den Tartaren anzutragen und ihm 16 000 Mann Hilfstruppen für eine noch zu bestimmende Subsidienzahlung zu überlassen. In seiner gegenwärtigen Lage konnte der König ein solches Anerbieten nicht abschlagen. Er nahm es nicht nur an, sondern ließ dem Barbier, um Zeit zu gewinnen, auch Entwürfe zu Bündnis- und Subsidienverträgen vorlegen. Überhäuft mit Geschenken für sich und seinen Herrn, kehrte er in Begleitung des jungen Goltz zurück. Der sollte die Vollziehung der Abmachungen beschleunigen und das tartarische<119> Hilfskorps nach Ungarn führen, um eine Diversion in die Staaten der Kaiserin-Königin zu machen. Gleichzeitig erhielt Boscamp, der Geschäftsträger des Königs in Bachtschisarai, den Auftrag, den Khan mit Aufbietung aller Mittel zu einem Einfall in Rußland zu bewegen und auch dort den Krieg zu entfachen. Denn hatten die Feindseligkeiten erst einmal begonnen, so war die Pforte zur Unterstützung des Khans genötigt. Nur so konnte man den Sultan zu Maßregeln veranlassen, gegen die er sich bisher noch immer gesträubt hatte. Gelang der Plan, so wurde Pommern von den Russen erlöst und die Kurmark von einer drohenden Gefahr befreit. Den Einfall der 16 000 Tartaren in Ungarn mußte der König allerdings durch ein Hilfskorps regulärer Truppen unterstützen. Das aber hätte die Kaiserin-Königin zur Absendung der doppelten Truppenzahl genötigt, und so wäre die für den Frühling gegen Preußen bestimmte Armee notwendig geschwächt worden.

Alle damals aus Konstantinopel einlaufenden Nachrichten ließen auf schnellen Abschluß des Defensivbündnisses hoffen, über das der König mit der Pforte verhandelte119-1. Aber von der Hoffnung bis zum Ereignis war noch ein weiter Schritt. Der Großwesir119-2 war schon bejahrt und selbst kein Soldat. Er scheute deshalb vor einem Handwerk zurück, das er nicht verstand, und fürchtete besonders, sein eigenes wohlbefestigtes Glück den Zufällen eines Krieges auszusetzen. Aus diesem Grunde hatte er sich eng mit dem Mufti119-3 verbunden, um im Diwan der Partei entgegenzuarbeiten, die zu einem Bruch mit dem Hause Österreich drängte. Er machte den Kriegslustigen klar, daß der Waffenstillstand mit den Kaiserlichen119-4 noch nicht abgelaufen und ohne Verletzung der Gesetze des Korans nicht zu brechen sei. Aber da der menschliche Geist zu Widersprüchen neigt, so ließ die Pforte starke Janitscharenabteilungen nach Ungarn marschieren. Die bei Belgrad versammelten türkischen Streitkräfte betrugen 110 000 Mann. Die Paschas ließen die Truppen vorrücken und zogen eine Postenkette längs den ungarischen Grenzen. Für die Pforte hieß das schon viel, doch wenig für Preußen, das wirksamerer Hilfe bedurfte. Da aber der König sonst auf den Beistand keiner europäischen Macht zu rechnen hatte, so wandte er aufs neue in Konstantinopel und Bachtschisarai alle erdenklichen Mittel an, um die Türken zu herzhaften Entschlüssen zu bringen.

Im Winter traf in Breslau ein neuer Abgesandter des Khans119-5 ein. Diesmal war es ein Pascha. Er bestätigte alle Versprechungen, die der Barbier dem König im Namen seines Herrn gemacht hatte. Auch versicherte er, der Khan würde im Frühling ein Korps von 40 000 Mann zusammenziehen, wie es hernach auch wirklich geschah, und dann ganz nach den Wünschen des Königs vorgehen. Dazu aber kam es nicht. Bald werden wir sehen, wie die Umwälzungen, die in Rußland stattfanden,<120> auf die Orientalen so stark wirkten, daß sie die beschlossenen Maßnahmen rückgängig machten und alle ihre Pläne aufgaben. Der Pascha aber wurde mit Geschenken für sich und seinen Herrn heimgeschickt; denn bei jenen Völkern ist alles käuflich. Der Tartar hatte seine Handlungen und Dienste genau abgeschätzt: soviel mußte man ihm für eine günstige Antwort zahlen, soviel für das Zusammenziehen der Truppen, soviel für Demonstrationen, soviel für einen Brief an den Großherrn. Der einzige Unterschied zwischen dem Schacher der Orientalen und anderer Völker scheint mir der zu sein, daß jene sich ohne Erröten entehren und sich ihrer schändlichen Leidenschaft hingeben, die Europäer aber wenigstens einige Scham dabei heucheln.

Während dieser Versuche zur Aufwiegelung des Orients wurden die Dinge in England täglich verwickelter. Frankreich hatte Bussy zu Friedensverhandlungen120-1 nach London gesandt. Aber seine Gegenwart schläferte das britische Ministerium nicht so ein, wie der Hof von Versailles gewähnt hatte. Höchstens die Zurüstungen zur See verrieten etwas weniger Eifer. Nichtsdestoweniger nahmen die Engländer noch während der Verhandlungen die Insel und das Fort Belle-Isle ein und bemächtigten sich sogar Pondicherys in Hinterindien, wo sie die bedeutenden Niederlassungen der französisch-indischen Kompagnie zerstörten. Bussys Verhandlungen in London kamen nur wenig vom Fleck. Um die Engländer zu ködern, spiegelte Choiseul Stanley120-2 die verlockendsten Aussichten vor, aber die Auslegungen, die Bussy ihnen zu geben wußte, machten sie immer wieder zunichte.

