<214> Ungarn den Franzosen versprochen hatte1? Der Köder erscheint mir denn doch zu grob. Ich weiß nicht, ob Frankreich in der Folge nicht zu der Einsicht kommen muß, daß, so schön das alles auch aussieht, der Machtzuwachs des Hauses Österreich, für den es gegenwärtig so ins Zeug geht, sich mit der Zeit in seinen größten Nachteil verwandeln wird. Als Vorwand für seinen Einfall ins Reich führt Frankreich die Garantien des Westfälischen Friedens an. Als die Preußen 1745 in Sachsen einrückten, beglückwünschten mich diese Hüter des Westfälischen Friedens zu meinen glücklichen Waffentaten. Wie kann nun das, was im Jahre 1745 gut war, im Jahre 1757 schlecht sein? Warum greift Schweden zu den Waffen, nur weil tausend Mann leichter Truppen durch ein paar würzburgische Dörfer marschiert sind2? Unsere Feinde haben für ihr Benehmen nicht einmal einen Vorwand finden können; selbst daran gebricht es ihnen.

Konnte ich voraussehen, daß in einem so ernsten Kriege, der das Interesse der englischen Nation wachruft, der das politische System und die Freiheit Europas bedroht, die Kabalen und inneren Zwistigkeiten den englischen Nationalvorteil derart überwiegen, daß die Minister die Interessen Europas über ihren häuslichen Streitigkeiten vergessen würden3? Die Engländer hatten mir ein Geschwader für die Ostsee versprochen. Wie konnte ich voraussehen, daß sie es mir rundweg in einem Augenblick verweigern würden, wo ich es am nötigsten brauchte4?

Wenn ich nichts über das schemenhafte Deutsche Reich sage, das für seine Tyrannen arbeitet, so geschieht das nur, weil das Reich sich in seiner Schwäche stets der stärksten Macht gefügt hat, von der es sich bedroht sah. Was soll man aber dazu sagen, daß Holland seine Verträge mit England bricht und sich rings von den Franzosen umzingeln läßt? Daß Dänemark zusieht, wie Schweden seinen Verträgen zuwiderhandelt und nach der Einnahme von Pommern wohl ebenso imstande ist, alle seine Abtretungen5 zu widerrufen? Dasselbe Dänemark läßt Rußland ungestört die Macht in der Ostsee an sich reißen und sichert sich keine Hilfe, um sich Holstein zu erhalten, falls der russische Großfürst6 nach seiner Thronbesteigung sein Erbland wieder in Besitz nehmen will.

Das alles sind Vorgänge, die menschliche Klugheit nicht voraussehen konnte. Man klage mich, wenn man Lust hat, vor dem Richterstuhl der Politik an. Ich behaupte trotzdem: Europa hat seit der Ligue von Cambrai7 kein so verhängnisvolles Komplott wie dieses erlebt. Selbst jene Ligue läßt sich nicht mit dem gefährlichen Triumvirat vergleichen, das sich gegenwärtig erhebt und sich das Recht anmaßt, Könige zu ächten, ja dessen ehrgeizige Absichten noch nicht einmal ganz zutage getreten sind. Würde man wohl einen Wanderer, gegen den sich drei Straßenräuber mit ihren Spießgesellen zusammengetan haben, der Unklugheit bezichtigen, weil er in der Tiefe


1 Vgl. S. 207.

2 Vgl. S. 73.

3 Vgl. S. 60 f.

4 Vgl. S. 206 Anm. 1.

5 Schweden hatte 1720 Stettin und Vorpommern an Preußen abgetreten.

6 Großfürst Peter war Herzog von Holstein-Gottorp.

7 Vgl. S. 187.