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Hat der Knabe sein dreizehntes Jahr erreicht, so ist sein Studienkreis zu erweitern, und der Unterricht in Moral, Physik, Metaphysik, in den Elementen der Mathematik und besonders in der Befestigungslehre ist hinzuzufügen. Ich rede nicht von den Lehrern, die er für die Ausbildung des Körpers erhalten muß. Es versieht sich von selbst, daß er tanzen, fechten und reiten lernt. Es wäre gut, ihn die ganze militärische Stufenleiter durchlaufen zu lassen. Dann lernt er durch eigene Erfahrung, was der Dienst von einem jeden verlangt, und kann in vorgerückterem Alter alle in der Jugend erworbenen Detailkenntnisse nützlich verwerten.

Auf diese Weise wird der junge Prinz wie ein Privatmann, ohne Eitelkeit, ohne Prunk erzogen. Da er von klein auf an den Verkehr mit Offizieren gewöhnt ist, die nach seiner Thronbesteigung seine Generale werden, so nimmt er das Gefühl für Ehre und Redlichkeit, das besonders dem Waffenhandwerk eigen ist, durch seinen Umgang in sich auf. Für seine Ausgaben kann ihm eine mäßige Summe angewiesen werden, über die er selbst Buch führt. Er ist anzuhalten, Rechnung zu legen, in geregelten Verhältnissen zu leben und in allem, was er tut, Ordnung zu halten. Die Menschen handeln im kleinen fast immer so, wie sie im großen handeln würden, wenn sie ihre eigenen Herren wären: Trajan war der gleiche als Bürger wie als Kaiser. Vitellius, der Genosse Neros in seinen Ausschweifungen, war auch der lieberlichste Mensch auf dem Thron der Cäsaren. Aus diesen Gründen ist es notwendig, den jungen Prinzen in den Einzelheiten seiner Wirtschaft und seiner Haushaltung, seines Privatlebens und seiner Beschäftigung an den Fleiß und die Tugenden zu gewöhnen, die man von ihm erwartet, wenn er den Staat regieren soll. Die Gewohnheit besitzt Herrschermacht über die Menschen. Sie kann sie ebenso zum Guten wie zum Schlechten führen. Eines der Hauptverdienste richtiger Erziehung besieht darin, die Kinder an ihre Pflichten zu gewöhnen. Damit läßt sich der Mangel natürlicher Talente ersetzen — und was liegt den Völkern im Grunde daran, ob der Herrscher aus Gewohnheit oder aus guter natürlicher Anlage tüchtig regiert, wenn er nur seine Pflichten erfüllt?

Der Prinz muß das Französische beherrschen und sich so ausdrücken, wie man in der guten Gesellschaft spricht. Wünscht man, daß er Sprachen lerne, so ist Lateinisch und Polnisch für ihn wohl am nötigsten. Aber meiner Ansicht nach darf er mit diesem Studium nicht allzusehr ermüdet werden.

Nicht minder gut ist es, wenn er zur Aufmerksamkeit und Höflichkeit erzogen wird, zumal der Mangel an Höflichkeit den Fürsien mehr Feinde macht als der wirkliche Schaden, den sie stiften.

Je mehr der Prinz heranwächst, desto größere Freiheit muß er erhalten, damit er im Umgang mit aller Welt die Menschen kennen lernt und sie über die Staatsbeamten reden und urteilen hört. Nur auf eins ist zu achten: man muß verhindern, daß er viel in schlechter Gesellschaft verkehrt und sich mit anrüchigen Leuten von beflecktem Ruf und allzu liederlichen Sitten einläßt. . . .