Dies politische Geplänkel dauerte bis Ende 1761. Dann erst wurden die Unterhandlungen mit größerem Eifer aufgenommen. Frankreich merkte, daß es mit seiner<121> Absicht, England zu hintergehen, kein Glück hatte, wollte aber nichts verlieren und einen vorteilhafteren Frieden schließen, als es nach der ganzen Kriegslage hoffen durfte. Da es nun durch diplomatische Kunststücke nicht zum gewünschten Ziele kam, lenkte es den Blick auf Spanien, und Choiseuls Geschicklichkeit wußte auch dies Land seinen Interessen dienstbar zu machen. Ein Bündnis mit Spanien konnte auf die Engländer Eindruck machen, oder falls das nicht geschah, könnte der Beistand der spanischen Krone immer noch dazu dienen, den Krieg lebhafter und mit größerem Erfolge zu betreiben.

Um den König von Spanien in das französische Interesse zu ziehen, bediente sich Choiseul eines Mittels, das nicht überall gleichen Erfolg haben würde. Es war der berühmte bourbonische Familienpakt121-1, der, statt beide Kronen zu vereinigen, die Spanier im Gegenteil eher jedem Vertrag mit Frankreich hätte entfremden müssen. Wir wollen uns mit der Aufzählung der Hauptpunkte begnügen. Es heißt darin: „Die beiden Zweige des Hauses Bourbon sollen künftig als ein einziger angesehen werden. Die Untertanen beider Kronen sollen gegenseitig die gleichen Vorteile genießen. Stets sollen beide Staaten gemeinschaftliche Sache machen. Infolgedessen wird der König von Spanien an England den Krieg erklären, falls ihm jene Macht Genugtuung für gewisse Beschwerden versagt, wie z. B. für das Fällen des Kampescheholzes und einige Seeräubereien englischer Freibeuter. Gleichzeitig soll Spanien den König von Portugal121-2 angreifen.“ Das Seltsamste aber war die Bestimmung: „Da jetzt die beiden Zweige des Hauses Bourbon ein einziges Haus bilden, sollen ihre Eroberungen und Verluste gemeinsam sein, sodaß Vorteile des einen und Nachteile des anderen sich gegenseitig aufwiegen.“

Was war der eigentliche Sinn des Vertrages? Frankreich hätte ebensogut zu den Spaniern sagen können: „Ihr sollt Krieg führen, weil das meinen Interessen entspricht. Ich habe den Engländern gegenüber große Verluste erlitten. Da ihr aber allem Anschein nach englischen Besitz erobern und Portugal einnehmen werdet, so werdet ihr all das eroberte Land seinen alten Besitzern zurückerstatten, um England zur Herausgabe der uns entrissenen Provinzen zu zwingen, die wir selbst nicht wiedererobern können.“ Warum sollte ferner Portugal angegriffen werden, das keinem Menschen etwas zuleide getan hatte und auf das weder Spanien noch Frankreich Ansprüche hatten? In Wahrheit wollte Frankreich nur den gewinnreichen Handel Englands mit Portugal vernichten. Ferner war Frankreich überzeugt, daß England für eine Wiederherstellung Portugals den größten Teil der gemachten Eroberungen herausgeben werde. Ist das aber Grund genug zum Angriff auf einen Fürsten, der gar keinen berechtigten Anlaß dazu gegeben hat? O Völkerrecht, wie unnütz und eitel<122> ist doch dein Studium! So wunderlich der erwähnte Vertrag war, er wurde von beiden Kronen unterzeichnet.

Sogleich zogen die Franzosen Vorteil aus dem Abkommen und erteilten Bussy den Auftrag, England im Namen des Königs von Spanien zur Wiedererstattung einiger geraubter spanischer Schiffe aufzufordern. Ferner sollte England auf die Fällung des Kampescheholzes verzichten. Der Vorschlag wirkte im englischen Ministerium wie der Apfel der Zwietracht und spaltete es in zwei Gruppen.

An der Spitze der englischen Regierung standen zwei Männer von verschiedenem Charakter und auch sonst durchweg Gegner. Der eine war Pitt: ein hoher Geist, zu großen Entwürfen fähig, voller Stetigkeit in ihrer Ausführung, unbeugsam in seinen Ansichten; denn er glaubte, damit nur dem Wohle seines geliebten Vaterlandes zu dienen. Der andere war Bute, der frühere Erzieher des Königs, den er noch jetzt beherrschte. Mehr ehrgeizig als geschickt, wollte er unter dem Deckmantel der königlichen Autorität herrschen. Nach seinem Grundsatz mußte bei jedem Staatsmann das Kleid der Ehre von grobem Gewebe sein. Indem er seinem Volke den Frieden um jeden Preis verschaffte, glaubte er zum Abgott seiner Nation zu werden. Er irrte sich jedoch; denn er wurde zum Abscheu des Volkes.

