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Anhang

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1. Zur Charakteristik König Friedrich Wilhelms I.225-1

Man erwarte hier keine Darstellung eines Herrschers, den die Wahrzeichen des Stolzes und der Eitelkeit umgeben, keinen unruhigen, abenteuerlustigen Geist, dessen ungestüme Leidenschaften so weit um sich greifen, als die Macht der Ränke reicht. Das Leben eines Numa ist es, was ich schreibe, ein Leben ohne Überraschungen, ohne irgend etwas von dem, was den Ehrsüchtigen erstaunlich dünken könnte, ohne eine jener glanzvollen Taten, die ans Wunderbare grenzen. Wohl aber werden die Kenner des wahren Verdienstes hier Tugenden finden, die weit über alle Taten der Welteroberer zu setzen sind. Denn der Gesetzgeber hat bei all seinem Handeln die öffentliche Wohlfahrt im Auge, während der Eroberer einzig nach Ruhm lechzt. Dieser ist wie ein wütender Gießbach, der überschwillt und das Land ringsum verwüstet, jener ein wohltätiger Strom, dessen Fluten die Wiesen bewässern und Fruchtbarkelt und Überfluß verbreiten. Haben die Helden Hindernisse zu überwinden und Feinde zu besiegen, welcher Standhaftigkeit bedürfen dann erst die Neuordner der Staaten, um den Menschen die Wohltaten aufzuzwingen, die sie ihnen zugedacht haben! Wie schwer ist es, sie den nützlichen Neuerungen gefügig zu machen und ruhig den Weg zu gehen, auf dem man sie führen will! Findet schon Heldengröße Bewunderung, wieviel mehr gehört Weite des Blickes, wägender Sinn, Weisheit und Kombinationsgabe zum Plan jener wohltätigen Schöpfer! Gefällt sich der menschliche Geist in der Aufzählung der zerstörten Städte und Reiche, wie sollte er so verkehrt sein, nicht mit Freuden zu sehen, wie Städte und Dörfer erbaut und bevölkert werden und ganze Reiche erstehen? Des Gesetzgebers Geist muß umfassender sein als der des Eroberers, sein geistiger Mut größer als die Tapferkeit jenes. Überhaupt muß er reinere und für das Wohl der Menschheit ersprießlichere Absichten hegen. Der König hat so tiefe Spuren seines weisen Wirkens in seinem Lande hinterlassen, daß sie bleiben werden, solange der preußische Staat besteht.

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2. Betrachtungen über den gegenwärtigen politischen Zustand Europas (1738)226-1

Nie haben die öffentlichen Angelegenheiten die Aufmerksamkeit Europas mehr verdient als gegenwärtig. Nach großen Kriegen ändert sich die Lage der Staaten, und mit ihr wechseln die politischen Gesichtspunkte. Neue Projekte tauchen auf, neue Bündnisse werden geschlossen, und ein jeder trifft für sich die Maßregeln, die ihm zur Ausführung seiner ehrgeizigen Pläne am vorteilhaftesten scheinen.

Steht es der Wißbegier eines denkenden Menschen an, in die Geheimnisse der Herzen einzudringen, ihre Abgründe zu erforschen und die Ursachen aus den Wirkungen zu erschließen, so muß auch jeder Herrscher, mag er in Europa eine noch so bescheidene Rolle spielen, ein Auge auf die Haltung der Höfe haben. Er muß die wahren Interessen der Staaten kennen und durch seine Voraussicht der Staatskunst der Minister gleichsam die Pläne ablisten, die ihre Klugheit entwirft und die ihre Verstellungskunst den Augen der Welt verhüllt.

Ein geschickter Mechaniker wird sich nicht mit der äußerlichen Betrachtung einer Uhr begnügen. Er wird sie öffnen, ihre Hebel und Federn prüfen. So sucht auch ein geschickter Staatsmann die bleibenden Grundsätze der Höfe zu erfahren, die Trieb<227>federn der Politik jedes Herrschers, die Quellen der Geschehnisse zu erforschen. Er überläßt nichts dem Zufall. Sein scharfblickender Geist sieht die Zukunft voraus und dringt durch die Verkettung der Ursachen bis zu den fernsten Zeitaltern vor. Kurz, es ist klug, alles zu ergründen, damit man alles beurteilen, allem vorbeugen kann.

Angesichts der Lethargie mehrerer europäischer Fürsten halte ich eine Darlegung unseres gegenwärtigen politischen Zustandes nicht für unangebracht. Nicht als ob ich mir einbildete, aufgeklärter zu sein als eine große Zahl von Ministern, deren umfassende Kenntnisse und lange Erfahrung in den Geschäften stets Gegenstand meiner Achtung bleiben und meiner schwachen Einsicht unendlich überlegen sein werden. Ich will vielmehr einfach meine Gedanken der Öffentlichkeit mitteilen und diese dadurch bereichern. Wird meine Betrachtung für richtig befunden, so mag man sie benutzen: weiter verlange ich nichts. Ist sie unlogisch oder falsch, so braucht man sie nur zuverwerfen. Ich habe dann wenigstens meine Freude an ihrer Niederschrift gehabt.

Um von den jetzigen Vorgängen in Europa eine rechte Vorstellung zu bekommen, muß man die Dinge von einer höheren Warte betrachten und bis zur Quelle der Geschehnisse vordringen.

Am Schlusse des Feldzugs von 1735 begannen die Unterhandlungen zwischen den Höfen von Wien und Versailles227-1. Die Kriegsoperationen wurden eingestellt und die Interessen beider Höfe nicht mehr mit dem Degen, sondern mit der Feder verfochten. Spanien und Sardinien traten den Abmachungen nicht sofort bei. Es verdient betont zu werden, daß Spanien sie erst nach Chauvelins Sturz227-2 unterzeichnete.

Am Rhein wurde der Krieg mit viel weniger Nachdruck geführt als in Italien. Der Kaiser hatte den Reichsständen die Kriegserklärung gegen Frankreich, die sie 1734 in Regensburg erließen227-3, gewissermaßen abgepreßt. Die polnische Königswahl wurde durch die Truppen gestört, die an der schlesischen Grenze zum Einmarsch in Polen bereit standen. Das hatte eine Spaltung unter den Woywoden und Bischöfen hervorgerufen, wennschon die überwiegende Mehrzahl für Stanislaus Leszczynski eintrat. Diese Wirren gingen die deutschen Fürsten nicht das mindeste an. Der Kaiser hatte sich durch einen Geheimvertrag mit Sachsen und Rußland ziemlich leichtfertig verpflichtet, August III. auf den Thron des polnischen Wahlreichs zu setzen. Seine Minister hatten die Folgen dieses Schrittes wohl nicht recht vorausgesehen und trotz Prinz Eugens Warnung auf den friedlichen Charakter des Kadinal-Ministers227-4 gebaut. So wurde ihr Gebieter höchst unbedacht in eine Sache von derartiger Tragweite verstrickt. Er hatte sich mit Rußland allein, ohne Teilnahme des Reiches, in die polnischen Wirren eingemischt, hätte sich also auch allein aus ihnen herausziehen müssen.

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Andrerseits hatte sich Frankreich seit dem Tode des Regenten228-1 mit denkbar größter Umsicht aus der inneren Zerrüttung wieder emporgearbeitet, und zwar mit solchem Erfolge, daß die Finanzen des Königs nun in der schönsten Ordnung von der Welt, seine Magazine mit allem Nötigen gefüllt und seine Truppen im allerbesten Zustande waren. Zu all diesen Errungenschaften kam Frankreichs höchst vorteilhafte politische Lage, sodaß es aus allem, was geschah, Vorteil zu ziehen vermochte.

Augusts II. Tod lieferte dem Versailler Hof einen Scheingrund zur Einmischung in die polnischen Angelegenheiten und zur Ausführung oder doch zu einem ersten Versuch zur Verwirklichung der großen Pläne, die die Staatskunst geboren und reiflich erwogen hatte. Frankreich unterließ nichts. Es bereitete die Ereignisse vor, rüstete sich zum erfolgreichen Handeln, schloß Bündnisse mit Spanien und Sardinien, bewog einige Reichsfürsten durch geheime Ränke zu einer Art von Neutralität und schläferte die Seemächte ein. Darauf veröffentlichte es ein Manifest über sein Verhalten und eröffnete den Krieg gegen den Kaiser. In gewisser Weise war dieser ja der Angreifer; denn er hatte die polnischen Wirren angezettelt, und seine Heere standen zum Eingreifen bereit, wenn er nicht selbst angefallen wurde.

