<106>Malt doch der Sonne Feierpracht,
Wenn ihr die Farben dafür wißt!
Graun,1 der der Töne Meister ist —
Das Lied der Sängerin der Nacht,
Das schlichte Gezwitscher der Waldvögelein,
Erweckt vom jungen Tagesschein —
Noch hat er es nicht nachgemacht!
So wird an Schönheit überglänzen
Ein junges Blut von fünfzehn Lenzen
All eure trefflich gemalten Gesichter;
Was hilft der Farbenschmelz, die Lichter,
Was ist mit eurem Schminken getan,
All eurem zierlichen Drum und Dran —
Mit der Natur ringt die Kunst vergebens!

Seht, da habt ihr die Freuden, die holden,
Eines von Unschuld umhegten Lebens.
Dünkt ihre Schlichtheit euch minder golden
Denn eure Spiele und prunkvollen Feste,
Wo alles gestutzt und geregelt aufs beste,
So wißt: man übernimmt sich nicht
An ihnen, dieweil sie so einfach, so schlicht;
Gleichen sie doch einem Bächlein seicht,
Des lichte Welle flink und leicht
Hinplätschert über den silbernen Sand;
Die Au verschönt es, die's durchfließt,
Und segnet weitum alles Land,
Wo alles grünt und blüht und sprießt.
Freilich mit stolzen Brücken kann's
Nicht eben großtun; noch gewann's
Der großen Ströme Amt und Ehr',
Stattliche Schisse zu tragen daher
Mit wehenden Bannern; noch bespült
Sein Wasser die Mauern der großen Städte,
Allwo sich's gar oft in seinem Bette
Von den guten Deutschen geärgert fühlt.
Nichts stört und verdrießt es, nichts hält es auf,
So ist denn gar eben und grade sein Lauf.


1 Karl Heinrich Graun, Komponist und Kapellmeister des Königs.