Beide, Pitt und Bute, betrachteten das Begehren Spaniens mit verschiedenen Augen. Pitt war überzeugt, daß Spanien den Krieg wolle und daß infolgedessen der Bruch unvermeidlich sei. Er wollte Spanien überrumpeln, ehe es seine Rüstungen beendet hatte. Darum stimmte er für den Krieg; denn es kam jetzt darauf an, loszuschlagen, nicht aber zu unterhandeln. Bute dagegen fürchtete, die neuen Feinde würden den Friedensschluß mit Frankreich nur noch schwieriger gestalten, und wies darauf hin, daß das Land, wenn man den Ratschlägen seines Gegners folgte, in noch gewaltigere Ausgaben und Gefahren gestürzt würde, deren Ende garnicht abzusehen sei. Er verurteilte Pitts Standpunkt besonders deshalb, weil England unter den obwaltenden Umständen viel leichter in Madrid unterhandeln, als in London neue Kriegsmittel aufbringen könnte. Im Staatsrat siegte Butes Meinung über die seines Widersachers. Pitt war darob so gekränkt und entrüstet, daß er seine Würden niederlegte. Bald darauf verzichteten die Herzöge von Newcastle und Devonshire, seinem Beispiel folgend, gleichfalls auf ihre Ämter. Bute trat ihr Erbe an, nahm das Amt, das er begehrte, und bildete eine neue Regierung aus den Lords Halifax, Egremont und Grenville, die man das Triumvirat nannte122-1. Bute aber war deren Seele.

Kurz darauf bewiesen die Ereignisse, daß Pitt die Absichten Spaniens als großer Staatsmann eingeschätzt hatte; denn Bute verlor viel Zeit mit Unterhandlungen<123> und mußte schließlich doch zu den Waffen greifen123-1. Die Engländer sahen sich genötigt, den König von Portugal mit Truppen zu unterstützen, und noch jetzt hatten sie die Erfolge, die ihre Flotten errangen, allein Pitt zu verdanken, der die Pläne dazu ausgearbeitet hatte, als er noch am Ruder war. Kaum hatte Bute sein Amt angetreten, so begann das Verhältnis zwischen Preußen und England sich abzukühlen und sich dauernd zu verschlechtern. Er verweigerte die bisher dem König gezahlten Subsidien123-2 und wähnte, ihn dadurch zur Annahme aller Friedensbedingungen zu zwingen, die das englische Ministerium ihm vorzuschreiben für gut hielte. Glaubte Bute doch, mit Geld ließe sich alles machen, und nur in England gäbe es Geld.

Aber woran hängen doch alle Ereignisse der Welt und alle Pläne der Menschen! Die Kaiserin von Rußland stirbt. Ihr Tod zeigt, daß sich alle Politiker täuschen, und wirft eine Menge Pläne und Abmachungen über den Haufen, so sorgfältig sie auch ausgedacht und so mühevoll sie ins Werk gesetzt waren. Schon in den letzten Jahren hatte die Gesundheit der Kaiserin geschwankt. Am 5. Januar 1762 wurde sie plötzlich von einem Blutsturz hingerafft. Durch ihren Tod fiel die Krone an ihren Neffen, den Großfürsten, der unter dem Namen Peter III. die Regierung antrat.

Schon zu der Zeit, als der neue Zar noch Herzog von Holstein war, hatte der König Freundschaft mit ihm gepflegt, und dank einem bei den Menschen seltenen, bei Herrschern doppelt seltenen Zartgefühl war ihm der Herzog dafür von Herzen dankbar geblieben. Sogar während des Krieges hatte er seine freundschaftliche Gesinnung betätigt. Ihm vor allem war es zuzuschreiben, daß Apraxin sich im Jahre 1757, nach dem Sieg über Feldmarschall Lehwaldt, nach Polen zurückzog123-3. Während der ganzen Kriegswirren war der Großfürst sogar dem Staatsrat ferngeblieben, in dem er Platz und Stimme hatte, nur um nicht an den von ihm gemißbilligten Maßnahmen der Kaiserin gegen Preußen teilzuhaben. Nun beglückwünschte der König ihn brieflich123-4 zu seiner Thronbesteigung, drückte in seinem Schreiben offen das Verlangen aus, künftig in gutem Einvernehmen mit ihm zu leben, und versicherte ihn seiner steten Hochachtung für seine Person.

Der englische Gesandte am russischen Hofe, Keith, teilte dem König unverzüglich mit, welche Hoffnungen er auf die freundschaftlichen Gesinnungen des neuen Monarchen bauen könne. Kurz darauf schickte der Zar seinen Günstling Gudowitsch nach Deutschland, angeblich zur Begrüßung seines Schwagers, des Fürsten von Zerbst123-5 Laut geheimer Instruktion aber sollte er den Rückweg über Breslau nehmen, wo der König sein Hauptquartier hatte, und ihn der Achtung und Freundschaft des Zaren versichern. Eine so günstige Gelegenheit durfte man sich nicht entgehen lassen. Der<124> König sprach sich Gudowitsch gegenüber ganz offen aus124-1 und bewies ihm leicht, daß zwischen beiden Staaten gar kein wirklicher Anlaß zum Kriege bestehe, daß der gegenwärtige Zwist doch nur eine Folge österreichischer Ränke sei, und daß der Wiener Hof lediglich für seinen eigenen Vorteil arbeite. Nichts sei also leichter als die Wiederherstellung des guten Verhältnisses zwischen beiden Höfen durch einen ehrlichen Frieden. Gleichsam beiläufig fügte er hinzu, er erwarte von der Billigkeit des Kaisers, er werde ihm keine Friedensbedingungen aufzwingen, die mit seiner Herrscherehre unvereinbar wären; denn darauf würde er niemals eingehen. Da sich bei dieser Gelegenheit leicht ergründen ließ, welcher Vorteil für Preußen aus der freundschaftlichen Gesinnung des Zaren entspringen konnte, sagte der König wie zufällig: er sei weit entfernt, über das Vergangene irgendwie zu grollen, und wünsche nichts sehnlicher, als mit dem Kaiser die engsten Beziehungen anzuknüpfen. Dieser Erklärung fügte er einen Brief124-2 an den Zaren bei, der ungefähr in den gleichen Ausdrücken abgefaßt war, damit dieser dem Bericht von Gudowitsch über die Gesinnungen des Königs desto mehr Glauben schenke. Kaum war Gudowitsch nach Petersburg abgereist, so folgte ihm Goltz als außerordentlicher Gesandter, um den Zaren zu seiner Thronbesteigung zu beglückwünschen, besonders aber, um auf Friedensverhandlungen zu dringen und deren Abschluß womöglich noch vor dem Beginn des neuen Feldzuges zu bewirken124-3.

