<151>richten aus Preußen oder Pommern besagten, daß die russischen Truppen sich zur Wiedereröffnung der Feindseligkeiten anschickten. In einem Ukas wurde der König als unversöhnlicher Erbfeind Rußlands erklärt1. Schon bemächtigten sich die russischen Kommissare wiederum der Einkünfte der Provinz Preußen. Kurz, allem Anschein nach stand man am Vorabend eines neuen Bruches. Aber wie so oft, trog der Schein auch hier. Die Maßregeln der Kaiserin beruhten auf falschen Voraussetzungen. Sie fürchtete, der König möchte auf die Nachricht von Peters III. Gefangensetzung das Tschernyschewsche Korps zwingen, sich für den Zaren zu erklären oder, falls es sich weigerte, es entwaffnen. Um für alle Fälle gesichert zu sein und ein Pfand für das Benehmen des Königs in der Hand zu haben, bemächtigte sie sich Ostpreußens und gab den Heerführern Befehl, sich zur Eröffnung der Feindseligkeiten bereit zu halten, sobald sie es für gut hielte. Aber ihre Voraussetzungen waren aus folgendem Grunde falsch. Hätte der König die Partei des Zaren ergriffen, während seine grausamste Feindin ihn gefangen hielt, so beschleunigte er nur dessen Tod. Aber noch schwerer fiel der Umstand ins Gewicht, daß das Verbrechen bereits geschehen, der Zar schon tot war. Ihm konnte daher nicht mehr geholfen werden. Der König widersetzte sich dem Abmarsch Tschernyschews also nicht und bat ihn nur um die Gefälligkeit, ihn um drei Tage zu verschieben. Darauf ging der russische General gern ein.

Die drei Tage waren kostbar. Sie mußten zu einem entscheidenden Schlage benutzt werden. Die Anwesenheit der Russen machte den Österreichern Eindruck, und von dem Staatsstreich hatten sie noch keine Nachricht. Entweder mußte man Schweidnitz zurückerobern oder sich damit begnügen, die Winterquartiere wie im letzten Jahre längs der Oder zu beziehen. Verlief der Feldzug erfolglos, so waren die Anstrengungen zur Wiedereroberung von halb Schlesien vergebens gewesen und die Friedensaussichten zerrannen vollkommen. Diese Gründe bestimmten den König zu einem Wagnis. Er wollte kühner und verwegener handeln, als er es unter günstigeren Umständen getan hätte.

Alles, was die Preußen unternehmen konnten, beschränkte sich auf den Angriff der beiden furchtgebietenden und schwer zu erobernden Stellungen von Burkersdorf und Leutmannsdorf. Die erstere deckte einen Gebirgspaß, der von Königsberg kommt und nach Ohmsdorf in die Ebene führt. Zu beiden Seiten des Defilees ragen steile und schroffe Felsen, die durch Schanzen mit eingebauten Kasematten und einem Kranz von Palisaden und Verhauen befestigt waren. Die drei nächsten bei Hohengiersdorf waren durch Befestigungslinien verbunden. Dort begann eine andere Verschanzung, die den Paß in der Tiefe abschloß und sich weiter bis auf einen Berg-


1 Tatsächlich steht nur in dem gedruckten Manifest Katharinas II., das am Morgen des 9. Juli 1762 unter das Volk verteilt wurde, der Ausdruck „Todfeind“. Aber schon in dem am Abend desselben Tages den fremden Gesandten zugestellten Text war nur von den „Feinden Rußlands“ die Rede. Ebensowenig findet sich im Konzept des Manifestes jene gehässige Wendung. So bestätigte Katharina II. denn auch den Friedensschluß mit Preußen vom 5. Mai, lehnte jedoch ab, das von Peter III. geschlossene Bündnis vom 19. Juni (vgl. S. 128) zu ratifizieren.