<126>Mit seinem Geist und Wesen, wie sollten Götter dann
Ihr Werk drum strafen wollen, weil noch gar viel daran
Des Unvollkommnen bliebe? Dergleichen anzunehmen,
Kann mein vernünftig Denken sich nimmermehr bequemen.

Wär' wohl ein Vater denkbar von väterlicher Art,
Dabei so ganz verschroben, so seelenroh und hart,
Daß grausam er bestrafte der eigenen Lenden Sproß,
Weil seines Neugebornen Mißbildung ihn verdroß?
Es reizt wohl ein Mißratner des eignen Vaters Grimm
Und macht dem Alten Kummer, da trifft sein Zorn ihn schlimm;
Allein was tut den Göttern all unser Aufbegehren?
Was könnte je der Sel'gen ewig Behagen stören?

Vermeßne Menschenhoffart, die alle Schranken bricht —
Bis an die Thronesstufen der Allmacht reicht sie nicht!
Ihr trutzigen Giganten, ei stürmt nur dreist zuhauf,
Packt auf den Ossagipfel den hohen Pelion drauf,
Kommt an in Wehr und Waffen! Was gilt's? Den ihr berennt,
Der Thron des Weltgebieters kein leises Wanken kennt.
Und er, an dessen Größe kein Hauch der Kränkung reicht,
Er sollt' auf Strafe sinnen? Wie sollt' ein Gott so leicht,
Der ohne Leidenschaften, in Zorn und Grimm geraten?
Ich kenn' nur seine Güte, nur seine Segenstaten.
Nein, einer nur beleidigt die Hoheit des Allmächt'gen:
Wer ihn als zornesmütig der Menschheit will verdächt'gen.

Nein, lieber Keith, dies Wesen, das keiner deuten kann,
Genannt die Menschenseele, das dann ein Welttyrann
Nach dieses Leibes Tode noch züchtigt, dieses Ich,
Das gar keins ist, dies Etwas, höchst abenteuerlich —
Vor der Naturerkenntnis schwindet's in Nichts dahin;
Mag all die Ammenmärchen des Volkes stumpfer Sinn
Noch treu in Ehren halten, laß uns auf ja und nein
Das Wunderding betrachten, wieviel daran mag sein.

Hochheilige, dich ruf' ich, Herrin Urania,
Deute des Werdens Wunder, sei meinem Geiste nah:
O wär' er doch begnadet, auf kühnen Feuerschwingen
In deine reinste Helle zum Wahrheitschaun zu dringen!