Indes war man nicht ohne Besorgnis. Denn worauf konnte man die Hoffnung auf einen günstigen Ablauf der Verhandlungen in Petersburg setzen? Die Höfe von Wien und Versailles hatten der verstorbenen Kaiserin die Provinz Preußen garantiert124-4. Die Russen waren in ihrem ungestörten Besitz. Ließ sich da annehmen, ein junger, eben auf den Thron gelangter Fürst werde von selbst auf eine durch seine Verbündeten garantierte Eroberung verzichten? Würde ihn nicht sein eigener Vorteil oder der Ruhm, den ein Ländererwerb einer neuen Regierung verleiht, davon zurückhalten? Für wen, warum, aus welchen Gründen sollte er Verzicht leisten? Alle diese schwer zu lösenden Fragen erfüllten die Gemüter mit banger Sorge für die Zukunft.

Der Ausgang der Sache war über Erwarten gut. So schwer ist die Ergründung der unberechenbaren Ursachen und der verschiedenen Triebfedern, die das Handeln der Menschen bestimmen. Peter III. besaß ein großes Herz und edlere, höhere Gesinnung, als man sonst bei Herrschern zu finden pflegt. Er kam nicht nur allen Wünschen des Königs nach, sondern ging noch weit über sie hinaus. Aus eigenem Antrieb berief er Tschernyschew124-5 mit seinem Korps von der österreichischen Armee ab, verlangte vom<125> König keinerlei Gebietsabtretung, obwohl er dazu berechtigt war, und so wenig man ihn deshalb hätte tadeln dürfen, beschleunigte die Friedensverhandlungen und verlangte als Gegengabe einzig und allein die Freundschaft des Königs und ein Bündnis mit ihm. Ein so edles, hochherziges und ungewöhnliches Verhalten soll nicht nur der Nachwelt überliefert werden, es müßte auch mit goldenen Lettern in den Kabinetten aller Könige prangen.

Die Blicke des Zaren waren damals besonders auf Dänemark gerichtet. Er hatte das Unrecht, das die dänischen Könige seinen Vorfahren angetan hatten125-1, nicht vergessen. Auch wollte er noch für persönliche Unbill Rache nehmen; denn zu Lebzeiten der Kaiserin Elisabeth hatten die Dänen ihm verschiedentlich den Teil Holsteins zu entreißen versucht, den er noch besaß, wogegen er sich aber stets entschlossen gesträubt hatte. Erbittert durch so viele Kränkungen, sann er nun auf blutige Rache und beendigte den Krieg mit Preußen nur, um mit desto größerer Energie gegen Dänemark vorzugehen.

Der König behandelte den Zaren nicht wie ein Herrscher einen anderen, sondern mit jener Herzlichkeit, wie sie die Freundschaft als ihr schönstes Recht fordert. Die vortrefflichen Eigenschaften Peters III. bildeten eine Ausnahme von der politischen Regel, man mußte also auch mit ihm selbst eine Ausnahme machen. Der König versuchte ihm in allem, was ihm angenehm sein konnte, zuvorzukommen. Der Zar schien ein Wiedersehen mit Schwerin, dem Adjutanten des Königs, zu wünschen. Der war als russischer Kriegsgefangener in der Schlacht bei Zorndorf nach Petersburg gekommen und hatte dort das Glück gehabt, sich des Kaisers Huld zu erwerben. Der König schickte ihn unverzüglich nach Rußland, und er trug während seines dortigen Aufenthalts nicht wenig zum Abschluß des Friedens und des Bündnisvertrages bei125-2.

Bute, der auf die anderen Nationen herabsah, wußte nichts von den Vorgängen in Europa und kannte noch weniger die Gesinnungen des neuen russischen Kaisers. Erfüllt von der Idee eines allgemeinen Friedens, den er um jeden Preis herbeiführen wollte, beauftragte er den russischen Botschafter in London, Fürsten Galizin, seinem Hofe zu erklären: Welche Abtretung der Kaiser auch von Preußen fordern wolle, England mache sich anheischig, sie ihm zu verschaffen. Nur möge der Zar nichts übereilen und den König von Preußen durch Belassung des Tschernyschewschen Korps bei den Österreichern noch länger in Schach halten. Empört über solche Vorschläge, antwortete der Kaiser in der Weise, wie ein preußischer Gesandter geantwortet hätte. Auch sandte er dem König eine Abschrift des Galizinschen Berichts, um ihm das verräterische Spiel Englands zu enthüllen125-3. Das war aber nicht die einzige Treulosigkeit des englischen Ministers gegen den König.

