<150> sei jetzt keine Zeit mehr, man müsse rasch und entschlossen handeln. „Nur zwei Wege stehen Ihnen offen“, rief der ehrwürdige Greis. „Setzen Sie sich an die Spitze Ihrer russischen und holsteinischen Leibwache! Marschieren Sie mit ihr stracks auf Petersburg! Das bißchen Blut, das mir noch geblieben ist, will ich gern opfern, um Sie wieder auf den Thron zu setzen. Glauben Sie denn, die Rebellen werden ihrem rechtmäßigen Herrscher widerstehen, wenn er auf sie losgeht? Verbrecher sind furchtsam. Mühelos werden wir sie vertreiben, und Sie werden über die Thronräuber siegen. Dünkt Ihnen dieser Entschluß jedoch zu kühn, so gehen Sie unverzüglich nach Kronstadt. Schiffen Sie sich von da nach Preußen ein, sammeln Sie dort die Armee und kehren Sie an ihrer Spitze zurück, um die Rebellen und Verschwörer aufs strengste zu strafen.“

So weise Münnichs Ratschläge waren, sie wurden doch nicht befolgt. Der Kaiser hatte nie zu kühnen Entschlüssen Gelegenheit gehabt. Er war überrascht und bestürzt ob der ihn bedrohenden Revolution. Immerfort wechselte er seine Pläne und konnte doch zu keinem Entschluß kommen. Er hätte fliehen oder kämpfen müssen, war aber so schwach, sich auf Verhandlungen einzulassen. So verlor er Zeit und damit alle Hoffnung. Am nächsten Tage1 befolgte er, freilich zu spät, den einen Ratschlag des Marschalls Münnich und schiffte sich mit seinem Hofstaat nach Kronstadt ein. Aber der Kommandant2, den die Verschworenen inzwischen gewonnen hatten, drohte auf die kaiserliche Barke zu schießen, falls sie sich zu nähern wagte. Der unglückliche Monarch sah sich also zur Rückkehr nach Peterhof gezwungen. Damit war sein Schicksal besiegelt. Die Kaiserin kam, um ihn zu belagern. Sie ritt an der Spitze der Garden, von zahlreicher Artillerie gefolgt. Sie schickte ihrem unglücklichen Gatten eine Abdankungsurkunde, die er unterzeichnen mußte. Angeblich soll eine Zusammenkunft zwischen Zar und Zarin stattgefunden haben, deren nähere Umstände aber kein Mensch kennt. Fest steht, daß der Kaiser nach einem Landgute des Grafen Rasumowsky gebracht wurde, wo einer der Verschworenen, Orlow, ihm Gift beibrachte. Als der Barbar merkte, daß der Kaiser sich zu erbrechen versuchte, erstickte er ihn zwischen zwei Matratzen3. So tragisch endete dieser Fürst, der wohl Bürgertugenden besaß, aber nicht alle Eigenschaften eines Monarchen.

Peters III. Sturz war für den König ein schwerer und schmerzlicher Schlag. Er schätzte seinen bewundernswerten Charakter und hing an ihm mit dankbarer Liebe. Sein Untergang ging ihm um so näher, als er jedermann Gutes getan und ein so jämmerliches Schicksal nicht verdient hatte. Außerdem durfte er bei der Kaiserin nicht auf so günstige Gesinnung rechnen wie bei ihrem Gatten. Im Gegenteil! Alle Nach-


1 Vielmehr in der Nacht zum 29. Juni (10. Juli) 1762.

2 Generalmajor Gustav Nummers.

3 Zar Peter III. starb am 17. Juli 1762 auf dem Krongut Nopscha. Die Behauptung, daß er vergiftet worden sei, ist nicht erwiesen. Er wurde vielmehr ohne Vorwissen Katharinas beim Gelage, als es nach einem Wortstreit zu Tätlichkeiten kam, von Alexej Orlow und Fürst Feodor Baratinski in der Trunkenheit erwürgt.