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Strafen und Belohnungen

Zwei Hauptbeweggründe regieren die Menschen: Furcht vor Strafe und Hoffnung auf Belohnung. Wer sie recht leiten will, hindert sie durch Androhung strenger Justiz an der Übertretung der Gesetze der Gesellschaft, in der sie leben, ermuntert sie aber zu löblichen Handlungen und feuert sie an mit der Lockspeise der Glücksgüter. Preußens Herrscher haben zum Glück selten Strenge nötig. Nur Hochverrat verdient harte Bestrafung. Jedoch läßt sich oft verhüten, daß Menschen sich zu solchen Schandtaten verführen lassen. Im letzten Kriege erfuhr ich, daß der Abt von Grüssau mit einigen Geistlichen und Edelleuten eine Verschwörung zugunsten des Wiener Hofes anzettelte. Ich ließ sie gefangen setzen oder verbannte sie während der Kriegswirren in andere Provinzen. Dadurch wurde ihnen die Möglichkeit genommen, sich schuldig zu machen, und sie entgingen Bestrafungen, die sie unfehlbar getroffen hätten, wenn sie frei ihrer Neigung hätten folgen dürfen. Nach dem Frieden kehrten sie ruhig in ihre Heimat und zu ihren Geschäften zurück, und die Vernünftigen unter ihnen müssen mir Dank dafür wissen, daß ich sie gezwungen habe, ihre Unschuld zu bewahren.

Ich sagte es schon und wiederhole es: In Preußen ist man häufiger in Verlegenheit, alle verdienstvollen Handlungen gebührend zu belohnen, als in der Zwangslage, schlechte zu bestrafen. Man kann die Tugend nicht hoch genug achten, noch die, die sie üben, genug ermutigen. Das Staatsinteresse verlangt, daß alle Bürger sich der Tugend befleißigen. Von der Tugend soll man sprechen, wackere Taten sind herauszustreichen, damit sie womöglich noch größeren Glanz erhalten und die für sie empfänglichen edlen Seelen zur Nacheiferung anspornen. Ja, sollte auch ein Mensch den seelischen Schwung der edlen Geister nicht von der Natur empfangen haben und aus Gier nach Ehre und Belohnungen doch eine schöne Tat vollbringen, so wäre damit schon viel gewonnen. Mag auch das Motiv der Tat an sich niedrig sein, die wackere Tat gereicht der Allgemeinheit trotzdem zum Vorteil. Die nützlichsten Bürgertugenden sind Menschlichkeit, Billigkeit, Tapferkeit, Wachsamkeit und Arbeitslust. Sie schaffen Menschen, die für den Zivildienst wie für das Heer gleich nützlich sind. Derartige Eigenschaften müssen belohnt werden.

Einen Mann ohne Verdienst nur aus Gunst bereichern, heißt ebenso blind sein wie das Glück. Einen Kuppler mit Wohltaten überhäufen, heißt der Öffentlichkeit sagen: Kommt, leistet dieselbe Gefälligkeit, und ihr werdet Belohnungen ernten. Einen Jäger zu hohen Würden erheben, heißt bezeugen, daß die Jagd der erste Beruf, das erste Handwerk im Staate ist, und den Adel ermutigen, vorzugsweise dieses Gewerbe zu ergreifen. Was ist aber die Folge solcher falschen Auszeichnungen? Das Verdienst welkt in Vergessenheit dahin, die Tugend genießt die ihr schuldige Achtung nicht, und weil der Wettstreit und der Ansporn fehlt, werden viele Menschen, die zum Guten neigen, nachlässig und leisten dem Staat nicht alle Dienste, die er von ihnen erwarten kann. Zu den Leuten, die belohnt werden müssen, zählen unbestechliche Richter, Finanz-