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Wenn wir hier ungeschminkte Ausdrücke wählen, so geschieht es, weil schurkische Handlungen in der Geschichte stets mit den niedrigen und abstoßenden Zügen, die ihnen gebühren, geschildert werden sollten, und wäre es nur, um der Nachwelt Abscheu einzuflößen. Wie man weiß, sind gewisse Schurkereien in der Politik dadurch sanktioniert, daß man sie allgemein übt. Es soll uns recht sein, wenn man ihnen mildere Namen gibt. Aber einem Verbündeten die Treue brechen, Komplotte gegen ihn schmieden, wie sie kaum seine Feinde ersinnen könnten, mit Eifer auf seinen Untergang hinarbeiten, ihn verraten und verkaufen, ihn sozusagen meucheln, solche Freveltaten, so schwarze und verwerfliche Handlungen müssen in ihrer ganzen Scheußlichkeit gebrandmarkt werden, damit das Urteil der Nachwelt alle abschreckt, die ähnlicher Verbrechen fähig sind.

Aber nicht zufrieden mit dem Versuch, die Sache Preußens in Petersburg zu schädigen, verhandelte Bute auch zugleich mit dem Wiener Hofe. Ohne Vorwissen des Königs wollte er mit dem Hause Österreich Frieden schließen. Freigebig verfügte er über die preußischen Provinzen und opferte gewissenlos alle Interessen des Königs. Er bot dessen Besitzungen der Kaiserin-Königin an, als ob ihm die Verfügung darüber zustände. Bei dieser Gelegenheit diente der Zufall dem König besser als die feinsten Intrigen. Graf Kaunitz verstand Butes Anerbietungen falsch. Er argwöhnte, England beabsichtige den Wiener und Versailler Hof zu entzweien, und antwortete Bute mit dem ganzen Hochmut und Dünkel eines österreichischen Ministers. Mit Entrüstung und beleidigender Verachtung wies er die ihm verfänglich scheinenden Vorschläge von sich und fügte hinzu, die Kaiserin-Königin besäße Macht genug, um ihre eigenen Ansprüche geltend zu machen, und es verstieße gegen ihre Würde, einen Frieden, welcher Art er auch sei, aus Englands Vermittlerhänden anzunehmen. So zerschlug sich dieser Plan zur Schande seines eigenen Urhebers.

Trotz des Eintritts so vieler glücklicher Ereignisse und der Entdeckung solcher Ränke war der König noch immer nicht sorgenfrei. Briefe aus Petersburg ließen für die Person des Kaisers zittern. Sie meldeten übereinstimmend eine aufkeimende Verschwörung, die dem Ausbruch nahe war. Aber gerade die Personen, die man am meisten im Verdacht hatte, waren am unschuldigsten daran. Die wahren Urheber arbeiteten im stillen und verbargen sich vorsichtig vor den Augen der Welt. Kaum hatte der Zar den Thron bestiegen, so begann er unaufhörliche Neuerungen im Innern seines Reiches. Nach dem Plane Peters I. eignete er sich die Güter der Geistlichkeit an. Aber die Stellung Peters III. war lange nicht so gefestigt, und er ward von der Nation nicht so hoch geachtet. Auch war die Geistlichkeit im Zarenreich um so mächtiger, als das barbarische Volk noch in tiefster Unwissenheit schmachtete.<127> Wer die Archimandriten und Popen angriff, machte sie sich zu unversöhnlichen Feinden, weil jeder Priester mehr an seinem Einkommen hängt als an den Lehren, die er verkündigt. Der Kaiser hätte lieber mit solchen Reformen warten sollen, und auch dann mußte er die Sache mit zarter Hand anfassen. Außer diesem laut gescholtenen Vorgehen warf man ihm noch vor, die Ismaïlowschen und Preobrashenskischen Garden zu streng zu halten. Vollends seine Absicht, mit Dänemark Krieg zu führen, war den Russen zuwider. Sie erklärten öffentlich, die Nation habe gar kein Interesse daran. Böswillige streuten solche Beschwerden im Volke aus, um den Kaiser persönlich verhaßt zu machen.

Freundschaft, Dankbarkeit und Hochachtung für die vortrefflichen Eigenschaften des Zaren bewogen den König, an diesen zu schreiben und den heiklen Punkt zu berühren. Dabei mußte er aber die starke Empfindlichkeit schonen, mit der alle Herrscher darauf halten, daß ihre Stellung als gesichert angesehen werde. Der König mußte sich ferner in bezug auf die Dänen mit äußerster Zurückhaltung ausdrücken. Um den Zaren fürs nächste vom Kriege gegen Dänemark abzubringen, setzte der König ihm alle Gründe auseinander, die für eine Verschiebung des Unternehmens auf das nächste Jahr sprachen. Insbesondere bestand er darauf127-1, der Zar solle sich, bevor er sein Reich verließe und einen auswärtigen Krieg führte, in Moskau krönen lassen, um seine Person durch diese Weihe in den Augen der Nation unverletzlicher zu machen, zumal alle seine Vorgänger diesen Brauch getreulich beobachtet hätten. Hiernach sprach er von den Revolutionen, die während der Abwesenheit Peters I. in Rußland ausgebrochen waren127-2. Aber er glitt nur über diesen Gegenstand hin und beschwor den Kaiser zuletzt inständigst, keine wesentlichen Vorsichtsmaßregeln zur Sicherung seiner Person zu verabsäumen. Er beteuerte ihm, einzig und allein seine aufrichtige Teilnahme am Wohle des Zaren habe ihn zur Feder greifen lassen. Der Brief machte wenig Eindruck auf Peter III. Er antwortete folgendermaßen127-3:

