10205. AN DEN ETATSMINISTER GRAF FINCKENSTEIN IN BERLIN.

Kloster Grüssau, 12. August 1758.

. . . Ich habe inzwischen mit grossem Leidwesen ersehen, wie gar ohnverschämt sowohl die französische holländische Zeitungsschreiber und andere aus denen Wiener Nachrichten von so vielen über Sr. Königl. Majestät Truppen erhaltenen Vortheilen s[alva] v[enia] gelogen und Affaires erdichtet haben, davon gar nichts existiret hat oder aber die sehr zur Désavantage derer Oesterreicher ausgefallen seind, und was vor übele Impression solches auf das Publicum in Ermangelung besserer und wahrer Nachrichten von uns, von deren Detail sich niemand derer unsrigen chargiren wollen, des Königs Majestät aber ohnmöglich die Zeit gehabt, davon etwas aufsetzen zu lassen, gemachet hat. Ew. Excellenz werden inzwischen ein Échantillon davon sehen, wann Dieselbe nur einliegende Relation von dem, was den 11. Juli wegen der Affaire mit dem Generallieutenant von Retzow vorgefallen,167-1 mit dem, was man davon auf eine recht ohnverschämte Art nach denen Wiener Nachrichten in einigen Zeitungen gesetzet, conferiren wollen. Ich kann Ew. Excellenz auf meine Ehre davor repondiren, dass in der Anlage nicht ein ohnwahres Wort gesetzet, noch das geringste brodiret, sondern alles von einem recht tüchtigen und ehrliebenden Officier, der selbst dabei<168> gewesen und alles mit grosser Attention observiret hat, zu meiner Nachricht aufgesetzet worden. Vernünftige österreichsche Officiers schämen sich selbst davor, dass man in denen Wiener Nachrichten so sehr fausse und impudente Sachen publiciret hat, von welchen vernünftige Leute in Wien selbst erkennen, was sie glauben sollen, und die deshalb nach einigen Briefen, so ich selbst gesehen, den General Laudon unter dem Charakter des grossprahlerichten qualificiren.

Ich thue nunmehro den dritten Krieg mit, ich muss aber gestehen, dass in allen ich noch niemalen einen so ruhigen Marsch gesehen, da der Feind sich stets in einer gewissen Entfernung gehalten und, wenn er es ein oder zweimal probiret hat, was zu tentiren, so sehr schlecht darunter reussiret, als denn von Smirschitz in Mähren bis hieher. Wie dann auch der Wahrheit nach in Mähren nichts zur Avantage des Feindes in allen Rencontres und kleinen Affairen vorgefallen ist, ausser was mit dem General Meier vom Baireuther Regiment168-1 durch sein starkes Versehen, davon gleichfalls einiges Detail beilege,168-2 ferner mit dem zweiten Convoi bei Domstädtel und dann die Nacht vor unserem Aufbruch von Königgrätz durch ein recht sehr grobes Versehen des Generalmajor von Saldern, der auch darüber verloren worden,168-3 ohne dass man noch bis diese Stunde weiss, wo er eigentlich geblieben, geschehen ist, so aber doch auch bei weitem nicht so und von der Importance gewesen, als es in denen Wiener Nachrichten debitiret werden wollen. Bei dem ganzen nachherigen Marsch aus Mähren und so weiter hieher seind des Königs Majestät allemal bei der Arrièregarde gebheben und haben solche sage Dispositions gemachet, die Freund und Feind admiriren müssen, und [wobei] letztere sich nicht unterstehen dörfen, das geringste zu entamiren, so dass ich der Wahrheit nach sagen kann, dass auch nicht ein Marketenderkarren verloren gegangen, woferne dergleichen sich nicht wider die Ordres abwärts in Dörfer zum plündern muthwillig gemachet hat. Der in den Wiener Nachrichten vorgegebene schleunige und precipitirete Abmarsch des Königes seit der aufgehobenen Belagerung von Olmütz dementiret sich von selbst, da jedermann jetzo weiss, dass des Königs Majestät die ganze Zeit her keine stärkere Märsche als täglich von ein bis zwei Meilen und zuweilen nur von einer halben Meile, sehr selten aber von drei Meilen gethan und um den zweiten oder dritten Tag Ruhetag gehalten haben, auch an den mehristen Orten wegen Ihrer zu nehmenden Arrangements zur Versorgung derer Armee zwei, drei und mehr Tage stehen geblieben seind, davon dann die mährischen und böhmischen Feldmarken, so auf dem Marsch betroffen und zur Subsistance der Armee fouragiret worden, redende Zeugen seind; ohne dass<169> der Feind, so uns allemal in einer gewissen, obschon sehr entfernten Distance gefolget ist, sich unterstanden, eine Fouragirung zu behindern oder zu troubliren.

Ew. Excellenz wollen nicht ungnädig nehmen, wenn ich mich über diesen Articul etwas etendiret habe, so bloss aus Respect vor die Wahrheit und um Ew. Excelleuz nur einigermassen davon zu informiren, geschehen ist, da es scheinet, als ob man sowohl österreichscher als russischund französischerseits ein Concert genommen habe, dasjenige durch Gasconnaden und Unwahrheiten zu suppliren, was man, gottlob! nicht ausrichten können, um nur einige Opinion von sich bei dem Publico zu machen. Ich hoffe, bei meinem jetzigen Otio Ew. Excellenz nächstens mehrere wahre Details von dem, was mit obgedachtem Convoi und bei der Saldern'schen Affaire bei Königgrätz vorgefallen, communiciren zu können, auch einiges Detail, was währender Belagerung von Olmütz täglich vorgegangen, zu schicken. Zu Dero Wohlwollen und gnädigen Andenken ich mich respectuosest empfehle.

Eichel.

P. S.

Von der österreichschen grossen Armee wissen wir noch weiter nichts, als dass solche noch in ihrem letzteren Lager in Böhmen stehen und 12 Bataillons nach der Lausnitz detachiret haben soll, um sich mit dem sächsischen Prinz Karl, wann er mit einem Corps Russen dahin kommen wird, zu conjungiren,169-1 welches aber, ob Gott will! aus Ew. Excellenz bekannten Ursachen nicht reussiren wird.

Auszug aus der Ausfertigung.



167-1 Eine Darstellung des Gefechts, beginnend „Den 11. Juli vormittags marschirte der Generallieutenant von Retzow“ , schliessend „ohne von dem Convoi das geringste verloren zu haben“ . Zur Sache vergl. S. 101. 108.

168-1 Vergl. S. 68—73 und S. 106.

168-2 Eine Darstellung des Ueberfalls des Baireuther Dragonerregiments, beginnend: „Am 16. Juni erhielt der Generalmajor Meier die Nachricht“ , schliessend: „und vermissten 273 Mann, 426 Pferde“ .

168-3 Vergl. S. 155; vergl. auch weiter unten in der Relation Nr. 10232.

169-1 Vergl. S. 151.