Als der Kaiser sah, daß ihm von allen Seiten ein Angriff drohte, setzte er alle Hebel in Bewegung, um das Reich in sein Schicksal mit hineinzureißen. Die geschicktesten Unterhändler wurden vom Wiener Hofe in Tätigkeit gesetzt, um das Reich zur Kriegserklärung gegen Frankreich zu bringen. Des Kaisers Absicht ging erstens dahin, Hilfe vom Reich zu bekommen; zweitens wollte er Frankreichs Streitkräfte zersplittern, da sie ihn in Italien bereits angegriffen hatten und ihn dort auch unfehlbar niedergeworfen hätten. Beiläufig sei hier bemerkt: hätte sich das Reich nicht eingemischt, so hätte der Krieg schneller ein Ende gefunden. Der Kaiser hätte in Italien alles verloren, was die Alliierten eroberten, aber Lothringen hätte nicht vom Reichskörper abgetrennt werden können228-2, ohne daß neue Zwistigkeiten daraus entstanden und sozusagen ein neuer Weltbrand sich entzündete.

In Deutschland wurde der Krieg höchst lässig geführt, einmal, weil die Staatsklugheit den Versailler Hof bewog, die Seemächte nicht zu beunruhigen; denn diese hätten sicherlich die Partei des Kaisers ergriffen, wenn sie ihn dem Abgrund nahe sahen. Und zweitens fügte es sich durch eine Verkettung verschiedener Ursachen, zu denen in jedem ferneren Kriegsjahr neue hinzutraten, daß der Kaiser am Rhein nicht mit Nachdruck aufzutreten vermochte.

In Italien eroberten die Spanier das Königreich Neapel und Sizilien, während die Franzosen im Verein mit den piemontesischen Truppen das Mailändische und fast die ganze Lombardei in Besitz nahmen. Da die drei Kronen in ihrem Bündnis ausgemacht hatten, sich in den Raub der kaiserlichen Besitzungen in Italien zu teilen,<229> so gaben sie sich alle erdenkliche Mühe, ihre weitschauenden Pläne zur Ausführung zu bringen.

Ich behaupte aber dreist: der Hauptgrund für die glücklichen Erfolge der Alliierten war der schlechte Zustand, in dem sich alle Provinzen des Kaisers befanden. Der Sturz der größten Reiche hat stets die gleiche Ursache gehabt: nämlich ihre innere Schwäche. Der Verfall des Römischen Reiches war mit dem Augenblick besiegelt, wo die Ordnung unter den Truppen verloren ging, die Disziplin völlig daniederlag und die Vorkehrungen zur Sicherung des Staates, die die Klugheit diktierte, vernachlässigt wurden. Auch die Verluste des Kaisers in Italien hatten die gleiche Ursache. Er besaß keine Armee, um dem Feinde den Weg zu vertreten, keine Magazine und hinreichenden Besatzungen für die Festungen, keine geschickten Generale zu ihrer Verteidigung. Kurz, der Kaiser verlor in drei Feldzügen, was er im Verlaufe von acht Kriegsjahren gewonnen hatte.

Nun sollte man glauben, nach so vielen Niederlagen wäre es Sache des Kaisers gewesen, um Frieden zu bitten. Aber man irre sich nicht und lerne den friedfertigen und selbstlosen Geist des Kardinal-Ministers besser erkennen! Zur Ehre Frankreichs und zum Zeugnis seiner Mäßigung sei es gesagt: die lorbeergeschmückten Sieger bieten, von ihren Siegen offenbar erschöpft, dem Kaiser, ihrem besiegten Feinde, den Frieden an!

Vermutlich hat Villars sein System, wie man es in seinen Memoiren findet229-1, dem Kardinal mitgeteilt, und dieser hat die Ideen des großen Mannes übernommen und es sich zur Richtschnur gemacht, eine völlige, dauerhafte Einigung zwischen dem Kaiser und Frankreich herbeizuführen — nach dem Vorbild des Triumvirats zwischen Augustus, Antonius und Lepidus. Bekanntlich bildeten die Proskriptionen den Kitt jenes Triumvirats. So kommt auch Frankreich durch den ersten Artikel der Präliminarien in den Besitz des Herzogtums Lothringen, das vom Reich abgetrennt wird. Um Frieden zu schließen, nimmt der Kaiser seinem Schwiegersohn die Erblande. Das Opfer scheint groß genug, um als Gegenleistung eine entsprechende Erkenntlichkeit zu fordern. Doch um im Bilde zu bleiben: es ist anzunehmen, daß Frankreich mit der Zeit die Rolle des Augusius spielen wird.

Die einfache Feststellung der Vorgänge hätte wenig Zweck, wenn nicht einige Betrachtungen daran geknüpft würden, die sich aus dem Gegenstand von selbst ergeben. Zunächst sieht man auf seiten der Franzosen ein festgefügtes, gleichmäßiges, unabänderliches politisches System. Beim Abschluß des Utrechter Friedens (1713) war ihr Ziel die Wiederaufnahme des Krieges; nicht sofort, denn ihr Ansehen war dahin, ihre Finanzen waren erschöpft und die Ereignisse noch nicht zur gewünschten Reife gediehen. Nichtsdestoweniger gedachten sie den Augenblick zu erspähen, wo sie den Kaiser mit Vorteil angreifen konnten.

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Nun aber war die Welt von einem Vorurteil beherrscht, das Frankreichs Plänen ungemein hinderlich war. Dies ungünstige Vorurteil beruhte auf einem alten Irrtum, der mit der Zeit immer mehr Gewicht erlangt hatte. Man flüsterte es sich ins Ohr, Frankreich trachte nach der Weltmonarchie — worin man ihm freilich schweres Unrecht tat! Einzig und allein dieser Gedanke hatte alle großartigen Pläne Ludwigs XIV. gestört und nicht wenig zur Verminderung seiner Macht beigetragen. Ein so schädliches Vorurteil mußte notwendig ausgerottet, ja ganz aus dem Gedächtnis getilgt werden.

Frankreichs guter Stern oder, um im Stil der Priester zu reden, der Schutzengel, der über seine Vergrößerung wacht, kurz, alles trug zur Zerstörung jener Meinung bei, die Frankreichs Interessen so zuwiderlief. Ludwig XIV., vor dessen Ehrgeiz Europa so oft erbebt war, hatte seine ruhmreiche Laufbahn beschlossen, nachdem er am Ende seiner Regierung die Ungunst des Schicksals erfahren. Frankreich kam unter Vormundschaft, und die Schwäche des Monarchen steckte auch die Regierung an. Das Land erlitt alles Unheil, das mit vormundschaftlichen Regierungen unzertrennlich verknüpft ist. Der Regent war ein aufgeklärter Fürst und besaß alle gesellschaftlichen Vorzüge, alles, was das Glück des Bürgers ausmacht, aber nicht die Festigkeit, die für Die unerläßlich ist, denen die Zügel der Regierung anvertraut sind. Die Folge war die innere Zerrüttung des Staates durch die berüchtigten Lawschen Aktien230-1, die fast alle Privatleute ruinierten. Das Geld, das dadurch einkam, floß nur in die Kassen des Regenten und einiger Sekretäre von Law.

Nach dem Tode des Herzogs von Orleans übernahm der Herzog von Bourbon vorübergehend die Regierung, fand aber bald einen Nachfolger in Kardinal Fleury230-2. Der ergriff das Staatsruder mit sicherer Hand und stellte nicht allein die Finanzen und die innere Ordnung im Lande wieder her. Er tat noch mehr. Durch sein Geschick, seine geistige Schmiegsamkeit und seine scheinbar große Mäßigung erwarb er sich den Ruf eines gerechten, friedliebenden Ministers. Um die tiefe Weisheit seiner Haltung recht zu verstehen, muß man sich klarmachen, daß man durch nichts mehr das Vertrauen der Menschen gewinnt als durch einen hochherzigen, selbstlosen Charakter. Diesen Charakter spielte der Kardinal so gut, daß Europa, was sage ich? die ganze Welt ihn wirklich für das hielt, wofür er sich gab. Frankreichs Nachbarn schliefen friedlich neben einem so guten Nachbarn, und bei den Ministern, deren Staatskunst im höchsten Rufe stand, galt es als unwandelbarer Grundsatz, man könnte bei Lebzeiten des Kardinals, der von solchem Charakter und schon so bejahrt war, vor Frankreichs Unternehmungen sicher sein. Das war Fleurys Meisterstück, und insofern ist seine Staatskunst vielleicht der von Mazarin und Richelieu überlegen.