„Mein Ruhm erfordert, daß ich die Dänen wegen der mir und besonders meinen Vorfahren zugefügten Kränkungen zur Rechenschaft ziehe. Es soll nicht heißen, daß die Russen für mein Interesse Krieg führen, ohne daß ich mich an ihre Spitze gestellt hätte. Übrigens macht die Krönungszeremonie zuviel Kosten. Das Geld kann besser gegen die Dänen verwendet werden. Was die Teilnahme an meinem Wohle betrifft, so bitte ich Sie, deshalb unbesorgt zu sein. Die Soldaten nennen mich ihren Vater und sagen, sie wollten lieber von einem Mann als von einem Weibe geführt werden. Allein und zu Fuß gehe ich durch die Straßen Petersburgs. Wollte mir einer etwas antun, so hätte er seinen Plan schon längst ausgeführt. Aber ich erweise jedermann Gutes und vertraue mich ganz dem Schutze Gottes an. Da habe ich nichts zu fürchten.“

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Diese Antwort hielt den König nicht ab, den Zaren auch fernerhin auf die ihm drohenden Gefahren aufmerksam zu machen. Goltz und Schwerin hatten Befehl, das Thema in vertraulichen Gesprächen mit dem Zaren aufs Tapet zu bringen. Doch vergeblich stellten sie ihm vor, daß der Herrscher in einem Lande mit so rauhen Sitten wie Rußland garnicht Vorsicht genug auf seine Person verwenden könne. „Hört einmal,“ sagte er schließlich, „wenn Ihr wirklich meine Freunde seid, so berührt diesen Punkt nicht weiter. Er ist mir verhaßt.“ Man mußte also schweigen und den unglücklichen Monarchen seiner Zuversicht überlassen, die ihn stürzte.

Siehe, die Götter verblendeten uns, um Troja zu stürzen!
Birgils Aneis, 2. Gesang.

Trotz alledem gingen die Unterhandlungen wegen des Friedens und eines Bündnisses rasch vorwärts. Schon Anfang Juni sandte der Zar Schwerin mit dem unterzeichneten Friedens- und Allianzvertrag128-1 an den König und gab Tschernyschew, der in Thorn stand, Befehl, sich unverzüglich in Marsch zu setzen und zur Armee des Königs zu stoßen, um mit ihr gemeinsam gegen die Österreicher zu fechten.

Durch diesen Systemwechsel sahen sich die Schweden ihrer stärksten Stütze beraubt und zum Friedensschluß genötigt. Sie fürchteten, ein längeres Zögern möchte ihnen übel bekommen. Der König erhielt von seiner Schwester, der Königin von Schweden, einen formellen Brief, den der Stockholmer Senat diktiert hatte. Der König antwortete so, wie die Königin es nur wünschen konnte128-2, und drückte seine Freude über die Beendigung eines Krieges zwischen so nahen Verwandten aus. Aus Liebe zur Königin, seiner Schwester, wolle er das rechtswidrige und ungewöhnliche Benehmen der schwedischen Nation vergessen, ohne ihr weiteren Groll nachzutragen. Wenn er aber Frieden schlösse, so geschähe es nur aus Achtung für sie und nur unter der Bedingung, daß alles genau auf den Fuß gebracht würde, wie vor Beginn der Kriegsunruhen. Von Furcht gedrängt, beendeten die Schweden die Verhandlungen schnell, und der Friede kam bald zustande. Die Bevollmächtigten beider Höfe traten in Hamburg zusammen und unterzeichneten die Präliminarien am 22. Mai.

Andrerseits betrieb der Kaiser von Rußland seinen Plan gegen Dänemark lebhaft. Er hatte den Krieg fest beschlossen. Um aber den Bruch in aller Form des Rechts zu vollziehen und die Dinge so zu drehen, als ob die Halsstarrigkeit der Dänen ihn zum Kriege gezwungen hätte, schlug er die Abhaltung eines Kongresses in Berlin vor. Dort sollten die Gesandten beider Parteien unter preußischer Vermittlung ihre Zwistigkeiten zu schlichten suchen. Saldern128-3, der Bevollmächtigte des Zaren, war beauftragt, von den Dänen die Herausgabe von ganz Holstein zu fordern, da es ehemals den Vorfahren Seiner Kaiserlichen Majestät gehört habe. Der Zar war über<129>zeugt, die Dänen würden nie in so schimpfliche Bedingungen willigen, und unter diesem Vorwand wollte er ihnen den Krieg erklären. 60 000 Russen, zu denen noch 6 000 Preußen stoßen sollten, waren zu diesem Kriegszuge bestimmt.

Der König von Dänemark129-1, der das Ungewitter aufziehen und über sich hereinbrechen sah, hatte den Oberbefehl über seine Truppen einem Offizier von Ruf, St. Germain, anvertraut. Der war eben wegen Mißhelligkeiten mit Broglie aus französischen Diensten getreten. Nun aber stand St. Germain an der Spitze einer ganz undisziplinierten Armee, die keine zum Kommandieren befähigten Generale, keine Ingenieure, Artilleristen, keine Provianttrains, kurz, nichts besaß. Er allein wußte all diese Mängel zu beheben. Da die Kriegskasse schlecht versehen war, brandschatzte er Hamburg, das ihm die nötigen Summen gab. Die dänischen Minister entschuldigten dies seltsame Vorgehen mit der Not, die kein Gebot kennt. Dann rückte St. Germain auf Lübeck, um es sofort nach der Kriegserklärung zu besetzen. Um den Kriegsschauplatz noch weiter von den Grenzen seines Gebieters zu entfernen, drang er auch mit einem Teil seiner Truppen in Mecklenburg ein und lagerte sich zwischen Sümpfen und Teichen in einer vorteilhaften Stellung. Dort hätte er den Russen wahrscheinlich den Einmarsch in Holstein eine Zeitlang verwehren können. Verlassen wir ihn hier mitten in seinen Vorbereitungen. Eine ausführlichere Beschreibung wäre überflüssig, da der von Dänemark mit Recht so sehr gefürchtete Krieg garnicht zum Ausbruch kam und eine neue Umwälzung in Petersburg alles umwarf.

