<105>Natur, die getreue, nimmt immerdar
Wachsam all unsrer Bedürfnisse wahr
Bis zum Überfluß:
Erhebt zum Verlangen, was uns fehlt,
Erhebt zur Wonne und zum Genuß,
Was uns zu schaffen macht, was uns quält;
Gab uns der Liebe Lust, — die gleiche
Dem Bauern wie dem Kavalier;
Gab uns die Labe, die segensreiche,
Des Schlummers. Ihr verdanken wir
Die Lust, wenn uns in Dursiesqual
Ein Bächlein rauscht mit einem Mal:
O tiefer Trunk, so kühl und rein,
Köstlicher kann kein Nektar sein.
Verschmachten wir in Hundstagsglut,
Wie tut in dunkler Schatten Hut
Des Waldes frischer Odem gut.
Wohliger denn auf Daunendecken
Behagt's, auf weicher Wiesenau
In guter Ruh' sich hinzustrecken,
Zu träumen in des Sommers Blau.
Und denkt doch, welche Wunderschau
Uns stets im Morgenrot erblüht,
Wie da, kaum daß das Dunkel schwand,
Im Osten schon der Himmelsrand
In reinsten Purpurfarben glüht;
Droben verblassen die Gestirne,
Der Nebel steigt, die Bergesfirne
Erglüht im ersten zagen Strahl
Und schickt ein goldnes Licht zu Tal.
Der Morgenwind die Schwingen hebt
Und weckt die Blumen, und es lebt
Das Menschenherz zur Freude auf,
Und ob der neugebornen Welt,
In allen Tiefen lichterhellt,
Hebt sich der Sonne Siegeslauf.
Wo ist die Wunderkunst, sagt an,
So zaubermächtig ohnegleichen,
Die solche Wirkung je erreichen,
Die solche Schau uns bieten kann?