Nachdem der geschickte Minister seine Pläne so weit zur Reife gebracht hatte, trat er plötzlich mit ihnen hervor. Das Manifest des Allerchristlichsten Königs fußte zwar<231> noch auf dem tiefen Einbruch den der biedere Charakter des Kardinals auf die Gemüter gemacht hatte. Es hieß darin im wesentlichen: „Nicht aus eigennützigen oder ehrgeizigen Absichten griffe der König zu den Waffen. Seine Majestät begnügte sich mit dem Besitz eines blühenden Reiches und mit der Herrschaft über ein treues Volk, und es läge nicht in seiner Absicht, die Grenzen seines Staates zu erweitern.“ Trotzdem zeigte es sich in der Folge, daß Seine Majestät sich lediglich aus Friedensliebe bestimmen ließ, Lothringen anzunehmen und Deutschland von einer Provinz zu befreien, die allerdings seit unvordenklichen Zeiten zum Reiche gehört hatte, ihm aber wegen ihrer unbequemen, isolierten Lage lästig geworden war. Überdies mußte Lothringen, um den Frieden fest zu begründen, notwendig zugunsten Frankreichs geräumt werden, da es sonst zum steten Zankapfel hätte werden können. Außerdem mußte Frankreich eine Kriegsentschädigung erhalten. Aus alledem geht deutlich hervor, daß der König die positiven Zusicherungen seines Manifestes restlos erfüllt hat.

Prüft man Spaniens Verhalten mit gleicher Aufmerksamkeit, so erkennt man, daß der Wiener oder der Erbfolgevertrag231-1 kein dauerhaftes Werk war, und daß der König von Spanien den Erbansprüchen auf die italienischen Staaten nur so weit entsagte, als er auf ihre Durchführung nicht hoffen konnte.

Ich behaupte nichts, was ich nicht zu beweisen vermag. Der berüchtigte Vertrag von Sevilla zwischen Spanien und England231-2 enthüllt Spaniens Absichten ziemlich deutlich. Er genügt zu dem bündigen Nachweis, daß alle Eroberungen in Italien nur die Folge von unwandelbaren Grundsätzen sind, die die spanische Krone als Basis ihrer Politik ansieht. Man glaube ja nicht, ich zöge den Vertrag von Sevilla hier an den Haaren herbei! Es bedarf nur einiger Überlegung, um Spaniens Absichten durch ihn wie durch einen Gazeschleier zu erkennen.

Die Invasionspolitik hat den Grundsatz, daß der erste Schritt zur Eroberung eines Landes darin besieht, zunächst in ihm Fuß zu fassen: das ist das Schwerste. Alles weitere entscheidet das Waffenglück und das Recht des Stärkeren.

Unter welchem Vorwand hätte Spanien nun Truppen in Italien einrücken lassen können, hätte der Vertrag von Sevilla ihm nicht sein Vorgehen erleichtert? Wie konnte es ohne Truppen an die Eroberung der Lombardei, des Herzogtums Mantua und der Königreiche Neapel und Sizilien denken? Es galt also, Fuß im Lande zu fassen und Truppen darin zu haben, die je nach den Umständen vermehrt werden konnten. Es bedurfte fester Plätze für die Magazins. Zu alledem war der Vertrag<232> von Sevilla die unumgängliche Vorbedingung. Spanien hatte bei dessen Abschluß also gut an seine Interessen gedacht, und wie man sieht, waren seine Absichten nicht so eng begrenzt, wie man hätte glauben können. Ich hatte also recht, bei der Prüfung von Spaniens Benehmen den Vertrag von Sevilla nicht mit Stillschweigen zu übergehen.

Nun habe ich noch das Verhalten des kaiserlichen Hofes darzustellen. Wie man schon bemerkt haben wird, griff man in Wien mit großem Vertrauen auf die eigenen Kräfte in die polnischen Wirren ein, obwohl man so tat, als wolle man sich garnicht einmischen232-1. Ebenso wird man bemerkt haben, mit welch unerträglichem Hochmut der Wiener Hof nicht allein gegen die ihm untergeordneten Fürsten, sondern auch gegen Gleichstehende auftritt. Man wird leicht erkennen, daß das Ziel seiner Politik die Aufrichtung des Despotismus und der unumschränkten Herrschaft des Hauses Österreich in Deutschland ist, ein schwieriges Unterfangen, da viele mächtige Kurfürsten sich nicht so leicht erniedrigen lassen werden. In abergläubischen Vorurteilen befangen und durch vermessenen Hochmut angespornt, hat das Haus Österreich trotzdem die deutschen Fürsten stets an sein Joch zu gewöhnen versucht. An diesem Plan arbeiten die Minister; er ist ein Erbstück des Kaiserhauses, und die ebenso unwissenden wie abergläubischen Herrscher jagen in eitlem Ehrgeiz einem Phantom nach, das sie bei der Ungerechtigkeit der Sache verabscheuen sollten.

Wir brauchen nicht erst auf die Zeiten Kaiser Ferdinands I. und Ferdinands II. zurückzugreifen, um Zeugnisse für den maßlosen Ehrgeiz des Wiener Hofes zu finden. Vier Ereignisse aus unseren Tagen werden einen hübschen Kommentar bilden.

Erstens ist hervorzuheben, daß der Kaiser ohne Vorwissen des Reiches ein Bündnis mit der Kaiserin von Rußland geschlossen hat, um August III. auf den polnischen Thron zu setzen. Der Krieg, zu dem dies Bündnis führte, mußte also vom Kaiser allein ausgefochten werden und nicht vom Reiche, das an seinen Schritten gar nicht beteiligt war. Trotzdem fand der Wiener Hof, wie man gesehen hat, durch seine Umtriebe Mittel und Wege, das Reich in den Krieg hineinzuziehen, der direkt nur die Kaiserin von Rußland anging. Darin hat Karl VI. also offenkundig gegen Artikel IV seiner Wahlkapitulation232-2 verstoßen.

Zweitens hat sich der Kaiser an Artikel VI dieser Kapitulation vergangen, indem er gegen die Grundgesetze des Reiches Hilfstruppen fremder Mächte nach Deutschland gerufen hat, da ihm die russische Kaiserin ein Korps von 10 000 Mann an den Rhein sandte.

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Drittens wird man sehen, daß der mit Frankreich geschlossene Vertrag, dessen Präliminarien ohne Bestätigung des Reichs unterzeichnet wurden (1735), gegen Artikel VI der kaiserlichen Kapitulation verstößt.

Viertens hat der Kaiser gegen Artikel X seiner Kapitulation gesündigt, indem er das Herzogtum Lothringen, ein Reichslehen, veräußert hat, das nach den Grundgesetzen des Reiches ohne ausdrückliche Zustimmung des Reichstages und der Reichsstände nicht vom Reichskörper getrennt und veräußert werden durfte.

Schließlich könnte man dem Kaiser noch vorwerfen, daß er den Türken den Krieg erklärt und dafür vom Reich Subsidien gefordert hat233-1. Doch das würde mich zu tief in Einzelheiten führen, zumal ich noch einige wichtigere Betrachtungen anzustellen habe.

Wir haben bis jetzt die Ursachen aus ihren Wirkungen beurteilt. Es bleibt uns noch ein Urteil über die vorauszusehenden Ereignisse, deren Ursachen wir durchschauen können.

Es handelt sich nicht einfach darum, die Geheimnisse der Politik zu ergründen und den profanen Blick in das Heiligtum der Minister dringen zu lassen. Man muß auch die verschiedenen Wege beachten, die die Minister einschlagen, um ihr Ziel zu erreichen. Nichts läßt den Charakter der Höfe besser erkennen als der Einblick in die verschiedenen Methoden, mit denen ihre Staatskunst den gleichen Gegenstand behandelt. Ihre Leidenschaften, Listen und Ränke, ihre Laster und guten Eigenschaften — alles tritt dabei zutage.