Von allen europäischen Mächten war Österreich am meisten über die Ereignisse in Rußland bestürzt. Nie war die Kaiserin-Königin hoffnungsfroher gewesen als am Ende des letzten Feldzuges. Alles verkündete ihr den Untergang Preußens, die Eroberung Schlesiens und die Erfüllung all ihrer Plane. Ihre Überzeugung war so stark, ihre Zuversicht so vollkommen, daß sie den Krieg auch bei Entlassung eines Teils ihrer Truppen beendigen zu können glaubte. Indessen erwies sich die befohlene Entlassung von 20 000 Mann als sehr übel angebrachte Sparsamkeit. Denn gerade jetzt starb die Zarin Elisabeth, und kurz darauf trennte sich das Tschernyschewsche Korps von Laudons Armee und zog sich nach Polen zurück. Nun wollte der Wiener Hof die eben abgedankten 20 000 Mann wieder zusammenziehen, aber es war zu spät! Sie hatten sich schon in alle Welt zerstreut, und ein Ersatz war in so kurzer Zeit nicht zu beschaffen. Dann kam die Nachricht von dem Friedensschluß zwischen Preußen und Rußland, bald darauf auch die von dem Allianzvertrag zwischen beiden Mächten und schließlich die Kunde von der Vereinigung des Tschernyschewschen Korps mit der Armee des Königs. Um das Maß des Unglücks voll zu machen, richtete eine ansteckende Krankheit in der Laudonschen Armee große Verheerungen an. Es war eine Art Aussatz, der sehr schnell um sich griff, das Lager<130> leerte und die Lazarette füllte. Rechnet man alles kurz zusammen, so ergibt sich folgendes Resultat: 20 000 Mann entlassene Österreicher und 20 000 Russen weniger, folglich eine Verminderung um 40 000 Mann, und die Vermehrung der Armee des Königs um 20 000 Russen, somit ein Unterschied von 60 000 Mann zugunsten der Preußen. Selbst der Gewinn dreier siegreicher Schlachten hätte dem König keinen größeren Vorteil verschafft.

Der Tod der Kaiserin von Rußland und die dadurch hervorgerufene neue politische Konstellation Europas machten einen ganz entgegengesetzten Eindruck auf die Türkei. So viele schnelle Veränderungen, der glühende Haß zwischen den Staaten und sein plötzlicher Umschlag in enge Freundschaft zwischen den Herrschern, all das war der orientalischen Staatsweisheit unbegreiflich und erfüllte die Türken mit Staunen und Mißtrauen. Man muß gestehen, sie hatten einigen Grund dazu. Noch eben hatte der preußische Gesandte sie zu einem Bruch mit Rußland gedrängt, und auf einmal änderte er seine Sprache, bot ihnen die Vermittlung seines Königs zur Schlichtung einiger Grenzstreitigkeiten zwischen ihnen und dem Petersburger Hofe an und beharrte nur noch auf dem Bruch des Waffenstillstands mit der Kaiserin-Königin. Die Türken mußten daraus folgenden Schluß ziehen: Die Preußen sind sicher das unbeständigste und flatterhafteste Volk der Welt! Gestern wollten sie uns mit den Russen entzweien, und heute wollen sie uns mit ihnen versöhnen. Reizen sie uns heute zu einer Kriegserklärung gegen die Königin von Ungarn, wer steht uns dann dafür, daß sie nicht selbst in sechs Monaten mit ihr im Bunde sind, wie jetzt mit Rußland? Hüten wir uns also, allzu schnell auf ihre Vorschläge einzugehen. Sonst werden wir durch unsere Bereitwilligkeit zum Spielball preußischer Unbeständigkeit und zum Spott von ganz Europa.

Hiermit aber noch nicht genug. Voller Mißtrauen vernahmen sie nun gar noch von dem Bündnis Preußens mit Rußland. Um ihren Argwohn zu zerstreuen, bot der König seine Vermittlung an, und es gelang ihm auch, die Zwistigkeiten des Tartaren-Khans mit den Russen wegen des Forts St. Anna130-1 beizulegen. Außerdem bewog der König den Zaren Peter III. zu der Erklärung in Konstantinopel, daß er sich in keiner Weise in Streitigkeiten zwischen der Pforte und Österreich mischen werde, und daß die Kaiserin-Königin, falls die Türken ihr den Krieg erklärten, von Rußland keine Hilfe zu erwarten habe. Diese förmliche Erklärung machte bei den Türken großen Eindruck. Selbst der Großherr schwankte und hätte allem Anschein nach einen entscheidenden Entschluß gefaßt, wenn nicht neue Revolutionen, über die wir seinerzeit berichten werden, seine Unsicherheit und sein Mißtrauen wieder geweckt hätten.<131> Hält man alles zusammen, so sieht man Preußen am Ende des letzten Feldzuges dem Untergang nahe. Nach der Meinung aller Staatsmänner ist es bereits verloren, erhebt sich aber wieder durch den Tod einer Frau und behauptet sich durch den Beistand der Macht, die am eifrigsten an seinem Sturze gearbeitet hatte. So rettete Frau Masham Frankreich im Spanischen Erbfolgekrieg durch ihre Ränke gegen Mylady Marlborough131-1. Wovon hängen doch menschliche Dinge ab! Die unbedeutendsten Triebfedern bestimmen und ändern das Schicksal der Reiche. So groß ist das Spiel des Zufalls. Er spottet der eitlen Klugheit der Sterblichen, erhebt die Hoffnungen der einen und zerstört die der anderen.


