<213> Nachbar, Zeit genug, mit Hilfe von Subsidien ein Heer von 40 000 Mann auf die Beine zu bringen. Zudem war ein glücklicher Feldzug in Böhmen nur möglich, wenn man von Sachsen aus eindrang; denn hier gewährten die Elbe und die Verbindung mit der Kurmark die Möglichkeit, sich zu behaupten.

Das sind wahrheitsgemäß die Gründe, aus denen ich den gewählten Entschluß allen andern vorzog. Wie konnte ich ahnen, daß Frankreich 150 000 Mann ins Reich schicken würde? Wie konnte ich ahnen; daß das Deutsche Reich sich gegen mich erklären, daß sich auch Schweden hineinmischen, daß Frankreich Subsidien an Rußland zahlen, daß England trotz der gegebenen Garantien Hannover nicht unterstützen würde, daß ferner Holland sich ruhig von den Franzosen und Österreichern einschließen lassen und Dänemark das Vorgehen der Russen und Schweden gleichgültig mitansehen würde, kurz, daß die Engländer mich im Stich lassen würden? Der Staatsmann kann nicht in der Zukunft lesen. Was der Volksmund Zufall und der Philosoph unberechenbare Ursachen nennt, kann er nicht in Anschlag bringen. Wir haben Grundsätze, die für unsere Urteile maßgebend sind: der Vorteil der Herrscher und die Bundesverpflichtungen, die sie übernommen haben. Indes ist der letzte Punkt nicht immer sicher. Nun aber war Frankreich nach seinen Verträgen nur verpflichtet, der Königin von Ungarn 24 000 Mann Hilfstruppen zu stellen. Mit dem König von Polen hatte es überhaupt keinen Vertrag. Auch die verwandtschaftlichen Beziehungen des Herrscherhauses zwangen es nicht zur Hilfeleistung. Denn Ludwig XIV. hat den Herzog von Savoyen, den Schwiegervater des Herzogs von Burgund, bekriegt1. Niemals haben Blutsbande die Politik der Könige beeinflußt. Wie konnte man da voraussehen, daß die Tränen der Dauphine2, die Verleumdungen der Königin von Polen und die Lügen des Wiener Hofes Frankreich in einen Krieg hineinziehen würden, der seinem politischen Vorteil strikt widersprach? Seit undenklichen Zeiten lag Frankreich mit Österreich im Kriege. Die Interessen beider Länder standen in schroffstem Gegensatz. Die Politik Frankreichs lief allezeit darauf hinaus, einen mächtigen Verbündeten im Norden zu haben, dessen Diversionen ihm nützlich werden konnten. Schweden, dessen es sich früher bediente, hat seine Macht und seinen Einfluß auf die kontinentalen Angelegenheiten verloren. So blieb ihm also nur Preußen. Wer konnte auf den Gedanken kommen, daß ein unerklärlicher Gesinnungswechsel und die Ränke einiger Schwätzer es dahin bringen würden, seine Interessen und das einzige ihm günstige System zu verlassen? Warum bezahlt es Hilfsgelder an Rußland? Warum bewaffnet es Schweden? Warum hetzt es das Deutsche Reich gegen Preußen auf, wenn nicht, um es zugrunde zu richten? Entsprang diese Haltung etwa dem Groll über Preußens Neutralitätsvertrag mit England? Die Rache schiene mir sehr übertrieben! Geschah es etwa wegen einiger Gebietsabtretungen in Flandern, die die Königin von


1 Während des Spanischen Erbfolgekrieges, nachdem Herzog Viktor Amadeus II. 1703 auf die Seite des Kaisers getreten war (vgl. S.187). Ludwig, Herzog von Burgund, Enkel Ludwigs XIV. und Vater Ludwigs XV., seit 1711 Dauphin, starb 1712.

2 Vgl. S. 57.