Um die kaiserlichen und die französischen Minister recht zu beurteilen, wollen wir eine Parallele zwischen ihnen ziehen und zunächst betrachten, welche verschiedenen Wege sie in der polnischen Frage einschlugen. Das ist ein Sittenspiegel, der für große Männer, die ihn zu gebrauchen wissen, von nicht geringem Nutzen sein wird.

Gemäß seinem Bündnis mit Rußland mußte der Kaiser die polnische Krone dem Kurfürsten August von Sachsen aufsetzen. Um das zu erreichen, fiel ihm kein besseres Mittel ein als die Anwendung von Gewalt. Seine Heere standen an der polnischen Grenze, indes die Russen ins Gebiet der Republik Polen einfielen und bis dicht vor Warschau rückten. So wußte man in Wien also nichts Besseres als Gewalttat, um August die Bahn zum Thron der Sarmaten freizumachen.

Das französische Ministerium war humaner, aber auch schlauer. Es dachte anders und benutzte nur die Macht eines verführerischeren Metalles, um Stanislaus zur Krone zu verhelfen. Der kaiserliche Gesandte in Warschau brach in Drohungen aus, der französische wandte nur schmeichelnde Worte und Artigkeiten an. Jener wollte die Geister einschüchtern, dieser sie durch Sanftmut bestricken. Jener fiel wie ein wütender Löwe über seine Beute her, dieser bezauberte alle, die ihm nahten, mit<234> Sirenentönen. Kurz, die Franzosen gewannen durch ihre Ränke und Kunstgriffe die Herzen, während die Kaiserlichen die Feiglinge erschreckten. Da es in Polen jedoch weit mehr Memmen gibt als Leute, die über Furcht erhaben sind, so nimmt es nicht wunder, daß Stanislaus unterlag.

Gleichwohl wollen wir denen nicht allzusehr mißtrauen, die zur Ausführung ihrer Pläne nur Mittel gebrauchen, die Hochmut und Dünkel ihnen einblasen. Sie schaden sich selbst, indem sie Haß erregen. Ihre Gewalttätigkeit ist ein Gegenmittel gegen das Gift, das ihre ehrgeizigen Pläne mitteilen könnten. Mißtrauen wir vielmehr denen, die uns durch heimliche Ränke, schmeichlerisches Wesen, gespielte Sanftmut in die Knechtschaft locken wollen. Sie werfen uns einen Angelhaken zu, dessen Eisen ein lockender Köder verbirgt. Läßt sich unsere Vorsicht dadurch täuschen, so haben wir unsere Freiheit verwirkt.

Fest steht, daß alles seinen Daseinsgrund haben muß und daß sich die Ursachen aller Ereignisse in früheren Ereignissen finden. So muß auch jedes politische Geschehnis die Folge eines vorhergegangenen sein, das ihm sozusagen zum Dasein verholfen hat. Suchen wir auf Grund dieses Gesetzes aus den jüngsten Begebenheiten und aus den weitschauenden Plänen des Wiener und Versailler Hofes auf das Schicksal zu schließen, das der enge Bund der beiden mächtigsten Fürsten Europas uns zu bereiten scheint.

Offenbar geht der Wiener Hof darauf aus, die Kaiserkrone im Haus Habsburg erblich zu machen. Deswegen hat er die Pragmatische Sanktion234-1 geschaffen, alle deutschen Fürsien um ihre Bürgschaft angegangen, einen Artikel in den Friedensschluß234-2 aufgenommen und eine Unmenge von Einzelverträgen abgeschlossen. Das alles zeigt, daß das Haus Österreich dem Reiche mit der Zeit das Wahlrecht nehmen, die willkürliche Macht seines Stammes befestigen und die demokratische Verfassung, die Deutschland seit Urzeiten gehabt hat, in eine monarchische verwandeln möchte. Da das System des kaiserlichen Ministeriums recht einfach ist, so fällt seine Darlegung nicht schwer.

Verwickelter ist das Programm des Versailler Hofes. Wir müssen daher weiter ausgreifen und mehr auf Einzelheiten eingehen.

Der stehende Grundsatz der Herrscher ist, sich zu vergrößern, soweit ihre Macht es gestattet. Die Art der Vergrößerung ist zwar Modifikationen unterworfen und wechselt unendlich, je nach der Lage des Staates, den Kräften der Nachbarn und der Gunst jeweiliger Umstände. Gleichwohl sieht das Prinzip als solches fest, und die Fürsten lassen es nie fallen. Ihr angeblicher Ruhm steht auf dem Spiel — kurz, sie müssen sich vergrößern.

Frankreich ist im Süden von Spanien durch die Pyrenäen getrennt, die eine Art von natürlichem Grenzwall bilden. Die Fortsetzung dieser Grenze bildet das Mittel<235>meer und die Alpen. Im Norden und Westen ist es vom Weltmeer umspült. Nur nach Osten hat Frankreich keine anderen Grenzen als seine Mäßigung und Gerechtigkeit. Durch die Lostrennung von Elsaß und Lothringen vom Deutschen Reiche sind die Grenzen der französischen Macht bis zum Rhein vorgeschoben. Es wäre zu wünschen, daß der Rhein auch weiterhin Frankreichs Grenze bliebe. Um das zu erreichen, bliebe ein kleines Herzogtum Luxemburg einzustecken, ein kleines Kurfürstentum Trier durch irgend einen Vertrag zu erwerben, ein Bistum Lüttich mitzunehmen, weil es so bequem liegt. Die Barriereplätze235-1, Flandern und sonst ein paar Kleinigkeiten müßten notwendig mit zu Frankreich geschlagen werden. Das Land brauchte als Premierminister nur einen sanften, maßvollen Mann, der seinen Charakter, wenn ich so sagen darf, in den Dienst der Politik seines Hofes stellte, das Odium aller Listen, Ränke und krummen Wege auf die übrigen Minister abwälzte und, indem er sich hinter seinem würdigen Charakter verschanzte, seine Pläne zum glücklichen Ausgang brächte.

Frankreich überstürzt sich in nichts. Es hat stets seinen Plan vor Augen, erwartet aber alles von den Zeitumständen. Die Eroberungen müssen sich sozusagen von selbst anbieten. Alles Absichtliche in seinen Plänen wird verhüllt und äußerlich der Anschein erweckt, als ob alle guten Dinge ihm von selbst in den Schoß fielen. Lassen wir uns jedoch durch den Schein nicht täuschen! Glück und Zufall sind Worte ohne wirklichen Inhalt. Frankreichs wahres Glück ist der Scharfblick seiner Minister, ihre Voraussicht und die guten Maßregeln, die sie ergreifen. Man sehe nur, wie sehr es sich der Kardinal angelegen sein läßt, zwischen dem Kaiser und den Türken zu vermitteln235-2? Zum Dank für diesen Dienst kann der Kaiser nicht weniger tun, als seine Rechte auf Luxemburg an Ludwig XV. abzutreten. Luxemburg wird allem Anschein nach eine der ersten Erwerbungen sein, die auf Lothringen folgen. Denn da Frankreich auf die Maßregeln, die der Kaiser für nötig hielt, jede Rücksicht genommen hat, scheint die Gerechtigkeit von seiten des Kaisers gleiche Rücksicht gegenüber Frankreichs Maßnahmen zu fordern. So ist man sich gegenseitig immer wieder aufs neue zu Dank verpflichtet, und die Politik beider Herrscher weiß das für ihr Streben nach Größe und Macht auszubeuten.

Was die übrigen Länder betrifft, deren Eroberung für Frankreich in Betracht kommen könnte, so erfordert die Klugheit, nichts zu übereilen. Erst muß es sich in seinen alten Eroberungen befestigen, und seine Nachbaren dürfen nicht kopfscheu werden. Ein zu weit schallender Erfolg könnte die Seemächte aufwecken, die jetzt im Arme der Sicherheit und am Busen der Trägheit schlummern.

Frankreichs System ist erweiterungsfähig und läßt mich noch größere und weiterschauende Pläne ahnen als die eben genannten. Das Schicksal scheint als Augenblick für ihre Ausführung das Ableben Seiner Kaiserlichen Majestät bestimmt zu haben.<236> Welcher Zeitpunkt eignete sich mehr dazu, Europa Gesetze zu geben? Welche Konjunktur könnte günstiger sein, um alles zu wagen?