118-1 Nachdem Friedrich Ende September 1761 einen Holländer, Karl Adolf Boscamp, nach der Krim geschickt hatte, der die Tartaren zum Kriege gegen Rußland oder Österreich bestimmen sollte, erschien gegen Mitte November Mustapha Aga, der Leibarzt des Groß-Khans der Krimtartaren, Kerim Geray Khan Effendum, im Lager von Strehlen und bot die Unterstützung „mit einem Korps von 60 000 oder 80 000 Tartaren“ an, „wann der König mit der Armee sich etwas gegen Warschau näheren könnte“. Auf Wunsch des Khans begleitete ihn ein Offizier aus Friedrichs Umgebung, der Quartiermeister-Leutnant Freiherr Karl Alexander von der Goltz, zurück nach Bachtschisarai, der Residenz Kerims, um über den Feldzugsplan weitere Abrede zu treffen.

119-1 Vgl. S. 86.

119-2 Raghib Pascha.

119-3 Das Haupt der Geistlichkeit.

119-4 Der Belgrader Friede (1739) war in Form eines Waffenstillstandes auf 20 Jahre geschlossen und 1747 erneuert worden.

119-5 Der Sekretär und Dolmetscher des Khans, Jakub Aga, überbrachte im Dezember 1761 die Versicherung seines Herrn, daß die Tartaren im März 1762 gegen die Russen ins Feld ziehen würden.

120-1 Vgl. G. 85.

120-2 Der englische Unterhändler in Paris.

121-1 Abgeschlossen am 15. August 1761. Gleichzeitig trafen Frankreich und Spanien ein Abkommen, in dem sich Spanien verpflichtete, am 1. Mai 1762 den Krieg zu erklären, falls der Friede nicht zustande käme, und Frankreich versprach, vor Befriedigung der Beschwerden Spaniens gegen England nicht den Frieden zu unterzeichnen.

121-2 König Joseph I. war der Verbündete Englands.

122-1 John Stuart Graf Bute, seit November 1760 Mitglied des Geheimen Rates, seit März 1761 Staatssekretär für die nördlichen Angelegenheiten und seit dem 26. Mai 1762, als Nachfolger des Herzogs von Newcastle, Erster Lord des Schatzes. Am 5. Oktober 1761 nahm Pitt seine Entlassung als Staatssekretär der südlichen Angelegenheiten; ihm folgte Lord Egremont. Grenville folgte Bute als Staatssekretär der nördlichen Angelegenheiten. Der Herzog von Devonshire war 1756/57 Erster Lord des Schatzes, dann bis 1762 Lord-Oberkämmerer. Halifax war Erster Lord der Admiralität.

123-1 Die englische Kriegserklärung an Spanien erfolgte im Januar 1762.

123-2 Bute war zwar zur Weiterbezahlung der Subsidien bereit, lehnte aber die Erneuerung der Konvention ab, die beiden Kontrahenten verbot, einen Sonderfrieden zu schließen.

123-3 Vgl. dafür Bd. III, S. 119.

123-4 Am 6. Februar 1762.

123-5 Fürst Friedrich August, Bruder der Kaiserin Katharina, der Gemahlin Peters III.

124-1 Andreas Gudowitsch, Brigadier und Generaladjutant Peters III., traf am 20. Februar 1762 im Hauptquartier zu Breslau ein und hatte am 21. seine erste Audienz bei König Friedrich.

124-2 D. d. Breslau, 22. Februar 1762.

124-3 Vgl. im Anhang (Nr. 10) die eigenhändige Instruktion des Königs vom 7. Februar 1762 für den Legationsrat und Obersten Freiherrn Bernhard Wilhelm von der Goltz.

124-4 Durch Vertrag vom 1. April 1760 hatte der Wiener Hof den Russen die Erwerbung Ostpreußens bei Friedensschluß verheißen (vgl. Bd. III, S. 155).

124-5 Vgl. S. 101.

125-1 Gemeint sind die dem Hause Holstein-Gottorp von Dänemark vorenthaltenen Ansprüche auf Schleswig.

125-2 Hauptmann Graf Friedrich Wilhelm Karl Schwerin wurde Ende März 1762 mit einem Entwurf des Königs für den Friedensschluß nach Petersburg gesandt.

125-3 Am 13. März 1762 übersandte Goltz den ihm von Peter III. übergebenen Auszug aus einem Berichte Galizins vom 6. Februar. Danach hatte sich Bute gegen die Rückberufung der russischen Truppen erklärt, da König Friedrich dadurch zur Fortsetzung des Krieges ermutigt würde, und hatte von Opfern gesprochen, die Preußen für die Wiederherstellung des Friedens zu bringen habe. England wolle zwar den König von Preußen vor völligem Untergange retten, aber doch zu angemessenen Abtretungen nötigen.

127-1 Schreiben des Königs vom 1. Mai 1762.

127-2 Gemeint ist der Strelitzenaufstand von 1698.

127-3 Am 15. Mai 1762 (alten Stils). Der Wortlaut ist nicht genau.

128-1 Am 5. Mai 1762 wurde der Friede unterzeichnet, am 19. Juni das Bündnis geschlossen.

128-2 Schreiben der Königin Ulrike vom 2. und Antwort König Friedrichs vom 18. April 1762.

128-3 Kaspar von Saldern, holstein-gottorpischer Konferenzrat.

129-1 Friedrich V.

130-1 Kerim Gerai forderte die Zerstörung des Forts St. Anna und anderer russischer Festungsbauten an der Grenze.

131-1 Vgl. Bd. VII, S. 104.