Gegenwärtig sind alle Kurfürsten durch ihre Interessengegensätze entzweit. Die einen werden sich Frankreich in die Arme werfen, um Sondervorteile zu erlangen, und das allgemeine Interesse opfern. Andere werden sich um die Kaiserkrone streiten. Wieder andere werden sich um das Erbe des Kaisers die Köpfe spalten oder von Hoffnungen gebläht, die große Bündnisse in ihnen erwecken, die Fackel des Krieges, Verwirrung und Umsturz überall hintragen. Die schließlich, die sich der überlegenen Macht des gemeinsamen Feindes entgegenstellen könnten, werden nichts unternehmen und ihr Schicksal dem Zufall anheimgeben.

Außerdem hat Frankreich im letzten Friedensvertrage die Pragmatische Sanktion garantiert236-1. Infolgedessen wird es nach dem Tode des Kaisers unweigerlich in die deutschen Angelegenheiten eingreifen müssen. Seine Einmischung wird in diesem Falle viel gefährlicher werden als sonst, da sie einen guten Schein von Recht für sich hat, und selbst seine Gewalttaten werden einen Nimbus von Gerechtigkeit tragen.

Man beachte ferner, wie sorgfältig Frankreich die Seemächte von jener Garantie fernhält. Glaubt man, diese Ausschaltung aus den Reichsangelegenheiten geschähe ohne Grund? Könnte man wähnen, daß irgend ein oberflächlicher Gedanke des Hochmuts da mitspricht? Ließe sich denken, daß ein Minister, der bei seinen geringsten Schritten Proben von vollendeter Klugheit gegeben hat, nicht größere Absichten verfolgte? Zur Ehre der französischen Politik sei gesagt: sie ist nie so beschränkt, wie man vielleicht glaubt.

Möglicherweise wäre es den Franzosen lieb, den englischen Ministern, die durch die inneren Zwistigkeiten ihres Landes stark beschäftigt sind, etwas Ruhe zu verschaffen. Nichtsdestoweniger ist es ihnen durchaus recht, daß die Seemächte sich nicht in die Geheimverträge der beiden kontrahierenden Höft mischen, damit jene, wenn die Frage der Nachfolge eintritt, keinerlei Vorwand zum Angreifen in die deutschen Wirren haben.

Frankreich treibt seine Vorsicht noch weiter. Es zahlt Subsidien an Schweden und Dänemark, um beide Mächte entweder bloß auszuschalten oder sie gegen diejenigen auszuspielen, die den Plänen und Maßnahmen des französischen Hofes entgegentreten könnten.

So hervorragend die Politik des französischen Hofes ist, man muß doch auch gestehen, daß sie durch das Zusammentreffen der Umstände begünstigt wird. Alle Herrscher, deren Macht und Größe Frankreichs Besorgnis erregen könnten, sind miteinander verfeindet. Frankreich braucht also nur das Feuer der Zwietracht nicht erlöschen zu lassen, sondern muß es vielmehr schüren.

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Etwas aber bringt Frankreich noch einen ungleich größeren Vorteil: ihm sieht fast niemand gegenüber, der ihm durch Geistestiefe, Kühnheit und Geschick gefährlich werden könnte. In dieser Hinsicht erntet es heute geringeren Ruhm, als ein Heinrich IV. und Ludwig XIV. sich erwarben. Was würde Richelieu, was würde Mazarin sagen, wenn sie heute wieder auferständen? Sie wären höchst erstaunt, in Spanien keinen Philipp III. und Philipp IV. mehr zu finden, in England keinen Cromwell und König Wilhelm, in Holland keinen Prinzen von Oranien, in Deutschland keinen Ferdinand und fast keinen echten Deutschen mehr im Heiligen Römischen Reiche, in Rom keinen Innozenz XI., an der Spitze der feindlichen Heere keinen Tilly, Montecuccoli, Marlborough und Eugen. Kurz, Richelieu und Mazarin würden unter allen, denen das menschliche Schicksal in Krieg und Frieden anvertraut ist, eine so allgemeine Entartung finden, daß es sie nicht wundern würde, wie man die Nachfolger jener Großen besiegen und betrügen kann. Ehedem mußten die Franzosen mit dem ganzen gegen sie verbündeten und verschworenen Europa kämpfen; sie dankten ihre Eroberungen einzig und allein ihrer Tapferkeit. Jetzt danken sie ihre schönsten Erfolge ihren Unterhandlungen, und ihr Glücks- und Siegeslauf ist weniger ihrer Kraft als der Schwäche ihrer Feinde zuzuschreiben.

Es gibt kein besseres Mittel, sich ein richtiges und genaues Bild von den Welt-ereignissen zu machen, als den Vergleich, die Auswahl von geschichtlichen Beispielen, denen man die Begebenheiten unserer Zeit gegenüberstellt, um die Verwandtschaften und Ähnlichkeiten herauszufinden. Nichts ist des menschlichen Nachdenkens würdiger, nichts belehrender und geeigneter, unsere Einsicht zu mehren. Der Geist der Menschen bleibt sich in allen Ländern und Zeitaltern gleich. Fast alle haben die gleichen Leidenschaften. Ihre Neigungen unterscheiden sich fast garnicht. Sie sind bisweilen wilder, bisweilen zahmer, je nachdem ein unseliger Dämon des Ehrgeizes und der Ungerechtigkeit ihnen seinen verpesteten, ansteckenden Odem einbläst. Einige Epochen zeichnen sich dadurch aus, daß öle menschlichen Leidenschaften sich wilder gebärden und bisweilen ihren Lohn finden. So die Zeit der Eroberungen des Cyrus in Persien, die Schlachten von Salamis und Platää in Griechenland, die Regierung Philipps und Alexanders des Großen in Mazedonien, die Bürgerkriege Sullas, die Triumvirate, die Regierung des Augustus und der ersten Kaiser in Rom. Mit einem Worte: die Liebe zur Kunst und die Kriegsfurie haben alle Länder durchlaufen und überall, wo sie ihren Wohnsitz aufschlugen, die gleichen Wirkungen gezeitigt. Der Grund ist einfach: der Geist der Menschen und die sie beherrschenden Leidenschaften sind stets die gleichen; sie müssen also notwendig die gleichen Wirkungen hervorrufen.

Aber noch mehr trifft das eben Gesagte für die Politik der Großstaaten zu. Sie war fast stets dieselbe. Ihr Grundprinzip war zu jeder Zeit, alles zu unterjochen, um die eigene Macht unaufhörlich zu erweitern. Ihre Klugheit bestand darin, den Kunstgriffen ihrer Feinde zuvorzukommen und das feinere Spiel zu spielen.

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Prüfen wir nun, wie Philipp von Mazedonien gegen Griechenland verfuhr, und sehen wir zu, ob sich nicht einige Züge davon in der französischen Politik wiederfinden. Gehen wir sodann einige Begebenheiten der römischen Geschichte durch, und der Leser wird sehen, ob nicht zwischen den letzten Geschehnissen in Europa und zwischen denen, deren Entstehung wir dargelegt haben, nicht nur eine gewisse Ähnlichkeit, nein, völlige Übereinstimmung besteht.

Griechenland behauptete seine Freiheit nur durch den engen Zusammenschluß der verschiedenen kleinen Republiken. Immerhin taten sich Athen und Sparta vor den anderen besonders hervor. Sie gaben den Anstoß zu den Beratungen und zu den großen Dingen, die zur Ausführung kamen, während die kleineren Republiken in ihrem Gefolge blieben. Hätte Philipp den ganzen Bund angegriffen, er hätte furchtbare Feinde gefunden, die ihm nicht allein widerstanden, sondern vielleicht gar den Krieg in sein eigenes Land getragen hätten. Was tat der staatskluge König zur Bezwingung Griechenlands? Er säte Zwietracht und Eifersucht unter die verbündeten Kleinstaaten, förderte ihre Uneinigkeit, bestach die Redner, ergriff die Partei der Schwächeren gegen die Mächtigeren und wurde, nachdem diese besiegt waren, mit den anderen leicht fertig.

Was tut Frankreich, um zur Weltmonarchie zu gelangen? Sieht man nicht, wie schlau es Zwietracht zwischen den Reichsfürsten stiftet, wie geschickt es die Freundschaft der Herrscher gewinnt, deren es am meisten bedarf, wie arglistig es die Sache der kleinen Fürsten gegenüber den mächtigeren vertritt? Man bewundere die Kunst, mit der es den Einfluß der Seemächte untergräbt, die Geschicklichkeit, mit der es sie rechtzeitig einschüchtert, die Schlauheit, mit der es sie durch Kleinigkeiten hinhält, während es seine großen Schläge führt. Man sehe auch, daß die meisten europäischen Herrscher fast ebenso unsinnig sind wie die Griechen, die sich in lethargischer Sicherheit wiegten und es unterließen, sich mit ihren Nachbarn zusammenzutun, um sicheres Unheil und ihren gewissen Untergang abzuwenden.

Nun werfe man noch einen Blick auf den Kunstgriff der Franzosen, die nordischen Mächte durch Subsidien zu fesseln, damit die Mächte, die nicht in ihrem Solde stehen, auf ihre eigenen kargen Mittel beschränkt bleiben. Sind das alles nicht Konsequenzen der gleichen Politik, wie Philipp von Mazedonien sie trieb? Man gestatte mir, den Vergleich noch weiter zu ziehen, und man wird sehen, daß die Geschichte Philipps mehr als ein Ereignis bietet, das sich mit heutigen Begebenheiten deckt und der Politik von Versailles würdig ist.

Der König von Mazedonien hatte bereits die Thebaner, Olynthier und Messenier gewonnen. Danach zwang er die Athener, die schon geschwächt und wenig widerstandsfähig waren, ihm die Städte Amphipolis und Potidäa abzutreten, die ihm als Grenzschranke dienten. Da er auch Phokis und die Thermopylen besaß, hatte er gleichsam den Schlüssel Griechenlands in der Hand und konnte es leicht angreifen, so oft es seinem Interesse entsprach.

<239>

Die französische Geschichte liefert uns ein Beispiel, bei dem man sich unwillkürlich des eben genannten Zuges aus der alten Geschichte erinnert. Man merkt schon, ich will auf die Erwerbung des Elsaß und Straßburgs hinaus. Diese von Deutschland abgerissenen Länder waren einst wie die Thermopylen oder die Grenzsperre, und Lothringen, das Frankreich neuerdings erworben hat, entspricht der Lage nach Phokis. Eine Eroberungsweise, die der Philipps so ähnlich sieht, läßt nach meiner Ansicht mit ziemlicher Sicherheit auf völlig gleiche Pläne schließen.

Philipp blieb nicht an den Thermopylen stehen, er ging weiter. Bei dieser Gelegenheit fällt mir die Frage ein, die ein Weiser an König Pyrrhus von Epirus richtete, als er dessen gewaltige Kriegsrüstungen sah. „Warum“, fragte er, „häufst Du all diese Waffen und diesen Troß an?“ — „Um Italien zu erobern“, antwortete ihm Pyrrhus. — „Ist aber Italien erobert, Herr, wohin gehen wir dann?“ — „Dann, lieber Kineas, erobern wir Sizilien. Von da brauchen wir nur günstigen Wind, und Karthago fällt uns zu. Wir ziehen durch die Libysche Wüste; Arabien und Ägypten können uns keinen Widerstand leisten; Persien und Griechenland werden gleiche falls unterjocht239-1.“ Pyrrhus hatte nichts Geringeres im Sinn, als die ganze Welt zu erobern. So sprach der Ehrgeiz, und da er stets in derselben Weise denkt und handelt, spare ich mir weitere Worte.

Die Griechen sahen Philipps Fortschritten recht gedankenlos zu. Sie wähnten in ihrer Torheit, sein Tod würde sie von einem gefährlichen Feinde befreien, von dem sie alles zu befürchten hatten. Genau dieselbe Sprache führt man jetzt in Europa239-2. Man wiegt sich in der Hoffnung, der Tod des geschickten Staatsmannes werde der französischen Staatskunst ein Ende machen. Ein anderer Minister werde ihm folgen, aber ohne die gleichen Absichten und Pläne. Kurz, man tröstet sich mit kleinen Hoffnungen — dem gewöhnlichen Trostmittel schwacher und kleiner Geister. Man gestatte mir hier, den Vorwurf des Demosthenes zu wiederholen, den er in seiner ersten Philippika gegen die Athener erhob. Hier seine Worte: „»Philipp ist tot« , sagt dieser. »Nein« , entgegnet jener, »aber er ist krank.« — Nun, er mag leben oder sterben, was liegt daran? Wenn Ihr ihn nicht mehr habt, Athener, werdet Ihr Euch einen anderen Philipp schaffen, wenn Ihr Euer Benehmen nicht ändert. Denn zu dem, was er ist, ward er nicht sowohl durch eigne Kraft als durch Eure Nachlässigkeit.“

Zum Schluß noch einige Betrachtungen über das Benehmen der Römer, insoweit es sich mit dem unserer modernen Römer, ich meine die Franzosen, deckt. Man beachte, wie geflissentlich sich die Römer in alle Welthändel mischten. Sie spielten sich sogar als Schiedsrichter über die Zwistigkeiten aller Fürsten auf. Rom war der Richterstuhl der Welt, und Könige wie Fürsten erkannten, ich weiß nicht warum, diese höchste Instanz an. Sie übertrugen dem römischen Volke, dem stärksten und stolzesten auf der Welt, ihren Streit zu schlichten. Der Senat war es gewöhnt, das letzte<240> Wort über das Schicksal der Fürsten zu sprechen, und warf sich zum obersten Richter aller ihrer Zwistigkeiten auf. So wurden sie Herren von Griechenland, erbten von Eumenes das pergamenische Reich, und auf die gleiche Weise ward Ägypten zur römischen Provinz.

Wie man sofort sehen wird, ist Frankreich genau so verfahren. Aber was die Römer nie gewagt haben, Ludwig XIV. hat es vollbracht. Er setzte Reunionskammern ein, die unter dem Vorwand alter Hoheitsrechte ganze Provinzen seiner Herrschaft unterwarfen240-1.

Wir kommen nun zur Erbfolge Karls II., des letzten Königs von Spanien, und zu dem untergeschobenen oder verstümmelten Testament, durch das Frankreich das bourbonische Geschlecht mit Gewalt auf den spanischen Thron brachte240-2; zu den Intrigen, durch die Frankreich die Partei des Prätendenten240-3 in England stärken wollte, um ihn zum König von Großbritannien zu machen, oder um neuere Beispiele anzuführen, zur Sendung des Infanten Don Carlos nach Italien240-4 und zu den französischen Umtrieben in den polnischen Wirren. Ich könnte auch noch das Schiedsrecht erwähnen, das Frankreich sich in dem Jülich-Bergischen Erbfolgestreit zwischen dem König von Preußen und dem Pfalzgrafen von Sulzbach anmaßt240-5, eine Sache, die allein das Deutsche Reich anginge, hätte der Westfälische Friede nicht dem Allerchristlichsten König Gelegenheit zur Einmischung gegeben. Man lese, was in jenem Frieden darüber ausgemacht ist240-6. Selbst in die Händel von Genf hat Frankreich sich eingemengt. Durch Bestechung oder auf andere Weise haben die Genfer sich Frankreich in die Arme geworfen240-7. Auch der Türkenkrieg des Kaisers wird nicht beigelegt werden, bevor Frankreich nicht mitgesprochen hat240-8, und binnen kurzem wird Korsika von den nämlichen Franzosen sein Schicksal diktiert bekommen240-9. Kurz, wo Zwistigkeiten sind, werden sie von Frankreich geschlichtet. Will man Krieg führen, Frankreich macht mit. Gilt es, Friedensverträge zu schließen, Frankreich gibt das Gesetz und wirft sich zum obersten Schiedsrichter der Welt auf.

Das sind die Tatsachen, die ich glaubte mit denen der römischen Geschichte in Parallele stellen zu können. Ich gebe sie unparteiisch wieder und ohne andere Richtschnur als die Wahrheitsliebe.

Zu alledem füge ich nur noch eine einzige Bemerkung über die Geistesverwandtschaft zwischen den römischen und französischen Unterhändlern. Sobald Frankreich sein Ziel erreicht hat und keine Rücksicht mehr zu nehmen braucht, wird man bei seinen<241> Diplomaten einen Hochmut und eine Anmaßung sondergleichen finden. So geschmeidig sie sind, wenn sie den Beistand der Herrscher erbitten, so unerträglich ist ihr Hochmut, wenn der Beistand derselben Herrscher nicht mehr in ihren Interessen liegt. Hier muß man sich der Gesandtschaft der Römer an König Antiochus von Syrien erinnern. Ihr Zweck war, ihn vom Angriff auf Ptolemäos und Kleopatra abzubringen, die als Könige von Ägypten die Bundesgenossen des römischen Volkes waren. Popilius, ein einfacher römischer Bürger, wurde mit jener Sendung betraut241-1. Er verlangte von Antiochus in ziemlich hochfahrender Weise eine kategorische Antwort auf seine Anträge. Der König stand an der Spitze eines Heeres, bereit, in Ägypten einzufallen. Erstaunt ob eines derartigen Vorschlags, zauderte er mit der Antwort. Da zieht Popilius mit einem Stabe, den er in der Hand hält, einen Kreis um den König und gebietet ihm, zu antworten, sonst werde er ihn nicht aus dem Kreise herauslassen. Nun sehe man, in welch hochfahrender und rücksichtsloser Weise sich der französische Botschafter in den Genfer Wirren benommen hat. Man werfe einen Blick auf die Note über die Erbfolge in Jülich, die Herr von Fenelon den Generalstaaten im Haag überreicht hat241-2. Man erinnere sich der kindischen Streitigkeiten zwischen jenem französischen und dem englischen Botschafter241-3 über ein ebenso neues wie wunderliches Vorrecht.

Aus so viel ähnlichen Zügen kann man auf ebenso ehrgeizige Absichten bei den Franzosen wie bei den Alten schließen und auf gleich weitschauende Pläne. Kurz, es besteht die engste Verwandtschaft zwischen dem Benehmen Frankreichs und Philipps von Mazedonien oder der römischen Republik.

Aus dem eben Gesagten ist leicht zu erkennen, daß die politische Lage Europas auf einem sehr kritischen Punkt angelangt ist. Das Gleichgewicht ist so gut wie verloren, und die Dinge können ohne große Gefahr nicht lange in diesem Zustande bleiben. Es ist wie beim menschlichen Körper, der ohne gleichmäßige Mischung von Säuren und Alkalien nicht bestehen kann. Herrscht einer dieser Stoffe vor, so spürt es der Körper, und seine Gesundheit wird schwer erschüttert. Nimmt der eine Stoff noch mehr zu,<242> so kam das zur völligen Zerstörung der Körpermaschine führen. Sorgt also die Staatskunst und Klugheit der europäischen Herrscher nicht mehr für die Aufrechterhaltung eines richtigen Gleichgewichts unter den Großmächten, so wird das dem ganzen politischen Körper Europas fühlbar. Auf der einen Seite steht die Gewalt, auf der anderen die Schwäche, hier das Bestreben, alles an sich zu reißen, dort die Ohnmacht, es zu verhindern. Der Mächtigere gibt Gesetze, der Schwächere muß sie unterschreiben, kurz, alles trägt zur Vermehrung der Unordnung und Verwirrung bei. Der Stärkere ist wie ein wütender Gießbach. Er schwillt über, reißt alles fort und ruft die verderblichsten Umwälzungen hervor.

Das sind in kurzen Worten die Betrachtungen, zu denen mich der gegenwärtige Zustand Europas veranlaßt. Sollte eine Macht finden, daß ich mich allzu freimütig geäußert habe, so möge sie wissen, daß die Frucht stets ihren Erdgeschmack bewahrt, und daß ich als Bürger eines freien Landes242-1 mit der edlen Kühnheit und unverstellten Aufrichtigkeit sprechen darf, die den meisten Menschen unbekannt ist, und die in den Ohren derer vielleicht verbrecherisch klingen mag, die in der Knechtschaft geboren und in der Sklaverei aufgewachsen sind.

Nachdem ich das Benehmen der Staatsmänner Europas durchgegangen, das politische System der verschiedenen Höfe nach Maßgabe meiner Einsicht entwickelt und die gefährlichen Folgen des Ehrgeizes gewisser Fürsten gezeigt habe, wage ich die Sonde noch tiefer in die Wunde des politischen Körpers zu führen und das Übel bis in seine Wurzeln zu verfolgen, um seine geheimsten Ursachen zu entdecken. Gelingt es meinen Betrachtungen, das Ohr einiger Herrscher zu finden, so bieten sich ihnen hier Wahrheiten, die sie aus dem Mund ihrer Höflinge und Schmeichler nie vernommen hätten. Ja, vielleicht werden sie erstaunt sein, daß diese Wahrheiten sich neben sie auf den Thron setzen.

Mögen sie denn erfahren, daß ihre falschen Prinzipien die vergiftete Quelle des europäischen Elends sind242-2. In folgendem liegt der Irrtum der meisten Fürsten. Sie glauben, Gott habe aus besonderer Rücksicht für sie und eigens ihrer Größe, ihrem Glück und Hochmut zuliebe das Gewimmel der Völker geschaffen, deren Wohlfahrt ihnen anvertraut ist, und ihre Untertanen seien nichts weiter als Werkzeuge und Diener ihrer zügellosen Leidenschaften. Sobald das Prinzip, von dem man ausgeht, verkehrt ist, müssen die Folgen unweigerlich immer verhängnisvoller werden. Daher jener unbändige Drang nach, falschem Ruhme, jenes glühende Verlangen, alles zu erobern, die harten Auflagen, mit denen das Volk bedrückt wird, die Trägheit der Herrscher, ihr Dünkel, ihre Ungerechtigkeit, ihre Unmenschlichkeit, ihre Tyrannei und alle Laster, die die Menschennatur erniedrigen. Legten<243> die Fürsten diese falschen Ideen ab und gingen auf den Ursprung ihres Amtes zurück, sie sähen, daß ihre Würde, auf die sie so eifersüchtig sind, daß ihre Erhebung nur das Werk der Völker ist, daß die Abertausende, die ihnen anvertraut sind, sich nicht einem Einzigen sklavisch unterwarfen, um ihn mächtiger und furchtgebietender zu machen, daß sie sich vor einem Mitbürger nicht beugten, um Märtyrer seiner Launen und Spielball seiner Einfälle zu sein, sondern daß sie Den unter sich erwählten, den sie für den Gerechtesten hielten, um sie zu regleren, den Besten, um ihnen ein Vater zu sein, den Menschlichsten, um Mitleid mit ihrem Mißgeschick zu haben und es zu lindern, den Tapfersten, um sie gegen ihre Feinde zu beschirmen, den Weisesten, um sie nicht zur Unzeit in verderbliche, zerstörerische Kriege zu verwickeln, kurz, den rechten Mann, um den Staat zu repräsentieren, den, dessen souveräne Macht eine Stütze für Recht und Gesetz ist und nicht ein Mittel, um ungestraft Verbrechen zu begehen und Tyrannei auszuüben.

Steht dies Prinzip einmal fest, so würden die Fürsten stets die beiden Klippen vermeiden, die zu allen Zeiten den Sturz der Reiche und die Umwälzung der Welt verschuldet haben: nämlich maßlosen Ehrgeiz und schlaffe Nachlässigkeit in den Geschäften. Dann würden diese irdischen Götter, statt immerfort auf Eroberungen zu sinnen, nur für das Glück ihrer Völker wirken. Sie würden mit allem Fleiß danach trachten, das Elend zu lindern und ihre Herrschaft mild und heilbringend zu machen. Ihre Wohltaten müßten den Wunsch erregen, unter ihrem Zepter geboren zu sein. Edler Wettstreit müßte unter ihnen herrschen, einander an Güte und Milde zu übertreffen. Sie würden inne werden, daß der wahre Herrscherruhm nicht in der Unterdrückung ihrer Nachbaren, nicht in der Vermehrung ihrer Sklaven liegt, sondern in der Erfüllung ihrer Amtspflichten und in der Vollstreckung der Wünsche derer, die sie mit der höchsten Macht ausgestattet haben und denen sie ihre Herrschermacht danken. Solche Fürsten würden sich erinnern, daß Ehrgeiz und eitler Ruhm Laster sind, die sich bei Bürgern schwer bestrafen und die man bei einem Herrscher stets verabscheut.

Stände den Fürsten ihre Pflicht stets vor Augen, dann würden sie auch nicht die Geschäfte vernachlässigen, als wären es Dinge, die unter ihrer Würde sind. Sie würden die Wohlfahrt ihres Volkes nicht blindlings der Sorge eines Ministers anvertrauen, der vielleicht pflichtwidrig handelt und talentlos ist, und dem das Allgemeinwohl fast stets weniger am Herzen liegt als seinem Herrn. Die Fürsten würden selbst über die Schritte ihrer Nachbaren wachen, würden mit äußerster Anstrengung deren Pläne zu ergründen, deren Unternehmungen zuvorzukommen suchen, würden sich durch feste Bündnisse gegen die Umtriebe jener unruhigen Geister sichern, die unablässig auf Eroberungen sinnen und wie ein Krebsgeschwür alles annagen und zerfressen, was sie berühren. Ihre Klugheit würde die Bande der Freundschaft enger knüpfen und Bündnisse mit gleichgesinnten Herrschern schließen. Ihre Weisheit beriete sie in allem und machte die Anschläge ihrer Feinde zunichte. Sie<244> zögen emsige Arbeit zum öffentlichen Nutzen dem schwelgerischen, tatenlosen Hofleben vor.

Kurz, es ist eine Schmach und Schande, seine Staaten zugrunde zu richten, und eine Ungerechtigkeit, eine verbrecherische Raubgier, etwas zu erobern, worauf man keinen rechtlichen Anspruch besitzt.


225-1 Das Folgende bildet die erste Fassung der Charakteristik Friedrich Wilhelms I., in der König Friedrich seinen Vater als Ideal eines Friedensfürsten feiert (vgl. S. 136).

226-1 Die obige Flugschrift ist von Kronprinz Friedrich im Januar 1728 verfaßt. Sie enthält einen Weckruf an England und Holland und eine Warnung vor dem Bunde zwischen dem Wiener und Versailler Hofe, die nach dem Polnischen Erbfolgekrleg 1735 ihren Frieden miteinander gemacht hatten (vgl. S. 157). Den Anlaß zur Abfassung der Schrift bot der Plan der Österreicher und Franzosen, ohne Rücksicht auf alle früheren Abmachungen die Frage der Jülich-Bergischen Erbfolge (vgl. S. 121. 144. 152 f.) zu entscheiden, und ihre Einladung an die Seemächte, sich an einer diplomatischen Aktion gegen Preußen und Kurpfalz zu beteiligen. Um den Ursprung der Umschrift zu verschleiern, wählte Friedrich die Maske eines Engländers: Die Schrift sollte in englischer Bearbeitung gedruckt werben und sein original in Holland als Übersetzung aus dem Englischen erscheinen. Die Veröffentlichung unterblieb, da seit April 1738 ein Wechsel in der allgemeinen politischen Lage eintrat, der zu elner Verständigung zwischen Preußen und Frankreich und zum Abschluß des Haager Vertrages vom 5. April 1739 über die preußische Erbfolge in Berg führte (vgl. S. 161 f.).

227-1 Für den Polnischen Erbfolgekrieg und die Wiener Friedenspräliminarien vom 3. Oktober 1735 vgl. S. 152 ff.

227-2 Germain Louis de Chauvelin, der französische Großsiegelbewahrer, war ein Anhänger Spaniens. Sein Sturz erfolgte am 21. Februar 1737. Vgl. Bd. II, S. 24.

227-3 Vgl. S. 355.

227-4 Fleury.

228-1 Der Regent, Herzog Philipp von Orleans, war 1723 gestorben.

228-2 Das Herzogtum Lothringen fiel durch den Friedensschluß an Frankreich, und Herzog Franz Stephan, der spätere Kaiser Franz I., erhielt als Entschädigung das Großherzogtum Toskana.

229-1 Villars befürwortete das Bündnis der katholischen Mächte; dann könnten Frankreich und der Kaiser dem übrigen Europa Gesetze vorschreiben.

230-1 Vgl. S. 140.

230-2 Vgl. S. 146.

231-1 In einer Fußnote fügt Kronprinz Friedrich den Wortlaut des Artikels V des Wiener Vertrages vom Mal 1735 (vgl. S. 143 f.) hinzu: darin spricht Philipp V. seinen definitiven Verzicht auf die Niederlande, Mailand und das Königreich beider Sizilien aus.

231-2 In einer Fußnote gibt Kronprinz Friedrich einen Auszug aus dem zwischen Spanien, Frankreich und England am 9. November 1729 geschlossenen Bertrage von Sevilla, den, wie er sagt, „die Engländer als Quelle ihrer Tränen betrachten“, und wiederholt im Wortlaut Artikel IX, der Spanien zur Entsendung von 6 000 Mann nach den Fürstentümern Parma und Piacenza ermächtigt, um die Erbfolge des Infanten Don Carlos daselbst desto sicherer zu stellen (vgl. S. 133. 149).

232-1 Anmerkung des Kronprinzen: „Es ist notorisch, daß die österreichischen Minister in der ganzen Sache im Einvernehmen mit den russischen gearbeitet haben. Der Kaiser hatte ein Korps von 17 000 Mann an der polnischen Grenze stehen, und der Fürst Lubomirski war von ihm bestochen. Dieser, der sogenannte »gestiefelte Fürst« , rief die Spaltung unter denen hervor, die von Warschau nach dem Dorfe Praga gingen. Schließlich sind die russischen Truppen auf Anstiften des Kaisers in Polen eingerückt.“

232-2 In einer Fußnote gibt der Kronprinz Artikel IV wie auch die im folgenden erwähnten Artikel VI und X der Wahlkapitulatlon im Wortlaut wieder.

233-1 Vgl. S. 158 ff.

234-1 Vgl. S. 153.

234-2 Frankreich erkannte im Präliminarfrieden von 1735 die Pragmatische Sanktion an (vgl. S. 157).

235-1 Vgl. S. 131.

235-2 Durch französische Vermittlung kam auch 1739 der Friede von Belgrad zustande (vgl. S. 161).

236-1 Vgl. S. 234.

239-1 Plutarch, „Leben des Pyrrhus“.

239-2 Anspielung auf Holland.

240-1 Vgl. S. 85.

240-2 Vgl. S. 102.

240-3 Vgl. S. 125.

240-4 Vgl. S. 231.

240-5 Vgl. S. 226, Anm. I. Karl Theodor von Pfalz-Sulzbach, der Erbe des Kurfürsten Karl Philipp von der Pfalz, mit dem das Haus Neuburg ausstarb, erhob auch Anspruch auf die Erbfolge in Jülich und Berg.

240-6 In einer Fußnote führt Kronprinz Friedrich den Wortlaut aus dem Artikel IV des Osnabrücker Friedenslnstruments an, nach dem der Jülichsche Erbffolgestreit „auf dem gewöhnlichen Prozeßweg vor Seiner Kaiserlichen Majestät oder durch gütliche Beilegung oder irgendwie sonst auf legitimem Wege“ geschlichtet werden soll.

240-7 Es handelt sich um Streitigkeiten über die innere Verfassung von Genf, die 1738 durch Vermittlung Frankreichs beigelegt wurden.

240-8 Vgl. S. 235.

240-9 Vgl. S. 151.

241-1 Die Sendung von Cajus Popillus Laenas an König Antiochus IV. erfolgte im Jahre 167 v. Chr.

241-2 In der Note vom 14. Dezember 1737 forderte Fénélon die Generalstaaten auf, gemeinsam mit Frankreich, Österreich und England eine Denkschrift am Berliner und Mannheimer Hof zu überreichen; darin würde das Konzert der vier Großmächte erklären, „daß ihre Grundsätze unveränderlich sind, daß jeder Widerspruch unnütz sein würde, und daß sie mit gleicher Dringlichkeit eine umgehende Antwort verlangen, die so beschaffen sei, daß man ungesäumt wisse, was man von den Absichten der beteiligten Parteien zu halten habe“. In der Tat erfolgte am 10. Februar 1738 die Überreichung von vier identischen Noten in Berlin, in der die Großmächte die Vermittlung und Schlichtung der Streitfrage für sich in Anspruch nahmen. Vgl. S. 226, Anm. I.

241-3 Anmerkung des Kronprinzen Friedrich: „Der Grund des Streites war folgender. Bei einem Festmahl, das die Generalstaaten gaben, war der französische und englische Botschafter zugegen. Der Engländer trank auf das Wohl des Kaisers oder auf das Wohlergehen der Generalstaaten. Fénélon behauptete, das sei seine Sache. Der Streit führte ziemlich weit. Man nennt ihn den Tafelkrieg. Diese Geschichte muß allbekannt sein.“

242-1 Die Flugschrift sollte in England erscheinen.

242-2 Vgl. für den Schluß der Flugschrift den „Antimachiavell“ (Bd. VII), der bereits im folgenden Jahre entstand.